Chefredakteur der "Washington Post":Pulitzer-Preisträger, Missbrauchsenthüller, Digitaldenker

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Martin Baron führte die "Washington Post" als Chefredakteur durch ereignisreiche Zeiten. (Foto: Michael Reynolds/dpa)

Martin Baron verabschiedet sich als Chefredakteur der "Washington Post". Bleibt die Frage: Ist die Zeitung auch bereit für eine Zeit ohne ihn?  

Von Fabian Heckenberger

Martin Baron hat entschieden, dass es nun genug ist. In einem Schreiben an die Redaktion kündigte der Chefredakteur der Washington Post an, sich Ende Februar zur Ruhe zu setzen. Er sei im Alter von 66 Jahren bereit weiterzuziehen. Die Frage darf gestellt werden: Ist die Washington Post auch bereit für eine Zeit ohne ihn?

Die New York Times nennt den Rückzug wenig zurückhaltend den Abschied eines "Newsroom-Giganten". Baron hat in seinem Berufsleben, das er selbst niemals Karriere nennen würde, mehrmals den Pulitzer-Preis gewonnen, die wichtigste Auszeichnung im internationalen Journalismus. Er hat die Redaktion durch die Trump-Präsidentschaft gesteuert und sie zu einer der wichtigsten digitalen Medienmarken weltweit gemacht. Mehr als drei Millionen Menschen bezahlen heute, um die Artikel, Podcasts und Datenrecherchen der Post auf dem Smartphone oder dem Notebook zu lesen.

Die von Hollywood verfilmte Recherche seines Teams, "Spotlight", gewann den Oscar

Als Reporter beim Miami Herald stieg Baron 1976 in den Journalismus ein. Er schrieb unter anderem für die Los Angeles Times und die New York Times. 2001 wurde er Chefredakteur des Boston Globe. Ein von ihm geleitetes Recherche-Team deckte einen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Boston auf. Hollywood verfilmte den Stoff Jahre später. "Spotlight" gewann 2015 den Oscar als bester Film. Seitdem lehnte ein demonstrativ zerknitterter Papp-Oscar in der Ecke von Barons kleinem Büro in der K-Street in Washington, wenige Hundert Meter entfernt vom Weißen Haus. 2013 war der Chefredakteur von Boston zur Washington Post weitergezogen.

Wer ihn dort zum Gespräch traf, hörte schnell drei Sätze. Erstens: "Call me Marty." Allerdings so trocken und ohne Lächeln genuschelt, dass wirklich niemand auf die Idee kommen würde, die Spitznamen-Ansprache mit kuscheliger Nähe zu verwechseln. Zweitens: "We are not at war. We are at work." Wir sind nicht im Krieg, wir machen unsere Arbeit. Diesen Satz ließen sich manche Redakteurinnen und Redakteure auf T-Shirts drucken, während Donald Trump die liberalen US-Medien verbal attackierte.

Dass sich die Post nie im medialen Krieg mit dem Präsidenten befunden hat, mag mancher Leser anders beurteilen. Dass die gesellschaftlichen Debatten in einem zerrissenen Amerika aber auf der Basis von Fakten stattfinden müssen, und das seriöser Journalismus dazu beitragen muss, dies zu ermöglichen, das ist bis heute Barons Antrieb.

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Dritter Satz: "We have to change." Als einer der profiliertesten Rechercheure der USA hatte Baron es in Washington zur Chefsache gemacht, seine Redaktion auf die digitalisierte Medienlandschaft einzustellen. Die ehrwürdige Post, die Anfang der 70er-Jahre unter der berühmten Verlegerfamilie Graham und dem Chefredakteur Ben Bradlee die Watergate-Affäre aufgedeckt hatte, war bei Barons Amtsantritt personell und publizistisch geschrumpft. Anzeigenverluste, Sparrunden, Kündigungen.

Entwickler programmierten den "Marty-Bot" für ihn, der an Abgabezeiten erinnert

Dass der Amazon-Gründer Jeff Bezos im August 2013 die Zeitung für 250 Millionen US-Dollar kaufte und anschließend Millionen in die Redaktion und den Ausbau des digitalen Abo-Geschäftes investierte, machte es Baron nicht schwerer. Bereits vor Jahren wollte der Chefredakteur in Konferenzen nicht mehr nur die Themen des Tages diskutiert haben, sondern las auch die Online-Leserzahlen von seinem Smartphone ab und fragte, zu welchem Zeitpunkt welche Geschichte am meisten Menschen erreicht.

Um diese Zeitpunkte einzuhalten, programmierten Bezos' Entwickler den so genannten "Marty-Bot", eine Software, die im Namen von Marty Baron alle Autorinnen erinnerte, wenn ihre Abgabezeit nahte. Mancher Post-Redakteur erzählt genüsslich davon, dass auch der Chefredakteur selbst wenigstens einmal von diesem Bot erinnert wurde. Gut möglich, dass der Gedanke an ein Leben im Ruhestand an Reiz gewinnt, wenn das digitale Ich einen zur Eile treibt.

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