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Margarete Stokowski

Debatte über Lindemann-Gedicht Auf Himmel reimt sich ja sonst nichts

Margarete Stokowski
Eine Kolumne von Margarete Stokowski
Ein Sänger veröffentlicht ein Gedicht, in dem er über eine Vergewaltigung fantasiert. Das Problem ist nicht mal mangelnde Qualität - sondern ein Geniekult, der selbst Bumsbanales zum ästhetischen Akt hochjazzt.
Till Lindemann 2016: Und da fängt der Würdeverlust an

Till Lindemann 2016: Und da fängt der Würdeverlust an

Foto: Mondadori Portfolio / Getty Images

Mit Lyrik ist es immer so eine Sache. Ein Gedicht von Friedrich Nietzsche geht so: "Buatschaleli batscheli / bim bim / Buatscheli batscheleli / bim!" Es entstand gegen Ende seines Lebens, und bekanntermaßen war Nietzsche die letzten Jahre schwer krank und hatte Wahnvorstellungen. Es gibt Leute, die finden, man sollte so etwas dann vielleicht besser nicht in Gedichtsammlungen aufnehmen, weil es ihn bloßstellt, und dann gibt es Leute, die finden es besonders genial und mysteriös. Oder sie finden: Ja, das ist verrückt, aber gehört einfach dazu.

Was zur Kunst gehört und was nicht, das ist aktuell wieder eine Frage, die gestellt wird, anlässlich des neuen Gedichtbands von Till Lindemann. Der Sänger der Boygroup Rammstein hat ein Buch veröffentlicht, in dem es in einem Gedicht um die Vergewaltigung einer wehrlosen, sedierten Person geht, aus Sicht des Täters. "Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß) / Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen".

Es wäre nicht unbedingt falsch, das Ganze als peinliches Produkt einer späten Midlife-Crisis zu ignorieren. Diejenigen, die sagen "Was will man denn von diesem Typen erwarten" haben durchaus einen Punkt: Lindemann ist ein Autor, dessen Wikipedia-Artikel einen eigenen Absatz mit der Überschrift "Das lyrische Ich als Gewaltausübender" hat. Aber wenn es schon eine Debatte über Lyrik gibt, die starke Gefühle auslöst - bei einigen: Ekel, Wut, Entsetzen, bei anderen: das starke Bedürfnis, die Kunst zu verteidigen –, dann kann man schon mal genauer hinsehen.

Wo Kunst ist, ist auch Kunstkritik

Die am einfachsten zu klärende Frage lautet: Ist das Kunst, und darf man so etwas drucken? Ja, natürlich. Kunst ist ein weites Feld, sie muss nicht gut sein, und drucken darf man ziemlich viel. Aber wo Kunst ist, ist auch Kunstkritik.

Die Kritik ist sich im Fall Lindemann erwartungsgemäß uneinig. In der "Berliner Zeitung" schreibt Björn Hayer , die Lindemann-Texte seien "abscheuliche Gedichte", die aber durchaus "klüger sind als ihr Autor" und zeigen, "wie die Gewalt die soziale DNA in sämtlichen Bereichen des Zusammenlebens bestimmt." In derselben Zeitung kommentiert Julia Maria Grass : "Das ist sexistischer Dreck. Und der bleibt sexistischer Dreck, auch wenn er sich reimt."

Im Hause Springer geht einiges durcheinander, wenn Jan Küveler in der "Welt" schreibt, es stehe "der Vorwurf einer Vergewaltigung im Raum", denn es gibt in dieser Debatte keinen Vergewaltigungsvorwurf, lediglich den Vorwurf, mit einem Gedicht, das unzweifelhaft eine Vergewaltigung beschreibt, diese Art von Gewalt zu verherrlichen. Der "Tagesspiegel" nennt Lindemanns Gedichte "einfach nur dumme Provokation" und fragt : "Ob sich dafür ein großer Verlag und ein SZ-Redakteur als Herausgeber gefunden hätten, wäre der Autor kein bekannter Rocksänger?"

Und der Verlag? Helge Malchow, Editor-at-Large bei Kiepenheuer & Witsch, äußerte sich zur Kritik, was als Vorgang bemerkenswert ist, dann aber doch ernüchternd ausfiel. "Die moralische Empörung über den Text dieses Gedichts basiert auf einer Verwechslung des fiktionalen Sprechers, dem sogenannten lyrischen Ich, mit dem Autor Till Lindemann", ließ er verkünden . Was nicht viel mehr heißt als: Das ist ein Gedicht, ihr Heulsusen, der hat die gar nicht vergewaltigt. Nur: Das wusste man ja schon, dass es da um ein Gedicht geht.

Es ist trotzdem eine bezeichnende Reaktion in einer Debatte, in der lehrbuchartig aneinander vorbeigeredet wird. Genauso falsch wie die Gleichsetzung von Autor und lyrischem Ich ist die Gleichsetzung von Kritik mit "moralischer Empörung". Kunst darf von Gewalt handeln, sie darf sich in Täter hineinversetzen, grausame Dinge beschreiben – aber sie muss sich eben auch gefallen lassen, dass dann diskutiert wird, wo die Grenzen liegen.

