Verkleinerung des Bundestags:"Zahme Abgeordnete braucht niemand"

Plenarsitzung im Deutschen Bundestag

"Wenn man wirklich meint, dass wir den Bundestag verkleinern müssen, und wenn wir dabei alle gewünschten Prinzipien einhalten wollen, dann müssen wir auf ein reines Verhältniswahlrecht umsteigen", sagt Axel Schäfer.

(Foto: Christian Spicker/imago)

Der SPD-Abgeordnete Axel Schäfer kritisiert die Wahlrechtsreform seiner eigenen Koalition - und bringt einen Umstieg auf ein reines Verhältniswahlrecht ins Spiel.

Interview von Robert Roßmann, Berlin

Der Bundestag hat eine Normgröße von 598 Sitzen. Derzeit gibt es aber 709 Abgeordnete - und nach der nächsten Wahl könnten es sogar mehr als 800 sein. CDU, CSU und SPD haben sich deshalb auf eine Reform des Wahlrechts verständigt - sie wollen unter anderem die Zahl der Wahlkreise verringern. Daran gibt es jetzt auch Kritik aus den eigenen Reihen.

SZ: Was halten Sie von dem Kompromiss der großen Koalition zum Wahlrecht?

Axel Schäfer: Der Kompromiss war das zurzeit Mögliche, er ist aber nicht das für die Zukunft Notwendige.

Was stört Sie an dem Kompromiss?

Zum Beispiel die Begründung. Es wird gesagt, dass der Bundestag ohne eine Verkleinerung nicht arbeitsfähig sei. Das ist Unsinn. Der Bundestag ist arbeitsfähig, egal ob er 598, 709 oder 800 Abgeordnete hat. Es kommen doch in den seltensten Fällen alle Abgeordnete im Plenum zusammen. Denn wir arbeiten nicht im Plenum, sondern in den Ausschüssen, in den Arbeitskreisen, in den Landesgruppen. Keines dieser Gremien ist so groß, dass Arbeitsunfähigkeit droht.

Aber die Extra-Abgeordneten und ihre Mitarbeiter kosten viel Geld. Und es fehlt an Platz. Bundestagspräsident Schäuble hat vorsichtshalber bereits die Errichtung von Bürocontainern beantragen lassen.

Der Platz ist tatsächlich ein Argument. Deshalb sage ich: Wenn man wirklich meint, dass wir den Bundestag verkleinern müssen, und wenn wir dabei alle gewünschten Prinzipien einhalten wollen, dann müssen wir auf ein reines Verhältniswahlrecht umsteigen. Nur so könnten wir unsere fünf Ziele erreichen: Ein Wahlrecht, das klar, gerecht, quotiert, beständig und gerichtsfest ist. Das bisher geltende personalisierte Verhältniswahlrecht war in der Vergangenheit hervorragend geeignet. Aber in einer Zeit, in der nicht mehr drei, sondern sechs Fraktionen im Parlament sitzen, und es deshalb zu vielen Überhangs- und Ausgleichsmandaten kommt, passt es nicht mehr so gut. Mit ihm ist es nicht möglich, den Bundestag wieder zu verkleinern und gleichzeitig die fünf Prinzipien zu erfüllen.

In einem reinen Verhältniswahlrecht wäre zwar sichergestellt, dass der Bundestag immer dieselbe Größe hat - und dass alle Parteien entsprechend ihrem Stimmergebnis Mandate erhalten. Aber es würde keine direkt gewählten Abgeordneten mehr geben. Dabei wird oft argumentiert, diese seien ein besonders gutes Scharnier zwischen Bürgern und Parlament.

Wenn man so argumentiert, darf man aber auch nicht die Zahl der Wahlkreise verkleinern, wie es der Wahlrechtskompromiss jetzt vorsieht. Der Wahlkreis meines CDU-Kollegen Eckhardt Rehberg ist bereits jetzt mehr als doppelt so groß wie das Saarland. Er würde dann noch größer, und Rehberg könnte ihn nur noch mit einem Campingmobil erfolgreich beackern.

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Axel Schäfer (SPD) sitzt seit 2002 im Bundestag, er hat seinen Bochumer Wahlkreis fünf Mal hintereinander direkt gewonnen. Die ersten vier Mal war Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sein Gegenkandidat.

(Foto: Metodi Popow/imago)

In einem reinen Verhältniswahlrecht, wie von Ihnen ins Spiel gebracht, würde es aber gar keine Wahlkreise mehr geben.

Ich bin jetzt seit fast 20 Jahren direkt gewählter Bundestagsabgeordneter. Zweimal habe ich meinen Wahlkreis sogar mit mehr als 55 Prozent gewonnen. Trotzdem kennen mich vermutlich noch nicht einmal alle SPD-Wähler im Wahlkreis. Ich halte es da - obwohl evangelisch getauft - mit dem wunderbaren Papst Johannes XXIII., der gesagt hat: "Johannes, nimm dich nicht so wichtig." Natürlich ist das tägliche Bürgergespräch im Wahlkreis immer noch das allerwichtigste. Aber das Gespräch kann man unabhängig davon führen, ob man direkt oder über Liste gewählt wurde.

Sind über die Liste gewählte Abgeordnete aber nicht viel abhängiger von ihren Parteiführungen als im Wahlkreis direkt gewählte Parlamentarier?

Ach, wissen Sie: Ich bin als Juso von Herbert Wehner angebrüllt worden - und habe mich davon nicht beeindrucken lassen. Und ich habe Gerhard Schröder schon kritisiert als er Kanzler war. Abgeordnete müssen auch mal aufstehen und sich was trauen. Zahme Abgeordnete braucht niemand. Ob man abhängig ist oder nicht, liegt viel mehr in der Person des einzelnen Abgeordneten als an der Frage, ob jemand über Liste oder direkt gewählt wurde. Jeder Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes und sollte entsprechend selbstbewusst auftreten. Das gilt übrigens auch jetzt nach dem Angriff von Rechtsradikalen auf unser Parlament.

Was wollen Sie da tun?

Wir verteidigen unser Parlament, wann immer nötig, mit Leib und Seele. Ich habe meiner Fraktion deshalb vorgeschlagen, in der nächsten Sitzungswoche eine Menschenkette aus Abgeordneten rund um den Reichstag zu bilden. Gemeinsam ein schwarz-rot-goldenes Band haltend und demonstrierend: Wir gewählten Volksvertreter und -vertreterinnen werden uns auch persönlich allen entgegenstellen, die das Parlament stürmen und die Institutionen der Demokratie angreifen wollen.

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