Zu Wochenbeginn wurde ein Brief von Bahnchef Richard Lutz an Führungskräfte des Konzerns bekannt. Darin warnt er, dass sich die Situation der Deutschen Bahn (DB) in den vergangenen Monaten verschlechtert habe: Der Betriebsgewinn liege "deutlich unter Vorjahr und weit weg von unserer Zielsetzung". Was ist der Grund für die Misere? Ein Gespräch mit Christian Böttger, Professor am Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und ein ausgewiesener Kenner der Deutschen Bahn

ZEIT ONLINE: Herr Böttger, hat Sie der öffentlich gewordene Brief von Bahnchef Richard Lutz in seiner Deutlichkeit überrascht?

Christian Böttger: Nein, die Sachverhalte sind seit Langem bekannt und nicht verwunderlich. Die Deutsche Bahn macht nicht genug Gewinn, um ihr Geschäft dauerhaft zu finanzieren. Darum steigen die Schulden ständig. Schon seit ein paar Jahren ist an den Zahlen abzulesen, wohin der Konzern steuert. Der Bundestag hat für die DB eine Schuldenobergrenze bei 20,4 Milliarden Euro festgelegt – und die hat sie bald erreicht. Die Bahn ist ein Sanierungsfall.

ZEIT ONLINE: Viele Bahnfahrer dürften überrascht sein. Die Züge sind oft voll – sie dürften davon ausgehen, dass das Geschäft entsprechend gut läuft.

Böttger: Man darf die Bedeutung des Personenverkehrs nicht überschätzen. Die DB macht im Jahr ungefähr 40 Milliarden Euro Umsatz. Auf den Fernverkehr entfallen davon etwa vier Milliarden, also zehn Prozent. Auf den Regionalverkehr entfallen weitere 20 Prozent. Die größte Sparte ist allein doppelt so groß wie der gesamte Personenverkehr: die international operierende Logistiktochter Schenker. Sie ist Marktführer im Schiffsverkehr China/USA – ein Handelskrieg trifft sie also direkt.

ZEIT ONLINE: Der Handelskonflikt zwischen den USA und China ist aber noch nicht lange Thema, und wir reden bei der Bahn seit Jahren über Finanzprobleme. Woher kommen die also?

Böttger: Richtig schlecht läuft es im Schienengüterverkehr. Dieser Konzernbereich ist in einem desaströsen Zustand. Eigentlich wollte man den Turnaround schaffen, doch das hat nicht funktioniert – die Verluste weiten sich im Gegenteil weiter aus.

ZEIT ONLINE: Woran liegt das? Eigentlich boomt doch die Logistik.

Böttger: Grundsätzlich sind die Margen im Güterverkehr niedrig. Außerdem wurde die Lkw-Maut gesenkt und die Kraftstoffpreise waren in den letzten Jahren niedrig. Davon hat der Güterverkehr auf der Straße zulasten der Bahn profitiert. Aber auch beim Güterverkehr auf der Schiene ist die DB weniger leistungsfähig als die Wettbewerber und verliert darum Marktanteile an private Konkurrenten. Ein Großteil der Verluste im DB-Güterverkehr kommt außerdem aus dem Ausland. Die Bahn hat lange von einem Weltlogistikkonzern geträumt und zu viel im Ausland zugekauft. Zum Beispiel in England, wo Schienengüterverkehr vor allen Dingen Kohletransport ist. In dem Maße, wie auch in England die Kohle substituiert wird, schrumpft das Transportgeschäft.

ZEIT ONLINE: Im Regionalverkehr schreiben die Bundesländer Strecken aus. Hier verliert die Bahn zunehmend Ausschreibungen an Wettbewerber. Ist das der Grund für die deutlich schrumpfenden Gewinne von DB Regio?

Böttger: Ja, aber nicht nur. DB Regio gewinnt ja auch Ausschreibungen, allerdings nur noch zu marktüblichen Konditionen. Es gab Zeiten, da erzielte die Bahn im Regionalverkehr Umsatzrenditen von 15 Prozent und Kapitalrenditen von 30 Prozent. DB Regio hatte vor allem mit nicht ausgeschriebenen Regionalstrecken jahrelang unglaubliche Gewinne erzielt. Diese Party mit Traumrenditen ist jetzt vorbei, weil fast alle Verkehre jetzt im Wettbewerb vergeben werden. In dieser Sparte ist der Gewinnrückgang kein Managementfehler, sondern seit Jahren absehbar.

ZEIT ONLINE: Was läuft bei der Bahn überhaupt gut?

Böttger: Das Infrastrukturgeschäft von DB Netz – aber da erzielt die Bahn noch Monopolgewinne, weil die Regulierung der Trassenpreise über die Bundesnetzagentur nicht richtig funktioniert. Die Trassenpreise steigen weiter und würgen damit Verkehr auf der Schiene ab.