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Brasiliens Präsidentschaftskandidat Bolsonaro Angriff von rechts außen

Er wettert gegen Schwulenehe und Abtreibungen - und setzt aufs Militär: In Brasilien steigen die Chancen für Präsidentschaftskandidat Bolsonaro. Dabei galt der Rechtspopulist lange als irrlichternder Außenseiter.

Er werde sein Kabinett besser aufstellen als die Nationalmannschaft, verkündete Jair Bolsonaro kürzlich nach Brasiliens Unentschieden bei der WM gegen die Schweiz. Die Rolle von Superstar Neymar sollten Generäle übernehmen, sagte der Präsidentschaftsanwärter: "In meiner Regierung wird es viele Militärs geben."

Fußball und Soldaten - ein Beispiel dafür, wie systematisch der Rechtspopulist eine Militärherrschaft banalisiert. Jüngst verglich der 63-Jährige die Ermordung von Regimegegnern mit einem "Klaps auf den Hintern". Auch Folter hat der frühere Offizier schon gerechtfertigt.

Öffentlich beteuert Bolsonaro zwar, dass er gegen einen Militärputsch sei. Aber ein Umsturz wäre auch gar nicht nötig: Wenn der Kandidat bei der Präsidentschaftswahl im Oktober gewinnt, dürften Offiziere als Minister mitregieren. Zudem erwägt er, einen General zum Vizepräsidenten zu machen.

Stimmung ändert sich

Vor wenigen Jahren noch hatte Brasiliens politische Klasse den Hinterbänkler aus Rio de Janeiro geschnitten. Wegen seiner polemischen Äußerungen galt er als irrlichternder Außenseiter. Doch die Stimmung hat sich gewandelt. In Umfragen liegt er mit 17 Prozent an zweiter Stelle - hinter dem inhaftierten Ex-Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, der wahrscheinlich nicht antreten darf. Damit käme Bolsonaro in die wohl nötige Stichwahl im November.

Am Sonntag will Bolsonaro seine Kandidatur laut seinem Sohn Eduardo in Rio de Janeiro offiziell verkünden. Offenbar spricht der Rechtspopulist mit seiner Law-and-Order-Gesinnung vielen Menschen aus dem Herzen - dabei ist er kein besonders begabter Redner, kein Charismatiker. Aber er verkörpert den Zeitgeist.

Dilma Rousseff

Dilma Rousseff

Foto: Eraldo Peres/ AP

Während des großen Streiks der Lastwagenfahrer im Mai riefen überall Unterstützer der Streikenden das Militär zum Putsch auf. Auch bei den Massenkundgebungen gegen die demokratisch gewählte Präsidentin Dilma Rousseff, die auf fragwürdige Weise ihres Amtes enthoben wurde, forderten Demonstranten eine Intervention der Streitkräfte.

In Brasilien gibt es noch immer eine nostalgische Sehnsucht nach der Herrschaft des Militärs: Anders als in Argentinien oder Chile wurden in Brasilien die Gräuel der Diktatur der Jahre 1964 bis 1985 nie aufgearbeitet.

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Eine allgemeine Amnestie war die Bedingung dafür, dass die Generäle Mitte der Achtzigerjahre in die Kasernen zurückkehrten. Kein Militär oder Helfershelfer wurde je wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Die Polizei wurde nie reformiert, sie ist militärisch organisiert. Polizisten foltern und töten weitgehend ungestraft. Menschenrechte empfinden viele Brasilianer als Luxus.

Bolsonaros Anhänger machen vermeintliche falsche Toleranz für mangelnde Strafverfolgung und Kriminalität verantwortlich. Für seine Forderung, die Strafmündigkeit auf 16 Jahre herabzusetzen, bekommt er viel Zuspruch.

Vor allem aber hilft Bolsonaro der Niedergang der Politelite. Korruption und Vetternwirtschaft haben das Ansehen der Demokratie nachhaltig beschädigt.

Luiz Inacio Lula da Silva

Luiz Inacio Lula da Silva

Foto: Andre Penner/ AP

Die "Operation Lava Jato" (Autowäsche), wie die Sondereinheit des Richters Sérgio Moro zur Aufklärung des Korruptionsskandals um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras genannt wird, hat das Vertrauen in die Institutionen erschüttert. Nicht nur Anhänger des inhaftierten Ex-Präsidenten Lula werfen ihr vor, einseitig und unverhältnismäßig zu agieren. Damit ist jetzt auch die Justiz in Verruf geraten: Sie gilt vielen Brasilianern als parteilich.

Manche glauben nun, nur ein rechtsextremer Außenseiter könne den Sumpf austrocknen. Rechtsanwältin Janaína Paschoal, eine der Initiatorinnen des Amtsenthebungsverfahrens gegen Rousseff, rief jüngst zu Bolsonaros Wahl auf. Ein Militär denke anders als ein Politiker, sagte Paschoal. Er setze "das öffentliche Interesse vor Privatinteressen". Auch Fußballidol Ronaldinho will sich für Bolsonaro engagieren.

Der Kandidat pflegt sein Image als unbestechlicher Systemgegner. Dabei gehört er selbst der politischen Klasse an. Seit Anfang der Neunzigerjahre sitzt er im Kongress. Seine wichtigsten Mitarbeiter sind seine Söhne Carlos, Eduardo und Flávio - sie sind alle politisch aktiv.

Im Kongress kann Bolsonaro auf die Vertreter der mächtigen "BBB-Fraktion" zählen, so wird das ultrarechte Bündnis aus Waffenlobby, Evangelikalen und Großgrundbesitzern genannt. Auch in den traditionellen Mitte-Rechts-Parteien wächst die Unterstützung.

Tiraden gegen Medien

Mehrere einflussreiche evangelikale Kirchenführer wollen für Bolsonaro Wahlkampf machen: Er ist gegen Schwulenehe und Abtreibung. Bei einem Besuch in Israel ließ er sich im Jordan taufen. Frauen riet er, eine Pistole in der Handtasche zu tragen, das sei die wirksamste Waffe gegen sexuelle Gewalt.

Wie sein großes Vorbild, US-Präsident Donald Trump, kommuniziert auch Bolsonaro am liebsten per Twitter und Facebook. Traditionelle Medien wie die "Folha de S. Paulo", die größte Zeitung des Landes, schmäht er als "Kommunistenpresse".

Auch Brasiliens konservative Unternehmerschaft findet zunehmend Gefallen an dem Rechtspopulisten. Bei einem Auftritt vor Wirtschaftsbossen in São Paulo applaudierten ihm die Zuhörer, der sozialdemokratische Kandidat Ciro Gomes wurde ausgebuht.

Er verstehe wenig von Wirtschaft, gab Bolsonaro zu. Als Berater steht ihm jedoch der neoliberale Wirtschaftsguru Paulo Guedes zur Seite. Mit Privatisierungen will Guedes die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas aus der Krise führen. Bei den Unternehmern kommt das an.

Doch sie könnten sich zu früh freuen: Denn in Wirklichkeit ist Bolsonaro ein rechter Nationalist, wie die meisten Militärs. Und bei den Streitkräften würde der Verkauf von als strategisch angesehenen Staatsbetrieben wie Petrobras auf Widerstand stoßen.

Zudem stehen die Streitkräfte nicht geschlossen hinter Bolsonaro. Viele Offiziere fürchten die Politisierung, die ein Wahlsieg mit sich bringen würde. Eines verzeihen viele beim Militär dem einstigen Fallschirmhauptmann schon jetzt nicht: dass er mit den Streitkräften Wahlkampf macht.