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SPIEGEL-Umfrage Die Deutschen rücken von der Globalisierung ab

Im Land des Exportchampions Deutschland war lange klar: Die Mehrheit sieht die Globalisierung als Chance. Doch die Verhältnisse drehen sich ins Gegenteil. Die Mitte der Gesellschaft denkt um.
Finstere Aussichten für den Welthandel? Containerschiffe liegen an den Terminals im Hamburger Hafen

Finstere Aussichten für den Welthandel? Containerschiffe liegen an den Terminals im Hamburger Hafen

Foto: Axel Heimken/ dpa

Rund jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Außenhandel ab. Die Stärke der heimischen Wirtschaft im Exportgeschäft hat lange auch das Verhältnis der Bürger zu Globalisierung geprägt: Für eine relativ breite Mehrheit waren Freihandel und Reisefreiheit eher positive Faktoren und kein Anlass zu großer Sorge.

Doch die Mehrheitsverhältnisse sind ins Rutschen geraten, sie haben sich ins Gegenteil verkehrt: In einer aktuellen SPIEGEL-Umfrage geben nur noch 38,3 Prozent der Befragten an, die Globalisierung eher als Chance anzusehen, 57,7 Prozent empfinden sie hingegen als Risiko. Zum Vergleich: Im Mai 2017 empfanden 63,5 Prozent der Befragten die Globalisierung als Chance, nur 38,8 Prozent bezeichneten sie als riskant.

Seit die Covid-19-Pandemie im Frühjahr Deutschland erreicht hat, ist die Ablehnung der Globalisierung drastisch gestiegen. Doch die Daten, die das Umfrageinstitut Civey für den SPIEGEL laufend erhebt, zeigen auch eine zweite, langfristigere Entwicklung: Der Anteil der Globalisierungsbefürworter schrumpft nicht erst seit den Ausbrüchen des Coronavirus. Er geht bereits seit Längerem sukzessive zurück, von Monat zu Monat betrachtet kaum merklich, langfristig aber deutlich erkennbar.

Die Umfrage ist repräsentativ. Civey befragt dafür im Laufe von drei Monaten jeweils mehr als 3000 Personen. Die Erhebung erlaubt auch einen Blick darauf, wie unterschiedlich die Anhänger der großen im Bundestag vertretenen Parteien auf die Globalisierung blicken. Unter Anhängern von Union, SPD und Grünen halten sich Skeptiker und Befürworter der Globalisierung in etwa die Waage.

Anders sieht es an beiden politischen Rändern aus: Sowohl Anhänger der Linken als auch Wähler der AfD sehen die Globalisierung überwiegend als Risiko. Lediglich unter den FDP-Anhänger sieht noch eine klare Mehrheit der Befragten mehr Chancen als Risiken.

Der Blick auf die Parteipräferenz offenbart auch, in welchem politischen Lager in den vergangenen Jahren die Verschiebungen besonders groß waren. Bei Globalisierungsskeptikern bei AfD und Linkspartei sowie bei den liberalen Globalisierungsbefürwortern hat sich an den Mehrheitsverhältnissen relativ wenig verändert.

Anders ist das bei CDU/CSU und SPD: Viele Wähler dieser Parteien der alten bundesdeutschen politischen Mitte haben sich in den vergangenen Jahren von der Globalisierung abgewendet. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich darüber hinaus auch bei Bürgern ab, die mit den Grünen sympathisieren.

Wirtschaftsexperten sehen diese Entwicklung mit großer Sorge. In Deutschland sei eine "ziemlich eigenartige Diskussion" in Gang gekommen, warnt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).

Immer mehr Politiker forderten, die Bundesrepublik müsse unabhängiger vom Ausland werden und einen höheren Grad der Selbstversorgung erreichen, sagte Felbermayr dem SPIEGEL. "Wenn die ganze Welt anfängt, nach der Logik zu handeln, dann wird Deutschland der größte Verlierer sein."

Mittelfristig legten die Deutschen so die Axt an ihren eigenen Wohlstand, mahnt der Ökonom. Weltweit gebe es kein anderes Land, dass Jahr für Jahr einen ähnlich hohen Handelsbilanzüberschuss wie Deutschland erwirtschafte. Die wachsende Skepsis erinnere in Teilen "an die Europaskepsis im Vereinigten Königreich vor dem Brexit".

Den Briten sei über Jahre erzählt worden, alles Böse komme aus Brüssel, so Felbermayr. "Irgendwann ist dann tatsächlich die Unterstützung für Europa erodiert. Die Globalisierungsdebatte in Deutschland verläuft ähnlich, sie wird ausgesprochen pauschal und mit ungenauen Argumenten geführt", kritisiert Felbermayr.

Das Meinungsforschungsinstitut Civey  arbeitet mit einem mehrstufigen voll automatisierten Verfahren. Alle repräsentativen Echtzeitumfragen werden in einem deutschlandweiten Netzwerk aus mehr als 20.000 Websites ausgespielt (»Riversampling«), es werden also nicht nur Nutzer des SPIEGEL befragt. Jeder kann online an den Befragungen teilnehmen und wird mit seinen Antworten im repräsentativen Ergebnis berücksichtigt, sofern er sich registriert hat. Aus diesen Nutzern zieht Civey eine quotierte Stichprobe, die sicherstellt, dass sie beispielsweise in den Merkmalen Alter, Geschlecht und Bevölkerungsdichte der Grundgesamtheit entspricht. In einem dritten Schritt werden die Ergebnisse schließlich nach weiteren soziodemografischen Faktoren und Wertehaltungen der Abstimmenden gewichtet, um Verzerrungen zu korrigieren und Manipulationen zu verhindern. Weitere Informationen hierzu finden Sie auch in den Civey FAQ .

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