Coronavirus: Dabeisein ist alles

In Griechenland ist alles dicht. Bild: W. Aswestopoulos

Das öffentliche Leben des Landes ist nahezu komplett stillgelegt, nur die Kirche genießt noch Ausnahmezustand

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In Griechenland werden trotz vergleichsweise wenigen Corona-Infektionen sehr strenge Quarantänemaßnahmen erlassen. So wurde das öffentliche Leben des Landes mit Wirkung ab Freitagnacht 24 Uhr nahezu komplett still gelegt. Zwei Nachbarstaaten, Albanien und Nordmazedonien haben ihre Grenzen zu Griechenland bereits geschlossen. Griechenland hat seinerseits den Flugverkehr mit Italien eingestellt. Somit bleibt dem Land, das den Grenzverkehr mit der Türkei nicht nur wegen der Flüchtlingskrise eingeschränkt hat, als Landverbindung nur die Grenze zu Bulgarien. An der Grenze zur Türkei werden Reisende hinsichtlich ihres Fiebers kontrolliert.

Die gemeldeten Infektionszahlen aus Griechenland werden künftig nur noch die Fälle enthalten, bei denen die Erkrankung mit verstärkten Symptomen ausbricht. Personen, die unter leichteren Symptomen leiden, sollen zu Hause bleiben und sich unter Quarantäne stellen. Dabei sollen sie vermeiden, die Krankenhäuser für Tests aufzusuchen. Tests für Personen mit geringeren Symptomen sind lediglich für Personal der Gesundheitsdienste und für gesundheitlich gefährdete Personen vorgesehen.

Dies hat Auswirkungen auf die neuen Fallzahlen, die am Samstagabend offiziell mit 228 angegeben wurden. Drei Personen sind bereits an der Infektion verstorben. Zu den Infizierten gehören indirekt auch der Regierungssprecher sowie ein Abgeordneter der Nea Dimokratia. Ein bei den übrigen Kabinettsmitgliedern durchgeführter Test ergab bislang kein positives Ergebnis. Der Regierungssprecher Stelios Petsas steht, trotz noch negativem Testergebnis, unter Quarantäne, weil seine Ehefrau erkrankt ist.

Kein Glücksspiel, keine Cafés, kein Haarschnitt … und keine Bordellbetriebe

Die Schulen und Universitäten des Landes wurden bereits frühzeitig geschlossen. Griechenland fürchtet, dass wegen des durch die Sparmemoranden kaputt gesparten öffentlichen Gesundheitssystems Zustände wie in Italien drohen. So hat das Land relativ wenige Betten in Intensivstationen. Es gibt aber auch komplett eingerichtete Intensivstationen, deren Betrieb wegen Personalmangel nicht möglich ist.

Zudem zeigte der freie Markt sich bereits frühzeitig von der übelsten Seite. Einfache Schutzmasken, die noch vor der Krise im Zehnerpack für weit weniger als 4,50 Euro angeboten wurden, kosten nun bis zu 7,50 Euro das Stück, wenn sie überhaupt noch in den Regalen der Apotheken auffindbar sind. Reinigungsmittel, Handreinigungsgel und Desinfektionstücher sind überall Mangelware. Wegen des Mangels an Testmöglichkeiten im staatlichen Gesundheitswesen versuchten viele, den Test in einer Privatklinik zu machen.

Die Regierung reagierte zumindest auf den Mangel an Desinfektionsmitteln mit einer ungewöhnlichen Maßnahme. Beschlagnahmter Alkohol wird Apotheken überlassen, so dass die Apotheker ihrerseits daraus Desinfektionsmittel herstellen können.

Die Schulschließungen führten jedoch dazu, dass sich die Jugend in den Cafés sammelte. Ergo wurden am Freitag auch die Cafés, Restaurants und Bars landesweit geschlossen. Es ist bezeichnend, dass ein infiziertes Ehepaar samt Sohn ein Café weiter betrieb, obwohl die drei bereits erkrankt waren. Sie wurden entdeckt, als einer der drei während der Arbeit ohnmächtig wurde. Ohnmächtig wurde am Samstag auch ein unter Quarantäne stehender Mann, der in Thessaloniki widerrechtlich sein Haus verlassen hatte und in einem Sportgeschäft einkaufen wollte.

Die Gesundheitsbehörden reagieren mit ihren immer drakonischeren Maßnahmen auf die Verantwortungslosigkeit zahlreicher Bürger. Die Schließung betrifft auch große Shopping-Malls, zumal in einem der größten Einkaufszentren Athens, einem früher als Pressezentrum für Olympia 2004 errichteten Gebäude, wegen eines Corona-Falls eine Evakuierung stattfinden musste. Verstöße gegen die Verbote werden scharf verfolgt und bestraft. So wurde am Samstag auch ein Supermarktbetreiber verhaftet. Supermärkte und Apotheken sind bislang von allen Verboten ausgenommen, aber der betreffende Supermarkt liegt in einer Shopping Mall.

