Seit vier Tagen läuft die Maschine schon. Der iBridger 340, ein klotziger 3-D-Drucker mit schwarzem Gehäuse, Sichtfenster und Touchpad, fertigt gerade Schicht für Schicht eine Kopfhalterung für ein Gesichtsvisier. Er wiegt 500 Kilogramm und hat 12.000 Euro gekostet. Vor vier Monaten hatte ihn Tobias Gantner in China bestellt, vor einer Woche wurde er ausgeliefert.

Eigentlich wollte der Mediziner damit Prototypen etwa für Geräte drucken, die individuell Medikamente ausgeben. Jetzt soll der Apparat für Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Pflegepersonal dringend benötigte Schutzvisiere produzieren. Gantners Makerspace: eine Garage neben seinem Wohnhaus in Siegburg bei Bonn. Neben dem High-Tech-Drucker stehen Wasserkästen, Werkzeugkoffer, Schraubenzieher, an der Wand hängt eine Fuchsschwanzsäge.

Gantner, 46, ist Arzt, Erfinder, Chef des Unternehmens HealthCare Futurists und einer von vielen Tüftlern im Land, die jetzt helfen wollen, in heimischer Produktion Versorgungslücken zu schließen. Wegen des Coronavirus fehlt es auch in Deutschland an dringend benötigtem medizinischen Material. Vor allem mangelt es an Atemschutzmasken und Faceshields, jenen Masken, die wie Visiere über dem Gesicht getragen werden und neben den Atemschutzmasken und Brillen zusätzlichen Schutz vor Ansteckung bieten sollen.

Faceshields sind das Maker-Produkt der Stunde

Die sogenannten Maker sind eine Art Do-it-yourself-Bewegung des 21. Jahrhunderts. Eine Community von Menschen, die, grob gesagt, 3-D-Drucker oder auch Lasercutter besitzen und ihr technisches Wissen gerne teilen. Am 24. März hat ein Kassler Maker die Szene aufgerufen, sich an der Produktion von Faceshields zu beteiligen. Das Projekt Maker vs. Virus ist entstanden, ein deutschlandweites Netz dezentraler Werkstätten, in denen mittlerweile rund 5.500 Menschen wirken. Das Prinzip: Open Source. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin kann die Pläne einsehen, verbessern, Druckvorlagen optimieren und wieder hochladen. "Auf diese Weise wird jeder Entwicklungsschritt sichtbar", sagt Gantner. "In der Natur nennt man das Evolution, in der Technik Iteration." Der Arzt schwärmt von der "Wisdom of the crowds", von der Weisheit der Masse.  

Tobias Gantner (l.) und Jonas van Hagen © Christian Parth

Faceshields sind das Maker-Produkt der Stunde, da sie recht einfach zu konstruieren sind. Die Kopfhalterung wird aus Polylactiden (PLA) im Schichtdruckverfahren im 3-D-Drucker gefertigt. Das Visier besteht idealerweise aus PET, das man auch von Pfandflaschen kennt. Am besten lässt es sich mit einem Lasercutter zuschneiden. Die Druckvorlage hat der tschechische Hersteller Prusa der Szene kostenlos zur Verfügung gestellt. Seitdem laufen in Kellern, Garagen, Arbeitszimmern, aber auch in den Werkhallen von Unternehmen in ganz Deutschland die Drucker und beschleunigen die Stromzähler. 2.500 Watt pro Stunde verbraucht etwa Gantners Drucker. "Das ist ungefähr so, als würde man den ganzen Tag zwei Wasserkocher parallel laufen lassen", sagt er.


Jeder Maker ist an einen regionalen Hub angeschlossen. Dort behält man die Übersicht über die Produktionskapazitäten, ermittelt den Bedarf und organisiert die Verteilung. Die Kommunikation läuft über Slack und WhatsApp. Fertige Faceshields werden von Fahrradkurieren oder privat mit dem Auto ausgeliefert. Ehrenamtlich in der Freizeit. "Geld verdient hier keiner", sagt Gantner. Die ganze Szene sei von derselben Motivation getrieben. "Es geht um Hilfe in einer schwierigen Zeit. Um die Conditio Humana."

Die Maker-Szene fristete bislang eher ein Schattendasein. Seit etwa 2010 gibt es die Community in Deutschland. Technik- und Informatik-Nerds, aber auch Architekten und Modellbauer, die für den Job oder einfach aus Spaß irgendwelche Sachen dreidimensional ausdrucken. "Bisher hat sich eigentlich kaum jemand für uns interessiert", sagt Jonas van Hagen. "Wir wurden eher belächelt." Der 24 Jahre alte Informatikstudent betreut den Hub in Bottrop und ist zudem Ganters Assistent in der Siegburger Garagendruckerei. "Ich kenne mich mit den Dingern ganz gut aus", sagt er und drückt auf dem Touchpad ein paar Tasten, um den Drucker neu zu kalibrieren.

Acht 3-D-Drucker hat van Hagen in seiner Wohnung stehen. Damit hat er das Grammofon seines Großvaters wieder zum Laufen gebracht, Elektronikteile gefertigt, aber auch verzehrbare Marmorkuchen gedruckt.