Es ist ein Verrat, so groß wie man ihn sonst nur aus Dramen von Shakespeare kennt. Die Entscheidung Donald Trumps, die US-Truppen aus dem Nordosten Sy­riens abzuziehen und seine kurdischen Verbündeten im Stich zu lassen, ist an Irrsinn kaum noch zu überbieten.

Er stürzt damit eine ganze Region ins Chaos, in einen neuen Krieg, in eine neue Flüchtlingskatastrophe. Kein Volk hat den USA in den ver­gangenen Jahren so sehr geholfen wie die syrischen Kurden, und kein Volk war so sehr auf den Schutz der USA angewie­sen wie die Kurden. Jahrelang ha­ben sie mit westlicher Un­terstützung gegen den IS gekämpft. Ohne die Kurden hätte der IS so schnell nicht besiegt werden können. Tausende von Kurden sind dabei gestorben. Seite an Seite kämpften sie mit amerikanischen Soldaten. Das Versprechen an sie: Wir lassen euch nicht im Stich. Das wur­de nun auf die brutalstmögliche Art gebrochen.

Die türkische Armee jagt keine Terroristen – sie jagt ein Volk

Die Entschei­dung fiel, wie man liest, spontan, während eines Telefonats zwischen Trump und dem türki­schen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Trump warf seine bisher treuesten Ver­bündeten in Syrien den Wölfen vor.

Binnen Tagen haben sich danach die regionalen Machtverhältnisse verschoben. Bisher haben die kurdisch dominierten Syrian De­mocratic Forces (SDF) ein Drittel des Landes kontrolliert. Auch sie haben sich Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht, doch gibt es in ihrem Herrschaftsgebiet ein Maß an Freiheit und Vielfalt wie nirgendwo sonst in Syrien, keine Massenvertreibungen und Massenerschießungen. Nur Stunden nach Trumps Ankündigung brachen türkische Truppen über die 700 Kilometer lange Grenze. Sie wollen Terroristen jagen, sagen sie, tatsächlich jagen sie ein Volk.

Einflusssphären in Syrien

Einflusssphären in Syrien

Quelle: Live Universal Awareness Map © ZEIT ONLINE

Die Kurden, die nicht zu Unrecht massenhafte Vertreibungen fürchten, kämpften vier Tage lang. Dann, als die Türken kurz vor dem Durchbruch waren, am Sonntagabend, ergaben sie sich dem Regime von Baschar al-Assad. Der Verrat der USA zwingt sie geradezu in die Arme des Schlächters aus Damaskus, den sie jahrelang bekämpften. Der sie vor dem Krieg jahrzehntelang wirtschaftlich rückständig hielt. Die ärmsten Dörfer in Syrien waren stets kurdische Dörfer.