Flüchtlinge und Migranten an der EU-Außengrenze

Chios. Foto: Wassilis Aswestopoulos

…im Schatten des Coronavirus

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verlangt einen Krisengipfel zu den Flüchtlingen und Migranten mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser soll am 17. März in Istanbul stattfinden. Eventuell wird auch der britische Premier Boris Johnson teilnehmen. Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis ist nicht eingeladen.

Erdogan traf am Montag in Brüssel mit der EU-Spitze zusammen. Mitsotakis reiste nach Berlin und Wien, um dort für seine Flüchtlingspolitik der geschlossenen Grenzen zu werben und materielle sowie personelle Hilfe für seinen Grenzschutz zu erbitten.

Chios. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die griechische Regierung rüstet an den Grenzen weiter auf. Auch aus Zypern kam ein kleines Kontingent von Polizisten für die Unterstützung der Grenzpatrouillen. Überschattet wird die Krise an den Grenzen seit Montag von der Angst wegen des Coronavirus.

Maßnahmen gegen den Virus auf beiden Seiten der Grenze

Berichten gemäß sollen auch in der Türkei, die offiziell noch keinen CoVid-19 Fall meldete, Schutzmaßnahmen getroffen worden sein. In Griechenland ist derweil die Corona-Panik ausgebrochen. Hochschulen, Schulen, Nachhilfeschulen und Seniorentreffs wurden im gesamten Land geschlossen. Behörden und Ämter bereiten Notfallpläne für den Fall einer Infektion in den eigenen Reihen vor.

Gesundheitsminister Spahn und der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis. Foto: Büro des griechischen Premierministers/Dimitris Papamitsos

Pläne für die Flüchtlingslager und Hotspots und deren Schutz vor CoVid-19 Infektionen sind nicht bekannt.

Die Politik tagt und vertagt

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärte am Montagabend, nach ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, dass der 2016 abgeschlossene Vertrag der EU mit der Türkei bezüglich der Flüchtlinge und Migranten, umgangssprachlich als EU-Türkei-Pakt bekannt, in Kraft bleibt.

Offenbar hat der türkische Präsident gegenüber der Forderung der EU, die an der Landgrenze zu Griechenland Campierenden abzuziehen, keine Zusage gegeben, wie Korrespondenten aus Brüssel berichten.

Von der Leyen betonte, dass neben Griechenland auch die Türkei mit Recht darauf hinweise, Probleme aufgrund der Flüchtlingskrise zu haben. Zu den positiven Aspekten der Einigung soll dagegen nach Angaben griechischer Medien zählen, dass es nun auch möglich sein soll, Asylbewerber vor einem Abschluss des Verfahrens von den Inseln, auf denen sie ankommen, auf das griechische Festland zu bringen.

Chios. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Denn alle, die es ohne Abschluss eines Asylverfahrens schaffen, aufs Festland zu gelangen, sind von den Abschiebungsregelungen des EU-Türkei-Pakts ausgenommen. Dies gilt auch für diejenigen, die über die Landgrenze nach Griechenland kommen.

Am gleichen Tag des EU-Meetings mit Erdogan traf sich der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und weiteren Politikern wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Friedrich Merz. Mitsotakis warb in Deutschland um deutsche Investoren und versuchte gleichzeitig Unterstützung für die Abschottung der griechischen Grenzen als EU-Außengrenze zu bekommen.

Dort, wo die in Brüssel und Berlin beschlossene Politik ihre Auswirkungen zeigt, auf den griechischen Inseln, an der Landgrenze zwischen beiden Ländern und in der Türkei, wird sich entscheiden, ob eine Einigung auf Basis des EU-Türkei-Pakts funktionieren kann. Bislang ist davon nicht viel zu sehen.

Themen, wie der offensichtliche eklatante Bruch des internationalen Asylrechts durch die griechische Regierung werden bei den politischen Tagungen kaum angesprochen. Im Vordergrund des Interesses der EU steht offenbar der Schutz der Außengrenze. "Um jeden Preis", wie Mitsotakis oft betont.

