Glück für die Schweiz? Ein freundlich gesinnter Österreicher kümmert sich nun im Auftrag des EU-Parlaments um die lädierte Beziehung

Dass ein Bundesrat einem ausländischen Parlamentarier die Ehre erweist, ist selten. Aussenminister Ignazio Cassis hat es getan: Lukas Mandl seziert für das EU-Parlament das bilaterale Verhältnis. Die Schweiz hätte es schlechter treffen können.

Fabian Schäfer, Bern
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Woher weht der Wind? Die EU hat noch nicht festgelegt, wie sie sich das Verhältnis zur Schweiz nach dem Aus des Rahmenvertrags vorstellt.

Woher weht der Wind? Die EU hat noch nicht festgelegt, wie sie sich das Verhältnis zur Schweiz nach dem Aus des Rahmenvertrags vorstellt.

Arnd Wiegmann / Reuters

Unwillkürlich reibt man sich die Augen: so viel Verständnis für die Haltung der Schweiz – und das von einem Vertreter der EU? Man dürfe jetzt nicht den Fehler machen, die Gründe für den Abbruch ausschliesslich in Bern zu suchen. «Die Gründe liegen schon auch in Brüssel.» Dies hat der österreichische EU-Abgeordnete Lukas Mandl am 26. Mai verlauten lassen, dem Tag, an dem der Bundesrat die Verhandlungen über den Rahmenvertrag abgebrochen hat.

Damit hebt sich der ÖVP-Politiker markant vom EU-Mainstream ab. Dass Bern nach all den Jahren einseitig die Reissleine zog, hat auf der Gegenseite offenkundig reichlich Unverständnis, Ärger und Frust ausgelöst. Repräsentativ ist die Einschätzung, die der deutsche EU-Abgeordnete Andreas Schwab Ende Mai den CH-Media-Zeitungen abgegeben hat: «Die Verantwortung für das Scheitern liegt bei der Schweiz und der Schweizer Innenpolitik. Wir haben grosse Kompromissbereitschaft an den Tag gelegt. Der Bundesrat hat aber dogmatisch an Maximalpositionen festgehalten.»

Basis für eine Debatte im Europaparlament

Bis anhin ist Schwab für Bern der erste Ansprechpartner im Europäischen Parlament. Er präsidiert die 17-köpfige Delegation, die unter anderem für die Beziehungen mit der Schweiz zuständig ist, insbesondere für alle Fragen rund um den Zugang zum Binnenmarkt.

Lukas Mandl.

Lukas Mandl.

PD

Doch nun ist nicht mehr die Delegation am Ball, wenn es um das Verhältnis mit dem schwierigen Nachbarn geht, sondern der ungleich grössere Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Dieser hat 71 Mitglieder, eines davon ist der Österreicher Mandl.

Der 42-jährige Wiener wird in den nächsten Wochen im Auftrag des Ausschusses einen Bericht über die Beziehungen mit der Schweiz verfassen. Das Papier wird die Basis bilden für eine Debatte, in der das Europäische Parlament seine Vorstellungen über das künftige Verhältnis mit der Schweiz formulieren kann. Diese Diskussion dürfte im Herbst stattfinden.

«Idealer Start für eine neue Vertiefung»

Wie ernst man die Sache in Bern nimmt, lässt sich daran ablesen, dass Aussenminister Ignazio Cassis bei seinem informellen Besuch in Brüssel am Dienstag nicht nur Gesprächspartner auf Ministerebene traf, sondern auch dem Parlamentarier Mandl seine Aufwartung machte. Dieser liess es sich nicht nehmen, im Nachgang eine Stellungnahme mit Bild von seinem Treffen mit dem hohen Gast zu publizieren.

Lukas Mandl hielt nach dem Gespräch fest, die Verhandlungen für einen Rahmenvertrag hätten gezeigt, wie es nicht gehe. Auf beiden Seiten habe man dem Trennenden zu viel Aufmerksamkeit gewidmet und dem Gemeinsamen zu wenig. Das Gespräch mit Cassis sei äusserst konstruktiv gewesen, «ein idealer Start für eine neue Vertiefung der Beziehungen». Zugleich kündigte Mandl an, dass sein Schweiz-Bericht für das Parlament «die gesamte Breite der Beziehungen» abdecken werde, nicht ausschliesslich die wirtschaftliche Dimension, die bis dato fast immer im Zentrum stand.

Es wäre das erste Mal seit Jahren, dass das Europaparlament eine Grundsatzdebatte über das Verhältnis zur Schweiz führen würde. Allerdings ist klar, dass die EU-Kommission und vor allem die Mitgliedstaaten ein mindestens ebenso gewichtiges Wort mitreden werden, wenn die Union ihre Position gegenüber der Schweiz klärt. Die Kommission will ihre Sichtweise ebenfalls bis im Herbst zu Papier bringen. Definitiv festlegen dürfte sich die EU voraussichtlich erst 2022 unter französischer Ratspräsidentschaft.

Ein Freund der Schweiz

Manche Franzosen sind nach dem Entscheid des Bundesrats, einen US-Kampfjet zu beschaffen, vermutlich weniger gut auf die Schweiz zu sprechen, als es Lukas Mandl zu sein scheint. Er hat sich schon mehrfach als Freund des Landes zu erkennen gegeben, zum Beispiel im Streit um die Forschung. Die EU-Kommission lässt die Schweiz wegen des Scheiterns des Rahmenvertrags nur noch als Drittstaat an der Forschungskooperation Horizon partizipieren. Ende Juni lancierten Universitäten und Netzwerke aus ganz Europa einen Aufruf für die volle Teilnahme der Schweiz, den Mandl umgehend unterstützte. Er liess verlauten, ganz Europa müsse seine Kräfte vernetzen. «Es wird Zeit, dass wir die Sache in den Vordergrund stellen und individuelle Positionen respektieren.»

Trotz den freundlichen Worten wäre es aus heutiger Sicht eine grosse Überraschung, wenn die EU ihre Politik gegenüber der Schweiz grundlegend ändern würde. Sie beharrt seit Jahren auf verbindlichen Regeln für die Rechtsübernahme und die Streitbeilegung, wie sie mit dem Rahmenvertrag festgelegt werden sollten. Auch wenn die EU in Fragen wie der Forschung einlenken würde, bliebe fraglich, ob der bilaterale Weg eine Zukunft hat, wenn Brüssel die Aktualisierung wichtiger Abkommen verweigert.

Entscheidend dürfte primär die Haltung der Mitgliedstaaten sein. Bisher gab es von ihrer Seite kaum Widerstand gegen den Kurs der EU-Kommission. Auch Nachbarn wie Deutschland und Frankreich stehen relativ stramm auf der Seite der Kommission, wie in Bern zu hören ist. Die grosse Ausnahme ist Österreich, das sich in den letzten Wochen mehrfach laut und deutlich für die Schweiz eingesetzt hat. Insofern passt auch die Haltung des Abgeordneten Mandl ins Bild. Ob sich dank den warmen Worten eine Eiszeit zwischen Bern und Brüssel abwenden lässt, ist eine ganz andere Frage.

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