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Meinung Abzug aus Syrien

Trump macht die Nato fast zur Spielzeugarmee

„Manchmal muss man sie ein bisschen kämpfen lassen“

Bei einem Auftritt in Dallas hat Trump die militärische Auseinandersetzung zwischen der Türkei und den Kurdenmilizen mit einem Gerangel zwischen Kindern verglichen: „Manchmal muss man sie ein bisschen kämpfen lassen“, so Trump.

Quelle: WELT/ Christoph Hipp

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Militärbündnisse, wenn sie etwas taugen sollen, gründen auf Berechenbarkeit und Vertrauen. Die Nato hat schon bessere Tage gesehen. Was muss noch passieren, bis die Mitglieder, speziell Berlin, den Ernst der Lage begreifen – und handeln?

Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Seitdem der Wüterich im Weißen Haus dem starken Mann am Bosporus die Kurden als Fraß hinwarf, ist im Mittleren Osten Ernstfall, weit über Kurdistan und seine unglücklichen Bewohner hinaus.

Die amerikanische Interposition Force zwischen Syrien und dem Irak wurde, nachdem Trump und Erdogan am Telefon handelseinig geworden waren, buchstäblich über Nacht aus ihrer Riegelstellung herausgezogen. Ob die beiden Akteure ahnten, was sie taten?

Eine geopolitische Revolution wurde in Gang gesetzt. Folgen und Nebenwirkungen sind noch lange nicht in Sicht, so wenig wie Auswirkungen und Grenzen, weit über die Region hinaus. Das alles geschah ohne Notwendigkeit. Es geschah hauptsächlich, um Trumps republikanische Wähler zu erfreuen.

War es bisher so, dass Amerika im Mittleren Osten verlässlich vitale Interessen behauptete – von den Ölquellen über die Schiffahrtsrouten bis zur strategischen Sicherheit des Staates Israel –, so zählt das auf dem Boden der neuen Tatsachen nicht mehr viel. Strategie nach Gusto, Krieg nach Gutsherrenart, Weltpolitik im Experimentiermodus: Das kann nicht gutgehen, für niemanden.

Kein Staat ist für die Nato wichtiger als die USA

Ob Erdogans Türkei noch zum Nato-Bündnis gehört, außer dem Namen nach, oder aber mit ihrem zynischen Beistandsverlangen gegen die Kurden das Bündnis bis zum Zerreißen politisch und moralisch überfordert, ist derzeit noch offen. Eines jedenfalls ist sicher. Das nordatlantische Bündnis wird niemals wieder sein, was es über lange Jahrzehnte des Kalten Krieges war: ein Sicherheitsversprechen für die Europäer, ein Inbegriff der erweiterten Abschreckung und für die USA die militärische Infrastruktur ihrer atlantischen Weltstellung.

Noch vor wenigen Monaten hat das Bündnis sich als die größte und erfolgreichste Militärallianz aller Zeiten gefeiert. Selbst Trump, der zunächst isolationistische Zweifel hegte und die Nato-Partner ob ihrer finanziellen Knauserigkeit kritisierte, fand lobende Worte. Sie schienen anzuzeigen, dass er in die Tradition aller seiner Amtsvorgänger seit Harry S. Truman eintreten würde.

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Dass allerdings den erfahrenen Militärs und Diplomaten, die über Jahrzehnte die westliche Allianz durch alle Fährnisse gesteuert hatten, alsbald mitgeteilt wurde, im Dunstkreis des Präsidenten sei man ihrer Einsichten und Erfahrungen nicht bedürftig, war ein Warnsignal. Es wurde im baltischen Quartier des Bündnisses mit Zagen zur Kenntnis genommen. In Berlin wurde es weitgehend und unverantwortlich überhört.

Militärbündnisse, wenn sie etwas taugen sollen, gründen auf Berechenbarkeit und Vertrauen und selbstverständlich zuerst und vor allem auch in Eigeninteressen. So ging es auch für die Nato über lange Zeit durch dick und dünn, eingeschlossen die Krisen und Kriege der Jugoslawien-Nachfolge.

Jetzt wehen noch immer die Flaggen aller 29 Nato-Mitglieder vor dem Nato-Hauptquartier am Boulevard Leopold III in Brüssel. Aber es nicht mehr klar, was an Kraft und Macht dahintersteht. Kein Staat ist für das Bündnis wichtiger als die USA.

Putins Sieg ohne Krieg

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Und jetzt? Es war mehr als symbolisch, dass die gemäß dem Befehl des Commander-in-Chief aus ihren Quartieren abziehenden Amerikaner, zumeist Special Forces, den in die Gegenrichtung fahrenden Russen begegneten. Putin hat das erreicht, wovon kluge Feldherren quer durch die Geschichte meist nur träumen: Sieg ohne Krieg.

In der Region zwischen Baltikum und Schwarzem Meer hat er längst schon die Kraftlinien der Geopolitik umgezeichnet. Nun, nach Donald Trumps Entscheidung, wird nichts und niemand Putin hindern – China nicht, Amerika nicht, und auch nicht die Nato –, das „große Spiel“ um Macht, um das „nahe Ausland“ und um die eurasische Sicherheitszone fortzusetzen, ein Spiel, das 1989/90 auf alle Zeit für Russland verloren zu sein schien. Die Lage hat sich radikal verändert.

Aber auch Putin ist anfällig für jene Hybris, die fast unausweichlich mit dem Triumph kommt. Das Amerika des Donald Trump kann als Warnung dienen. Vor zwei Jahrzehnten stand es unangefochten, seiner selbst gewiss: Nach dem Sieg am Persischen Golf 1991 war es Verkünder und selbst ernannter Hüter der „neuen Weltordnung“.

Damals schrieb Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brezinski ein hellsichtiges Buch über Amerika, „The Sole Surviving Superpower“ (Deutsch: „Die einzige Weltmacht“). Was davon geblieben ist, kann man dieser Tage in Europas südöstlicher Unsicherheitszone beobachten.

Die Nato hat schon bessere Tage gesehen. Was muss noch passieren, bis die Nato-Regierungen, speziell die führungslose Führungsmacht in Berlin, den Ernst der Lage begreifen – und entsprechend handeln?

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Quelle: WELT AM SONNTAG

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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