Lawrence Douglas gehört zu jenen einflussreichen Stimmen, die mit großer Sorge auf die US-Wahl im November blicken. Der Juraprofessor mit interdisziplinärem Ansatz (Law, Jurisprudence & Social Thought) ist unter anderem Experte für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen und schreibt auch Romane. An Wissen und Fantasie mangelt es Douglas also nicht, und in seiner jüngsten Abhandlung "Will He Go? Trump and the Looming Election Meltdown in 2020" (Twelve/Hachette, New York 2020) geht er davon aus, dass Donald Trump knapp verliert. Angesichts eines Präsidenten, der Lügen und Verschwörungsfantasien zu seinen liebsten Waffen gemacht hat und oft genug autoritäre Tendenzen zeigt, scheint die Frage berechtigt: Wird er gehen?

ZEIT ONLINE: Professor Douglas, noch sind es fünf Monate bis zur US-Präsidentschaftswahl und niemand weiß, wie die ausgehen wird. Trotzdem haben Sie schon ein ganzes Buch über ein mögliches Wahlergebnis geschrieben. Es stellt die Frage, was eigentlich passieren würde, wenn Donald Trump knapp verliert, sich aber weigert, seine Niederlage anzuerkennen und das Weiße Haus zu räumen. Was würde dann geschehen?

Lawrence Douglas: Um es gleich zu sagen: Das Buch ist kein politischer Thriller, ich male mir nicht aus, dass sich Trump im Oval Office hinter seinem Schreibtisch verbarrikadiert, umgeben von ein paar letzten Getreuen und loyalen Secret-Service-Agenten. Mich interessiert vielmehr ein politisches Szenario, in dem Trump behauptet, er habe gar nicht verloren, oder genauer: Sein legitimer Sieg sei ihm geraubt worden. Das wäre eine sehr gefährliche Konstellation.

ZEIT ONLINE: Für wie wahrscheinlich halten Sie eine solche Situation?

Douglas: Trump hat sich schon 2016 im letzten Fernsehduell mit Hillary Clinton geweigert zu versprechen, dass er eine Niederlage akzeptieren werde. Er wolle die Spannung hochhalten, sagte er damals. Clinton war schockiert, der Moderator war schockiert, viele dachten damals, damit sei Trumps Niederlage besiegelt. Aber es kam anders. Und jetzt arbeitet er bereits erkennbar an einer neuen Strategie, um ein ungünstiges Wahlergebnis in Zweifel zu ziehen.

ZEIT ONLINE: Wie sieht diese Strategie aus?

Douglas: Trump behauptet beispielsweise schon jetzt, das Wahlsystem, besonders die absentee ballots ...

ZEIT ONLINE: ... so etwas wie die Briefwahl in Deutschland ...

Douglas: ... sei besonders anfällig für Manipulation und Betrug. Er zieht also die Legitimität der Briefwahlergebnisse in Zweifel. Warum? Weil die Briefwahl überproportional häufig in großen Städten genutzt wird, also dort, wo meist die Demokraten Mehrheiten erringen. Die Briefwahl nutzt den Demokraten, deshalb attackiert er sie.

ZEIT ONLINE: Gibt es Belege, dass die Briefwahl tatsächlich leicht manipuliert werden kann?

Douglas: Nein. Natürlich ist kein Wahlverfahren perfekt, aber die absentee ballots sind nicht anfälliger als andere Wahlakte. Und wegen des Coronavirus dürfte die Briefwahl im Herbst eine noch viel größere Bedeutung haben als ohnehin in den USA. Trump legt also schon heute das Fundament, um nach der Wahl im November die Ergebnisse anfechten zu können. Seine Zweifel am Briefwahlsystem sind ausschließlich politisch motiviert.

ZEIT ONLINE: Sie entwerfen in Ihrem Buch mehrere Szenarien, in denen der Wahlausgang nicht nur knapp ist, sondern aus verschiedenen Gründen umstritten. In einem Szenario werden die Briefwahlergebnisse angefochten. In einem anderen Fall macht ein massiver Stromausfall, ausgelöst durch einen Hackerangriff, die Wahl in einigen Stimmbezirken unmöglich, es muss Nachwahlen geben. Immer entstehen Chaos und Streit. Welche Regeln und Gesetze gibt es, um damit fertigzuwerden?

Douglas: Genau das habe ich mich damals, 2016, nach der Fernsehdebatte auch gefragt. So entstand die Idee zu diesem Buch.

ZEIT ONLINE: Was haben Sie herausgefunden?

Douglas: Die wichtigste Erkenntnis für mich war: Die Verfassung und die Gesetze der Vereinigten Staaten sichern nicht die friedliche Machtübergabe von einem Präsidenten zum anderen, sie setzen sie einfach voraus. Sie gehen davon aus, dass es gut läuft. So steht zum Beispiel in der Verfassung sehr detailliert, dass die Amtszeit des einen Präsidenten am 20. Januar um 12 Uhr endet und dann die Amtszeit des nächsten beginnt. Aber eine Frage bleibt ohne Antwort: Was passiert, wenn ein Kandidat nicht nach den Regeln spielt, wie lässt sich dann das Chaos verhindern?

ZEIT ONLINE: Und?

Douglas: Es gibt tatsächlich ein Gesetz, das eigentlich genau solche Konflikte verhindern soll. Es stammt aus dem Jahr 1887 und gilt bis heute, aber es ist so schlecht gemacht, es ist so unklar, so widersprüchlich, dass es mehr Probleme schafft als löst. Es würde sogar, fürchte ich, eine Krise noch verschärfen, wenn es so weit käme.