Wie jedes Mal, wenn misogyne Kunst kritisiert wird, gibt es auch im Fall Lindemann das Argument, dass die Kritiker voll drauf reingefallen seien: Er hält das eklige Stöckchen hin und alle springen drüber – beste Werbung. Das ist speziell in diesem Fall allerdings ein mittelmäßiger Einwand, denn erstens verkauft sich Lyrik prinzipiell fast ausnahmslos extrem schlecht, und man kann davon ausgehen, dass ein feministischer Shitstorm keine nennenswerten Mengen Geld auf Lindemanns Konto spült, und zweitens ist es fragwürdig, ob man aus Sorge, dass Lindemann und KiWi nun ein paar Euro mehr verdienen könnten, einfach schweigen sollte.

In diese Kerbe Schlug auch Komiker Florian Schröder, der twitterte : "Erstaunlich, wie viele Menschen das Geschäftsprinzip von Till #Lindemann auch nach 25 Jahren Rammstein noch immer nicht verstanden haben." Nur kann man eben etwas verstanden haben und trotzdem angreifen.

Zumal man Lindemanns Lyrik sehr schnell versteht: Hälfte Einsamkeit, Hälfte Körperflüssigkeiten. Blut, Eiter, Spucke, Scheiße, Pisse, Tränen, Schweiß auf dem Schädel und im Schritt. Und natürlich die bereits auf dem Cover versprochenen Genitalien: "Nicht gewaschen ist der Pimmel / Alles stinkt zum Himmel". Oder: "Und wegen dieser blöden Fotze / Erstick ich fast an meiner Kotze." Man würde sich nicht wundern, wenn mittendrin stünde: "Eine kleine Micky Maus / zog sich mal die Hosen aus."

Das darf man natürlich alles schreiben. Auch das: "Ich frag dies ich frag das / Macht dir ficken wirklich Spaß / (...) Will doch gar nichts, nichts von dir / Bin nur zur Unterhaltung hier / Huch auf einmal ist er drin / Ach das ist doch nicht so schlimm." Das Problem: Wer das für große Lyrik hält, der ist offensichtlich bereit, wirklich alles zu verteidigen, wenn es nur von einem Entfant terrible kommt.  

"Klar, man kann Kunst einfach als einen Mülleimer begreifen, in den man seine 'dunkle Seite' entleert, ohne sie zuvor großartig zu bearbeiten. Es wird dann nur eben sehr peinlich, wenn andere das bemerken."

Und da fängt der Würdeverlust an. Denn das "lyrische Ich", das in solchen Fällen immer hervorgehoben wird, ja, es existiert tatsächlich, aber allein seine Existenz adelt es nicht. Zufällig tut dieses lyrische Ich in Gedichten, Songtexten, Romanen, die heute als frauenfeindlich kritisiert werden, immer dasselbe: Frauen erniedrigen und böse Wörter sagen wie ein Neunjähriger. Wie durch Magie fügt es sich immer wieder in die Tradition, gewalttätiges Verhalten von Männern als irgendwie auch niedlichen Hilfeschrei einer gebrochenen Seele zu vermarkten.

Klar, man kann Kunst einfach als einen Mülleimer begreifen, in den man seine "dunkle Seite" entleert, ohne sie zuvor großartig zu bearbeiten. Es wird dann nur eben sehr peinlich, wenn andere das bemerken. "Das Konzept hinter dem lyrischen Ich ist genial", schrieb die Autorin Paula Irmschler mal : Man tut lauter eklige Sachen, die man nicht tun sollte, aber halt "nicht ernst gemeint". Sie schrieb über lyrische Ichs in der Popmusik und stellte fest: Irgendwie "scheinen diese Typen alle das gleiche lyrische Ich als Inspirationsquelle zu haben".

Wem wird Provokation zugestanden?

So unkreativ das alles ist, so beständig ist der Geniekult, der bei gleichzeitig hochgehaltenem Hochkulturanspruch jedem dahergelaufenen "Tabubrecher" einfach alles aus der Hand frisst. Dieser Geniekult bezüglich Lindemann lässt sich in Reinform im Vorwort seines Herausgebers nachlesen, der schreibt, Lindemann sei "überaus teilnehmend in den persönlichen Dingen. Dafür drängt er alles, was nervt und Lebenszeit subtrahiert, also etwa triviale organisatorische Fragen, zur Seite wie ein mächtiges Schiff das Meer."

Äh, ja. Man könnte auch sagen, er ist normal nett im direkten Umgang und schlecht in Organisatorischem, also wie so ziemlich jeder durchschnittliche Künstler. Es ist genau dieser Geist der Überhöhung von wirklich Bumsbanalem, der dann auch aus der Abbildung niederster Triebe und Gewaltvorstellungen noch einen heilsamen ästhetischen Akt herausfantasiert.

Provokation als Wert an sich ist ein interessantes Phänomen, wenn man bedenkt, wem sie zugestanden wird. Die Kinder in diesem Chor, der Ende letzten Jahres im WDR das "Umweltsau"-Lied sang - das war natürlich keine Kunst. Wenn aber ein alternder Rockmusiker davon fantasiert, über eine ohnmächtige Frau zu robben, dann wird da schon etwas Höheres dran sein, das Feministinnen einfach nicht verstehen.