Notfallmedizin aus der Kunstapotheke

Für Risiken und Nebenwirkungen ist der Künstler Hans Thomann zuständig, will man sich sein kunstvolles Angebot an Medikamenten im Sommeratelier Weinfelden einverleiben – eine Wirkung vor allem auf die Hirnzellen ist nicht ausgeschlossen.

Barbara Fatzer
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WEINFELDEN. Ein reich gedeckter Tisch lädt gleich beim Eintritt in die Remise zum Zulangen ein. Mosaikartig sind Hunderte von Pillen, Dragées, Tabletten und Perlen aus Zucker aneinandergereiht, um gegen jedes Wehwehchen eine sofortige wohltuende Wirkung zu versprechen. Allerdings, der Geruch, der von diesem Medikamenten-Sammelsurium ausgeht, lässt den Appetit auf die schönfarbigen Drogen gleich wieder vergehen. Wer weiss, was dieser Apotheker hier noch alles daruntergemischt hat!

Unerreichbarer Lifestyle

Hans Thomann aus St. Gallen hat die Einladung fürs Sommeratelier 2012 in Weinfelden als willkommen entgegengenommen. Er hat sich sofort auf die Geschichte des alten Gebäudes eingelassen und eine einstige Funktion der Remise ihr wieder zugeordnet für seine Installation über die drei Stockwerke. Einst gehörte dieses Gebäude zu einer Apotheke und war Lager für verschiedene Ingredienzien, die – richtig gemischt – Heilung und Wohlbefinden für die Menschen auslösen sollten.

Das interessiert den Künstler seit jeher: Was beeinflusst den Menschen von aussen, und was setzt er ein, um sich zu verändern und sein Leben zu gestalten? Zentral bleibt bei Hans Thomann der Mensch, die sich hier als fingergrosse Figur bis zur 1,85 Meter grossen Konstruktion aus Chromstahl manifestiert. Im Erdgeschoss wird zuerst nur symbolisch erfahrbar gemacht, wie heute unser sogenannter Lifestyle durch Werbung und Wirtschaft geprägt wird, wie viele bedingungslos an verschriebene Medikamente glauben, die Hans Thomann in seinen Werbebotschaften listigerweise auch durch viele bunte Bonbons ersetzt. Der Placeboeffekt ist also nicht nur körperlich gemeint, sondern wirkt sich auch auf unser Denken aus.

Wertet nicht und belehrt nicht

In den zwei oberen Stockwerken tritt einem der Mensch als Abbild oder Spiegelbild dann direkt entgegen. Ist er gefangen in einer nicht absehbaren Verstrickung heutiger unverzichtbarer Infrastrukturen, oder ist er aufgehoben in einem sozialen Netz, das eine kristallklare Struktur hat?

Spätestens hier erfährt man, dass der Künstler Hans Thomann nicht werten oder gar belehren will, was uns guttun könnte, sondern dass er auffordert, wahrzunehmen, was uns krank macht oder gesunden lässt.

Auch der Glaube hilft

Dass der Glaube, in welcher Art auch immer, ein starker Faktor ist, wie man sein Leben gestaltet, kann im Dachstock bewusst werden. Berührend ist da die im Dämmerlicht kaum sichtbare, handgrosse Christusfigur, gegossen in Epoxidharz. Durchsichtig, kaum körperhaft, steht sie auf einer schwarzen Teebüchse wie auf einem winzigen Altar. In ihrem Innern eingeschlossen sind Tabletten gegen Schmerzen, für die Beruhigung und die Potenz. Sie darf eingesetzt werden als «Notfallmedizin für Körper, Geist und Seele». Hilft das? Wer glaubt, er brauche keine Medikamente, könnte die Botschaft sein.