Merkel auf der Sommerpressekonferenz:Und plötzlich wieder Klimakanzlerin

Merkel und Gabriel in Grönland

Sinnbild: Mit dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) besuchte die Kanzlerin 2007 Grönland.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die scheidende Regierungschefin sagt, sie habe stets gegen den Klimawandel gearbeitet - räumt aber ein, es sei "nicht ausreichend viel passiert".

Von Max Hägler und Henrike Roßbach

In ihrer Karriere ist Angela Merkel (CDU) nicht nur mit 18 Ehrendoktorwürden ausgezeichnet worden, sondern noch mit einigen anderen Titeln mehr. Das despektierliche "Mutti" war darunter, die "schwäbische Hausfrau" und früher, sehr viel früher, war sie mal "Kohls Mädchen". Wie Letzteres ausging, ist ja bekannt, ein anderer Titel aber blieb ihr all die Jahre erhalten. Zunächst zierte er Merkel, später verfolgte er sie. Und nun, auf den allerletzten Metern ihrer Kanzlerschaft, ist er wieder aufgeploppt. Der Titel der "Klimakanzlerin".

In Merkels letzter Sommerpressekonferenz ist schon die zweite Frage eine nach dem Klima. Oder vielmehr danach, ob fehlende Radikalität beim Klimaschutz ihr größter Fehler gewesen sei. Merkel sagt, dass Deutschland "vieles gemacht" habe gegen den Klimawandel und dass ihr politisches Leben seit 1994, als sie Umweltministerin wurde, gekennzeichnet gewesen sei "von der Arbeit für Maßnahmen gegen den Klimawandel". Sie referiert, wie stark der Anteil von Strom aus erneuerbaren Quellen gestiegen und der Kohlendioxidausstoß verringert worden sei. Man solle also bitteschön nicht so tun, als sei gar nichts passiert. Dann aber sagt sie: Gemessen an dem Ziel, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten, sei "nicht ausreichend viel passiert". Das Tempo müsse angezogen werden, und dafür gebe es jetzt auch das neue Klimaschutzgesetz und die Klimapläne der Europäischen Union.

Als Umweltministerin verhandelt Merkel 1997 das Kyoto-Protokoll mit, das erste Klimaabkommen, mit dem sich die Industrieländer rechtsverbindlich verpflichteten, ihre Emissionen zu verringern. Zehn Jahre später reist Merkel mit dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) nach Grönland. Es sind diese Bilder von ihr, vor Eisbergen und Gletschern und gehüllt in einen roten Anorak, die sie zur "Klimakanzlerin" machen. Auch beim G-8-Gipfel in Heiligendamm setzt sie den Klimaschutz oben auf die Tagesordnung.

In den Folgejahren aber bröckelt dieses Image zusehends. Zum Beispiel, weil ausgerechnet die Klimakanzlerin in Brüssel stetig für die Interessen der deutschen Autoindustrie wirbt, die gerne weiter große Autos bauen will, ohne allzu strenge Emissionsvorgaben der EU. Überhaupt geht es daheim oft nur in kleine Schrittchen voran.

Letztlich ist es wohl so: Merkel, die Naturwissenschaftlerin, durchdringt die Zusammenhänge und die Warnungen der Wissenschaftler sehr wohl. Merkel, die Politikerin, betont aber immer wieder, dass Politik die Kunst des Machbaren sei. Am Donnerstag in der Bundespressekonferenz sagte sie, die wissenschaftliche Evidenz mahne zu noch mehr Eile, und die Klimabewegung "Fridays for Future" sei eine "Antriebskraft". Das sei aber nicht "die einzige Meinung, die in Deutschland existiert". Und: "Jetzt würde wahrscheinlich Luisa Neubauer sagen, dann muss ich mich halt mehr anstrengen, und dann würde ich sage, dass ich mich anstrenge und versuche, zu überzeugen, aber wir brauchen dafür auch parlamentarische Mehrheiten."

Auch der Klimagipfel von Paris 2015 fällt in Merkels Amtszeit. "Es geht um das Leben der Generationen, die nach uns kommen", sagt sie damals, und dass Deutschland seine Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent vermindern wolle. Erreicht waren damals gerade mal 27 Prozent. Vier Jahre später sagt sie in New York, Deutschland sei bereit, seine Emissionen bis 2050 auf null zu senken. Der damalige Stand waren minus 32 Prozent. So war es oft in Merkels Jahren als Kanzlerin: Wunsch und Wirklichkeit klafften auseinander.

"Mit wissenschaftlichem Verstand ausreichend ausgerüstet", um zu sehen, dass man "schneller werden muss"

Dennoch sind die Schülerdemos, "Fridays for Future", die Wetterereignisse der vergangenen Jahre und wohl auch die Erfolge der Grünen nicht spurlos an Merkels Klimapolitik vorbeigegangen. Im Sommer 2020 lud sie die Klimaaktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer ins Kanzleramt ein, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach das deutsche Klimaschutzgesetz nicht ausreichend sei, nannte sie "wegweisend", und ebendieses von den Richtern gerügte Gesetz wurde in einem Tempo verschärft, das Merkel noch ein Jahr zuvor wohl kaum der Kategorie "machbar" zugeordnet hätte.

Mit diesen Verschiebungen in Ton und Tat ist die Kanzlerin nicht allein in der Union. Noch bevor sie am Donnerstag im Saal der Bundespressekonferenz Fragen beantwortet, hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Vormittag auf dem Nachhaltigkeitskongress der Süddeutschen Zeitung gesagt, "2030 wäre ein wichtiges Signal", und damit den Kohleausstieg gemeint, der bislang für 2038 geplant ist. Außerdem begrüße er auch das Ende des klassischen fossilen Antriebs bei Autos für das Jahr 2035. Die Union, so der CSU-Chef, müsse sich "klarmachen, dass Klimaschutz auch hier Kernthema" sei.

Und die Kanzlerin? Die sagt in Berlin, sie habe gerade in der Zeit als CDU-Vorsitzende sehr dafür geworben, den Klimaschutz nicht aus dem Auge zu verlieren. Und trotzdem sei sie ja "mit wissenschaftlichem Verstand ausreichend ausgerüstet", um zu sehen, dass man "schneller werden muss".

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