Shutdown in Griechenland (9 Bilder)

Bild: W. Aswestopoulos

Theater und Kinos hatten bereits vor der verordneten Quarantäne-Maßnahme wegen der Ansteckungsangst kaum Publikumsverkehr. Mit den Maßnahmen am Freitag wurde das gesamte öffentliche Leben lahm gelegt. Dass auch Bordellbetriebe geschlossen wurden ist lediglich eine Randnotiz in einer langen Liste. Es ist in Griechenland bis auf weiteres nicht möglich, einen Frisör, ein Kosmetikstudio, ein Nagelstudio oder irgendeine Sportanlage aufzusuchen.

Bis auf weiteres sind auch die Gerichte des Landes geschlossen. Nur von der Verjährung bedrohte Strafverfahren und Schnellgerichte können noch verhandelt werden).

Die Krankenhäuser im Land schieben sämtliche nicht lebensnotwendigen Operationen auf. Die zur allgemeinen Gesundheitsversorgung der Bürger eingerichteten Nachmittagssprechstunden in Krankenhäusern fallen bis auf weiteres aus. Der Zugang zu Krankenhäusern wird überwacht, damit sich nicht wie in den Tagen zuvor, fiebrige Personen als Besucher unter die Patienten mischen. Besuche von Kranken sind ebenfalls verboten.

Mit etwas Verzögerung wurden auch die Museen und archäologischen Stätten für die Öffentlichkeit gesperrt. Bei jeder neuen Einschränkung entdecken einige Griechen Orte, die noch nicht gesperrt sind. So sammelten sich am Samstag bei strahlendem Frühlingswetter zahlreiche Athener an den als Strandanlagen organisierten Stränden rund um die Hauptstadt. Ein gleiches Bild bot sich in Thessaloniki. Während klassische Kurzurlaubsziele, wie die Orte der Insel Euböa, eine Stunde Fahrt von Athen entfernt, Geisterstädten glichen.

Premierminister Kyriakos Mitsotakis reagierte umgehend. Er verhängte per Dekret eine Schließung der Strände. Um ausbleibende Touristen muss sich Mitsotakis kaum Sorgen machen. Denn diese können im Land keine Unterkünfte finden. Saisonale Hotels, Pensionen und Tourismusanlagen bleiben bis einschließlich 30. April geschlossen. Außer den Stränden wurden auch die Skigebiete des Landes gesperrt.

Die nächsten Verbote sind zu erwarten, zumal in Thessaloniki am Samstagabend Bars, Getränke an Passanten abgaben und diese dann fröhlich am Strand und in den Straßen feierten. Allein den Bürgern, die in Fernsehspots immer wieder an ihre "persönliche Verantwortung für die anderen" erinnert werden, die Schuld zuzuschieben, wäre billig. Schließlich ließen sich gleich mehrere Parlamentarier und Minister der Regierung am Freitagabend lachend in einem Restaurant fotografieren.

Die Kampagne "Wir bleiben Zuhause" wurde weiter intensiviert. Das Logo der Kampagne ziert auch einige der geschlossenen Geschäfte, Architekturbüros und Fahrschulen. Es taucht in regelmäßigen Abständen als Einblendung bei Sendungen im Fernsehen auf. Für Montag wurden nach den Erfahrungen des Samstags neue Restriktionen für die Supermärkte angekündigt. Hier soll das Gedränge in den Läden unterbunden werden.

Die Quarantänen und Restriktionsmaßnahmen zeigen nicht nur in den Wirtschaftsbetrieben des Landes lähmende Wirkung. Auch die Energieversorgung des Landes ist wegen zahlreicher Maßnahmen in Gefahr.

"This ist Sparta"

Mitten in der Panik rund um die Pandemie des neuen Coronavirus wurde am Freitag in den Stätten des antiken Olympia das Olympische Feuer entzündet. Was folgte, stellt in Zeiten der überall verordneten Quarantänemaßnahmen ein Musterbeispiel für Verantwortungslosigkeit dar.

Der Brauch, das Feuer in Olympia zu entzünden und danach mit einer Fackelstafette zum Austragungsort der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit zu bringen, von wo es dann vom jeweiligen Veranstalter abgeholt wird, geht auf eine Idee für die Spiele von 1936 zurück. Eine Abschaffung dieser durchaus negativ belasteten Tradition hätte in Zeiten von Corona durchaus begründet werden können. Das Nationale Olympische Komitee entschied anders. Es begrenzte die Ehrengäste bei der Zeremonie der Entzündung des Feuers und ließ dann den Schauspieler Gerard Butler als einen der ersten Läufer nach Sparta antreten.

Der Star des Films "300" sah sich geehrt und intonierte mehrmals seinen Filmspruch "This is Sparta". Hunderte von Bürgern drängten sich eng um ihr Idol, um mit ihren Mobiltelefonen ein Selfie aufzunehmen. Sie hatten mit dem NOK-Chef Griechenlands Spyros Kapralos und dem Bürgermeister von Sparta ein Vorbild für ihr in Corona-Zeiten verantwortungsloses Verhalten. Für den Fackellauf des Schauspielers hatten sich Tausende auf den Straßen versammelt. Nur halbherzig hatte die Stadtgemeinde Sparta empfohlen, das Geschehen doch lieber vom Balkon aus oder am Fernseher zu verfolgen. Das Ereignis war zuvor in landesweiten Medien und im Fernsehen beworben worden.

