Language of document : ECLI:EU:C:2021:890

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

28. Oktober 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Richtlinie 92/83/EWG – Verbrauchsteuern – Bier – Art. 4 Abs. 2 – Möglichkeit, auf von kleinen unabhängigen Brauereien gebrautes Bier ermäßigte Verbrauchsteuersätze anzuwenden – Behandlung zweier oder mehrerer kleiner Brauereien als eine einzige kleine unabhängige Brauerei – Umsetzungspflicht“

In den verbundenen Rechtssachen C‑221/20 und C‑223/20

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Finnland) mit Entscheidungen vom 20. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Mai 2020, in den Verfahren auf Antrag der

A Oy (C‑221/20),

B Oy (C‑223/20),

Beteiligte:

Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Sechsten Kammer I. Ziemele (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Siebten Kammer sowie der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2021,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der A Oy und der B Oy, vertreten durch J. Hopsu, varatuomari,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. Maddalo, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Perrin, I. Koskinen und M. Huttunen als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (ABl. 1992, L 316, S. 21).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Verfahren auf Antrag der A Oy (C‑221/20) und der B Oy (C‑223/20), zweier als Brauereien tätiger Gesellschaften, die sich dagegen wenden, dass ihnen für die Gewährung ermäßigter Verbrauchsteuersätze die Behandlung als kleine unabhängige Brauerei verweigert wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 92/83

3        Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 92/83 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können auf Bier, das von kleinen unabhängigen Brauereien gebraut wird, ermäßigte Steuersätze, die je nach Jahresausstoß der betreffenden Brauereien gestaffelt werden können, unter folgenden Voraussetzungen anwenden:

–        die ermäßigten Steuersätze gelten nicht für Unternehmen, die jährlich mehr als 200 000 hl Bier herstellen;

–        die ermäßigten Steuersätze, die den Mindestsatz unterschreiten können, dürfen nicht um mehr als 50 % unter dem normalen nationalen Verbrauchsteuersatz liegen.

(2)      Zum Zwecke der Anwendung der ermäßigten Steuersätze gilt als ‚kleine unabhängige Brauerei‘ eine Brauerei, die rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist, Betriebsräume benutzt, die räumlich von denen anderer Brauereien getrennt sind, und kein Lizenznehmer ist. Sofern zwei oder mehrere kleine Brauereien zusammenarbeiten und deren gemeinsamer Jahresausstoß 200 000 hl nicht übersteigt, können diese Brauereien jedoch als eine einzige kleine unabhängige Brauerei behandelt werden.“

 Richtlinie 92/84

4        Im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 92/84/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke (ABl. 1992, L 316, S. 29) heißt es:

„Bier wird in den Mitgliedstaaten nach unterschiedlichen Grundsätzen besteuert; diese unterschiedliche Handhabung kann insbesondere weiterhin gestattet werden, wenn eine Mindestabgabe festgelegt wird, die sich nach dem Stammwürzegehalt und dem Alkoholgehalt des Erzeugnisses errechnet.“

 Finnisches Recht

5        § 9 Abs. 1 und 3 des Alkoholi- ja alkoholijuomaverolaki (1471/1994) (Gesetz über die Steuer auf Alkohol und alkoholische Getränke [1471/1994]) bestimmt in seiner bis zum 31. Dezember 2014 anwendbaren Fassung:

„Wenn der Steuerpflichtige zuverlässig nachweisen kann, dass das Bier in einem von anderen Unternehmen derselben Branche rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen gebraut wurde, dessen in einem Kalenderjahr produzierte Biermenge 10 000 000 Liter nicht überschreitet, ermäßigt sich die auf das Bier zu entrichtende Alkoholgetränkesteuer:

1)      um 50 %, soweit die im Kalenderjahr von dem Unternehmen erzeugte Biermenge 200 000 Liter nicht überschreitet;

2)      um 30 %, soweit die im Kalenderjahr von dem Unternehmen erzeugte Biermenge über 200 000 und höchstens 3 000 000 Liter beträgt;

3)      um 20 %, soweit die im Kalenderjahr von dem Unternehmen erzeugte Biermenge über 3 000 000 und höchstens 5 500 000 Liter beträgt;

4)      um 10 %, soweit die im Kalenderjahr von dem Unternehmen erzeugte Biermenge über 5 500 000 und höchstens 10 000 000 Liter beträgt.

