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Krise an türkisch-griechischer Grenze Erdogan fordert Griechenland auf, die Grenze zu öffnen

Die Situation an der türkisch-griechischen Grenze droht zu eskalieren, noch immer harren dort viele Migranten aus. Erdogan verlangt von Athen, die Tore zu öffnen - und hofft auf weitere Gelder der EU.
Ein Mann trägt seinen Sohn in Edirne, nahe der der türkisch-griechischen Grenze auf den Schultern. Der türkische Präsident Erdogan forderte Griechenland auf, die Tore zu öffnen. Griechenland wirft ihm dagegen vor, die Flüchtlinge als Bauernopfer für seine politischen Ziele zu nutzen

Ein Mann trägt seinen Sohn in Edirne, nahe der der türkisch-griechischen Grenze auf den Schultern. Der türkische Präsident Erdogan forderte Griechenland auf, die Tore zu öffnen. Griechenland wirft ihm dagegen vor, die Flüchtlinge als Bauernopfer für seine politischen Ziele zu nutzen

Foto: Darko Bandic/ AP

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Griechenland aufgerufen, die vielen Migranten an der gemeinsamen Grenze durchzulassen. "Hey Griechenland, diese Menschen kommen nicht zu dir und bleiben, sie kommen zu dir und gehen in andere Länder Europas. Warum störst du dich daran?", sagte Erdogan am Sonntag auf einer Veranstaltung in Istanbul. "Mach du doch auch die Tore auf", sagte Erdogan.

Er selbst hatte am 29. Februar verkündet, die türkische Grenze sei für Migranten geöffnet. Tausende hatten sich auf den Weg gemacht, viele harren immer noch im Grenzgebiet aus - umnebelt von Tränengas und Rauchbombenschwaden.

EU will Türkei zur Einhaltung des Abkommens bewegen

Zur Entschärfung des Migrationsstreits mit der EU reist Erdogan am Montag zu Gesprächen nach Brüssel. Dort werde er EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel treffen, teilte dessen Sprecher mit. Es solle um Angelegenheiten zwischen der EU und der Türkei gehen, unter anderem auch um Migration und die Lage im Bürgerkriegsland Syrien.

Michel und von der Leyen dürften bei den Gesprächen versuchen, die Türkei wieder zur Einhaltung des 2016 geschlossenen EU-Türkei-Abkommens zu bewegen. Erdogan dürfte auf weitere finanzielle Hilfen dringen. Michel hatte Erdogan am Mittwoch bereits in Ankara getroffen.

Nachdem Ankara am 29. Februar die Grenze zur EU für offen erklärt hatte, ist das Verhältnis beider Seiten äußerst angespannt. Tausende Migranten machten sich auf den Weg Richtung EU; Griechenland wehrte sie mit Härte an den EU-Außengrenzen ab. Die EU wirft Erdogan vor, gegen das gemeinsame Flüchtlingsabkommen zu verstoßen und die Staatengemeinschaft erpressen zu wollen. Zugleich signalisierten mehrere EU-Staaten zuletzt weitere Hilfsbereitschaft - vorausgesetzt, die Türkei kehre zum Abkommen zurück.

Flüchtlingspakt ist für Griechenland "tot"

Die Vereinbarung sieht vor, dass die Türkei gegen illegale Migration in die EU vorgeht. Brüssel hatte Ankara im Rahmen des Flüchtlingspakts sechs Milliarden Euro zugesagt. Laut EU-Kommission sind bislang 4,7 Milliarden Euro vertraglich vergeben und rund 3,2 Milliarden ausbezahlt. Erdogan dringt auf weiteres Geld.

Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis bezeichnete den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei als tot. "Ganz ehrlich? Im Moment ist die Vereinbarung tot", sagte Mitsotakis in einem CNN-Interview. "Womit wir es zu tun haben, ist kein Migrations- oder Flüchtlingsproblem. Es ist der bewusste Versuch der Türkei, Flüchtlinge und Migranten als politische Bauernopfer zu benutzen, um die eigenen politischen Interessen zu verfolgen."