Nachdem die Show um Butler vorbei war, entdeckte das NOK Griechenlands, dass die Menschenansammlung beim Staffellauf keine sehr gute Idee war. So wurde kurzerhand der Lauf der übrigen Staffelteilnehmer "aus Verantwortung für die Gesundheit der Bürger" abgesagt.

Noch nicht abgesagt sind die religiösen Veranstaltungen im Land. Die Heilige Synode der griechischen Kirche möchte am Montag tagen, um über die Situation rund um das Virus und die Pandemie zu diskutieren. Bis dahin gilt noch der letzte Entscheid der Synode, dass ein Kirchenbesuch samt Eucharistie für Gläubige vollkommen ungefährlich ist. Nur im Kleingedruckten bemerkt die Synode, dass alte und vorerkrankte Menschen auch zuhause bleiben könnten. Die Kirche diskutiert auch Open Air Messen, bei denen zahlreichen Bischöfen zufolge das gemeinsame Abendmahl aus einem Kelch und mit einem Löffel für alle nicht ansteckend sein soll. Zudem küssen die Gläubigen traditionell die Ikonen in ihren Kirchen, eine Tradition, die jedem Epidemiologen die Schweißperlen auf die Stirn treiben müsste. Dennoch finden sich gläubige Ärzte und Epidemiologen, welche auch dies als ungefährlich darstellen.

Das gesetzlich verordnete Versammlungsverbot gilt offenbar nicht für die Kirchen. Die Macht der Kirche ist so groß, dass bei einschlägigen Fernsehdiskussionen zum Thema Kirchenvertreter ihre Version der Epidemie-Vorsorge präsentieren können und Ärzten als gleichwertige Experten gegenüber gestellt werden.

Die Sichtweise der Amtskirche stützen auch Regierungspolitiker, wie Wirtschaftsminister Adonis Georgiadis. In Fernsehsendungen sagt er Sätze wie: "Ich vertraue der Kirche, sie urteilt verantwortungsvoll" und "Sollen die Ungläubigen doch unter sich bleiben". Als Gesundheitsminister der Regierung Samaras hatte sich Georgiadis übrigens 2013 gerühmt, dass er "den Ruhm, Ärzte und Pfleger zu entlassen" keineswegs den Kreditgebern überlassen wolle. Die Schwächung des staatlichen Gesundheitssystems geht zum großen Teil auf das Konto des tiefgläubigen Ministers.

Wunderbare Handcremes als Infektionsschutz

Und dann gibt es angebliche Wundermittel, die in Zeiten der Panik von Quacksalbern aller Art gern angeboten werden. Ausgerechnet ein Parlamentarier, der Vorsitzende der Partei "Griechische Lösung", Kyriakos Velopoulos, gehört zu denjenigen, die im Fernsehen Wunderprodukte anpriesen. Der Rechtspopulist und Militärfan Velopoulos hat einen eigenen Fernsehsender samt Teleshop, über den er eine Handcreme als Wunderwaffe gegen Infektionen bewarb.

Nun muss er nach einer Anzeige der Apothekerkammer dem Staatsanwalt erklären, wie die unter dem Namen "Vyzantinon" beworbene Creme, das machen soll, was Ärzte auf der gesamten Erde noch nicht geschafft haben. Velopoulos sieht sich aus politischen Gründen zu Unrecht beschuldigt und verweist auf Medienkonzerne und Interessenverbände, welche ihn im Visier hätten.

Asylbewerber und Migranten mit beschränkten Rechten

Zu den zahlreichen geschlossenen Behörden gehört auch die Asylbehörde. So werden nun selbst die vor dem 1.3.2020, dem Stichtag der umstrittenen Aufhebung des Asylrechts in Griechenland gestellten Anträge zumindest bis zum 10. April nicht mehr bearbeitet.

Der erste bestätigte Infektionsfall in einem der Lager betrifft keinen der Flüchtlinge oder Migranten. Eine im Abschiebegefängnis Amygdaleza beschäftigte Polizistin wurde positiv getestet. Sie hatte sich offenbar auf einer Urlaubsreise angesteckt.

Aus Furcht vor einer Ansteckung in einem der Lager, in denen vollkommen inakzeptable hygienische Verhältnisse für die Insassen herrschen, haben sich die dort dienenden Polizisten an die zuständigen Ministerien gewandt). Sie bemängeln, dass auch für sie keinerlei Schutzmaßnahmen getroffen wurden.

450 der bislang in einem Fährschiff auf der Insel Lesbos eingesperrten Flüchtlinge und Migranten wurden am Samstag per Schiff in Lager in Malakassa bei Athen und ein weiterens Lager in Serres gebracht. Es handelt sich um Personen, die nach Aufhebung des Asylrechts in Griechenland ankamen. Sie sollen schnellstens abgeschoben werden.