Friedrich Merz und Kyriakos Mitsotakis. Foto: Büro des griechischen Premierministers/Dimitris Papamitsos

Griechenland lässt keine neuen Asylanträge zu. Alle, die seit dem 1. März ins Land gekommen sind, bekommen auch im Fall berechtigten Interesses keine Möglichkeit zum Stellen eines Antrags. Auf Lesbos werden 451 Personen, darunter Frauen und Kleinkinder, auf einem im Hafen von Mytilene liegendem Fährschiff des Militärs untergebracht.

In der Hauptstadt Chios der gleichnamigen Insel gibt es für die vom Asylrecht Ausgeschlossen immerhin eine Unterbringung in streng bewachten Gebäuden. Hilfsorganisationen haben bis auf medizinisches Personal keinen Zugang zu den Eingesperrten.

Obwohl das UN-Hochkommissariat und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen dagegen protestieren, steht eine Änderung der Politik Mitsotakis in dieser Frage nicht zur Diskussion.

Chios, Lesbos, Samos - ein Beispiel für das Scheitern des Pakts

Auf den Inseln Lesbos, Chios und Samos hat sich ein Großteil der Journalisten wegen der zahlreichen Angriffe auf sie zurückgezogen.

Die Journalisten wurden nicht nur von rechtsextremen Bürgern, sondern auch von der Polizei bedroht, drangsaliert und geschlagen. Zudem werden Journalisten gern von Polizisten für einen Personenüberprüfung kurzzeitig in Gewahrsam genommen.

Chios. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Hinsichtlich der gewalttätigen Konflikte zwischen überwiegend rechtsradikalen Gruppen und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen sowie privaten Flüchtlingshelfern greift die Polizei nicht oder nur spät ein. Abgesehen von der Tatsache, dass am Montag der erste CoVid-19-Fall auf Lesbos entdeckt wurde, hat sich die Lage auf den drei Inseln einigermaßen beruhigt. Die Infizierte, eine Griechin aus Lesbos, hatte sich bei einer Pilgerreise nach Israel angesteckt.

Die Stadträte auf den Inseln tagen. Sie sind eine kleine Version der einzelnen EU-Regierungen. Die Kommunalpolitiker möchten ihren Bürgern keine Flüchtlingslager zumuten. Sie verweigern sich dem Bau neuer geschlossener Lager auf ihren Inseln und verlangen von den Bürgermeistern auf dem Festland Solidarität und die Umverteilung der Flüchtlinge und Migranten.

Doch ebenso wie die nordeuropäischen Staaten Griechenlands Anträge auf eine Quotenregelung verweigern, reagieren die Bürgermeister und Regionalgouverneure auf dem Festland in gleicher Weise.

Stadtrat Chios. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Wegen des EU-Türkei-Pakts müssen Asylbewerber bis zur Entscheidung ihres Verfahrens in den Lagern auf den Inseln, auf denen sie ankommen, bleiben. Kommen sie aufs Festland, dann kann die Türkei eine Rückabschiebung in Berufung auf den Pakt verweigern. Die einzelnen Lager auf den drei am meisten betroffenen Inseln sind dagegen hoffnungslos mit einem mehrfachen der ursprünglich geplanten Kapazität überbelegt.

Für die Unterbringung neuer Asylbewerber hat der Staat deshalb kurzerhand umliegende Felder von Bauern requiriert und diesen Entschädigungen versprochen - und seit 2016 nicht gezahlt. Auch dies ist ein Grund dafür, dass die Bauern und Anwohner auf allen drei Inseln für mehrere Tage die Zufahrten zum Lager sperrten.

In den Lagern selbst gibt es als WC-Anlage eine für die ursprüngliche Kapazität geplante Anzahl chemischer Baustellen-Toiletten. Platz für das Trocknen gewaschener Kleidung wurde offenbar nicht eingeplant. Schließlich sollten die unter der Regierung Tsipras im März 2016 gemäß des EU-Türkei-Pakts eingerichteten Hotspots, die ankommenden Flüchtlinge und Migranten nur für maximal 72 Stunden beherbergen.

Chios. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Während dieser kurzen Zeit, versprach die damalige Regierung, sollten die Anträge auf Asyl hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten mit einem Vorentscheid beurteilt worden sein. Die Resultate dieser Politik sind bekannt.

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