Griechische Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein

Mitsotakis wird am Montag zu einer deutsch-griechischen Konferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin erwartet. Am Sonntagabend befasst sich ein Koalitionsgipfel in Berlin neben dem Coronavirus auch mit der Lage an der griechisch-türkischen Grenze.

Die dortige Situation war indes weiter extrem angespannt. Immer wieder kam es in der Nacht und am frühen Sonntag zu Attacken von türkischer Seite aus, wie griechische Medien berichteten. Migranten kampierten in einem Waldstück auf der türkischen Seite, ihre Zelte waren von Tränengasschwaden eingenebelt. Einige versuchten, in der Nähe des Grenzübergangs Pazarkule die Grenze zu durchbrechen. Die griechische Polizei reagierte mit Wasserwerfern und Tränengas.

DER SPIEGEL

Für Aufregung sorgten Aufnahmen einer Wärmebildkamera der griechischen Polizei. In der Nacht zum Samstag wurde damit ein gepanzertes Fahrzeug beim Versuch gefilmt, den Grenzzaun einzureißen, um den auf türkischer Seite ausharrenden Flüchtlingen und Migranten den Weg nach Europa frei zu machen. Die gespenstischen Aufnahmen, die dem griechischen Fernsehsender Skai zugespielt worden waren, zeigen den Berichten zufolge ein gepanzertes türkisches Grenzüberwachungsfahrzeug vom Typ "Hizir/Ates". Andere Videos zeigen türkisches Militär, das Tränengaskartuschen oder Rauchbomben über die Grenze schießen soll.

Die türkische Küstenwache griff in der Ägäis 121 Migranten auf, die mit Booten versuchten, nach Griechenland zu gelangen. Die griechische Küstenwache habe die Boote zurück in türkische Gewässer abgedrängt, meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu.

Freiwillige Helfer verlassen Lesbos

In Griechenland leben derzeit nach Angaben des Uno-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) rund 116.000 Geflüchtete und Migranten, mehr als 42.000 von ihnen in und um die völlig überfüllten Flüchtlingslager auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos in der östlichen Ägäis. Auf Lesbos mobilisieren sich zunehmend Einwohner gegen Flüchtlinge und Hilfsorganisationen. Viele freiwillige Helfer haben die Insel bereits verlassen.

Unter ihnen sind nach Darstellung des griechischen Zentrums für Soziale Solidarität (Ekka) 5500 unbegleitete Minderjährige. Nur 2200 von ihnen befinden sich in kurz- oder langfristigen Unterkünften. Die anderen leben in völlig überfüllten Lagern, in unsicheren Unterkünften oder sind obdachlos.

Am Samstagabend wurde auf Lesbos ein Großteil der Gebäude der Schweizer Hilfsorganisation "One Happy Family" durch einen Brand zerstört. Auch die Schule für Flüchtlingskinder brannte ab. Verletzt wurde niemand.

Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans mahnte im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks rasche Unterstützung für Kinder in den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland an. Etwa tausend unbegleitete Minderjährige müssten schnell aus den Lagern herausgeholt werden.

Kroatien erklärt sich bereit, minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen

Das EU-Land Kroatien hat die Bereitschaft zu erkennen gegeben, unbegleitete Minderjährige aus den Flüchtlingslagern in Griechenland aufzunehmen. "Kroatien verfügt über bestimmte Kapazitäten und hat auch schon früher Kinder aus Krisensituationen aufgenommen", sagte der kroatische Innenminister Davor Bozinovic.

Eine Zahl, wie viele unbegleitete Minderjährige sein Land aus Griechenland aufnehmen würde, nannte Bozinovic nicht. Man warte zunächst ab, welche Erkenntnisse die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bei ihrem nächste Woche geplanten Besuch in Griechenland gewinnen werde, fügte er hinzu.

ene/dpa