Doktorgrad:Giffey im Glück - und die SPD gleich mit

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Familienministerin Giffey zählt zu denen, die selbst in dieser oft so zerstrittenen Koalition wie ein leuchtender Pluspunkt herausragen. (Foto: Getty Images)

Die Familienministerin kann trotz fehlerhafter Doktorarbeit bleiben, was sie ist. Aber sie konnte sich nicht für das bewerben, was sie hätte werden können: SPD-Vorsitzende. Die Partei atmet trotzdem auf und das Kabinett gleich mit.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Kein Entzug des Doktorgrades, kein Rücktritt, kein Verlust einer tragenden Säule im Kabinett - Franziska Giffey und den Sozialdemokraten ist in kritischsten Zeiten ein weiterer Nackenschlag erspart geblieben. Die Freie Universität Berlin hat die Doktorarbeit der 41-Jährigen gerügt, aber nicht die ultimative Strafe ausgesprochen. Was monatelang drohend über der Karriere der SPD-Politikerin schwebte, ist als Sturm gekommen und als Stürmchen gegangen. Ihre Haare sind zerzaust, Schlimmeres aber ist ausgeblieben.

Das ist nicht nur für die SPD ein Glück, sondern für die Politik insgesamt. Weder die Sozialdemokraten noch der Berliner Politikbetrieb verfügen über viele Politikerinnen vom Schlage Franziska Giffeys. Sie ist leidenschaftliche Sozialdemokratin und kann das selbst in schwierigsten Zeiten mühelos ausstrahlen. Sie zählt zu denen, die selbst in dieser oft so zerstrittenen Koalition wie ein leuchtender Pluspunkt herausragen. Sie ist ansteckend optimistisch und hat bislang wenig von den Tricksereien und Taktierereien, denen man sonst in Berlin durchaus begegnet. Nicht nur die SPD, auch die Koalitionspartner werden aufatmen.

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Was in ihr selbst nun so vorgeht, lässt sich nur erahnen. Eines aber gilt als sicher: Sie wird hin und her gerissen sein zwischen der Erleichterung über die Entscheidung und dem Ärger, dass das so lange gedauert hat. Seit Februar prüfte ausgerechnet eine Fakultät der politischen Wissenschaften ihre Arbeit - und weil sie nicht früher fertig wurde, konnte Giffey im Rennen um den SPD-Vorsitz nicht antreten.

Das ist, knapp gesagt, ein erstaunliches Verhalten. Natürlich wusste alle Welt, was für Giffey mit dem Vorwurf auf dem Spiel stand. Umso erstaunlicher war es, dass die Uni sich nicht bemühte, eine Arbeit so zu prüfen, dass ihr nicht alle Wege verbaut werden. Dass eine Universität dafür einige Monate braucht, ist verständlich. Aber dass sie noch länger benötigte, war für Wissenschaftler, die tagein und tagaus Politik erforschen, vorsichtig ausgedrückt, erstaunlich unpolitisch.

Man kann das wissenschaftliche Unabhängigkeit nennen. Man kann es aber auch als unnötige Verzögerung kritisieren. Selten jedenfalls hat eine Universität in politisch heiklen Zeiten durch langsames Handeln derart Einfluss genommen.

Für Giffey ist das schmerzlich, aber vergossene Milch. Es lohnt nicht mehr, sich lange darüber zu ärgern. Die Kandidatur für den SPD-Vorsitz ist ihr, jedenfalls wenn kein Wunder mehr geschieht, verschlossen geblieben. Am Donnerstag erklärte sie dann auch nochmal, dass sie nicht in das laufende Verfahren zur Findung einer neuen Parteispitze einsteigen werde. Anderes dagegen bleibt möglich. Selbst eine Spitzenkandidatur - zum Beispiel in Berlin - ist alles andere als ausgeschlossen. Und davor wird sie weiter im Bundesfamilienministerium wirbeln.

Guttenberg erntete Schadenfreude

Es ist schon erstaunlich, aber nicht ungerecht: Als andere wie Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in ihre Dissertationskrise gerieten, herrschte vor allem Schadenfreude. Zu selbstbewusst war zu Guttenberg; zu arrogant blockte er Kritik ab. Bei Giffey liegen die Dinge anders: Von Anfang an hofften selbst Christdemokraten und Christsoziale, sie würde nicht das gleiche Schicksal ereilen.

Das zeigt, dass selbst im manchmal garstigen Geschäft der Politik nicht nur und ausschließlich der Konkurrenzgedanke zählt. In Zeiten, in denen die Demokratie insgesamt gute, leidenschaftliche, glaubwürdige Politiker bitter benötigt, kann die Frage des Parteibuchs tatsächlich mal in den Hintergrund rücken.

Der wichtigste Gewinn ist gleichwohl einer für die Sozialdemokraten. Sie behalten einen Trumpf im Kabinett, der im Idealfall ab jetzt weiter ausstrahlt. Tatsächlich wird die eigentliche Kunst von jetzt an darin bestehen, die Auswahl an der Parteispitze und das politische Pfund namens Giffey in ein gutes Gesamtkunstwerk zu überführen. Ob das gelingt, wie es gelingt, wann es gelingt - darauf müssen die Sozialdemokraten jetzt eine Antwort versuchen.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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