Sofern zwei oder mehrere Unternehmen im Sinne von Abs. 1 eine produktionsbezogene oder betriebliche Zusammenarbeit ausüben, ist nicht anzunehmen, dass dies bedeutet, dass zwischen ihnen ein rechtliches oder wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis besteht. Als produktionsbezogene oder betriebliche Zusammenarbeit werden die Beschaffung von Rohstoffen und Materialien, die für die Herstellung des Biers benötigt werden, sowie das Abpacken des Biers, das Marketing und der Vertrieb angesehen. Die Anwendung dieses Absatzes setzt jedoch voraus, dass der gemeinsame Ausstoß an Bier durch die Unternehmen im Kalenderjahr höchstens 10 000 000 Liter beträgt.“

6        § 9 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über die Steuer auf Alkohol und alkoholische Getränke sieht in seiner ab dem 1. Januar 2015 anwendbaren Fassung vor:

„Wenn der Steuerpflichtige zuverlässig nachweisen kann, dass das Bier in einer von anderen Brauereien rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Brauerei gebraut wurde, die von anderen Brauereien räumlich getrennt ist, keine Lizenzherstellung ausübt und deren im Kalenderjahr erzeugte Biermenge 15 000 000 Liter nicht übersteigt, ermäßigt sich die auf das Bier zu entrichtende Alkoholgetränkesteuer:

1)      um 50 %, soweit die im Kalenderjahr von der Brauerei erzeugte Biermenge 500 000 Liter nicht überschreitet;

2)      um 30 %, soweit die im Kalenderjahr von der Brauerei erzeugte Biermenge über 500 000 und höchstens 3 000 000 Liter beträgt;

3)      um 20 %, soweit die im Kalenderjahr von der Brauerei erzeugte Biermenge über 3 000 000 und höchstens 5 500 000 Liter beträgt;

4)      um 10 %, soweit die im Kalenderjahr von der Brauerei erzeugte Biermenge über 5 500 000 und höchstens 10 000 000 Liter beträgt.

Sofern zwei oder mehrere Brauereien im Sinne von Abs. 1 eine produktionsbezogene oder betriebliche Zusammenarbeit ausüben, ist nicht anzunehmen, dass dies bedeutet, dass zwischen ihnen ein rechtliches oder wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis besteht. Als produktionsbezogene und betriebliche Zusammenarbeit werden die Beschaffung von Rohstoffen und Materialien, die für die Herstellung des Biers benötigt werden, sowie das Abpacken des Biers, das Marketing und der Vertrieb angesehen. Die Anwendung dieses Absatzes setzt jedoch voraus, dass der gemeinsame Ausstoß an Bier durch die Brauereien im Kalenderjahr höchstens 15 000 000 Liter beträgt.“

 Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

7        In den Jahren 2015 und 2016 führte der Tulli (Zoll, Finnland) bei A und B, zwei u. a. als Brauereien tätigen Gesellschaften, Betriebsprüfungen hinsichtlich der Steuer auf Alkohol und alkoholische Getränke durch, die von diesen Gesellschaften für die Zeiträume vom 1. Mai 2013 bis zum 31. Dezember 2015 (was A betrifft) bzw. vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2014 (was B betrifft) geschuldet wurden.

8        Während A und B in ihren Erklärungen zur Steuer auf Alkohol und alkoholische Getränke steuerpflichtige Lieferungen von Bier in der Warenkategorie angegeben hatten, für die die Steuer um 50 % ermäßigt ist, war der Zoll der Auffassung, dass sie nicht in den Genuss dieser Ermäßigung kommen könnten, da sie insbesondere deshalb nicht als rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Brauereien im Sinne von § 9 des Gesetzes über die Steuer auf Alkohol und alkoholische Getränke angesehen werden könnten, weil sie beide teilweise von einem Dritten gehalten würden, der gleichzeitig ihr Geschäftsführer sei. Die Zollverwaltung wies zudem, was die gemeinsame Besteuerung von A und B betrifft, darauf hin, dass der finnische Gesetzgeber in diesem § 9 bewusst davon abgesehen habe, zwei oder mehrere kleine Brauereien als eine einzige Brauerei zu behandeln. Folglich setzte der Zoll gegen A und B mit Nachforderungsbescheiden vom 9. Dezember 2016 höhere Steuerbeträge und Strafzuschläge fest.

9        Nachdem ihren Einsprüchen nicht stattgegeben worden war, erhoben A und B jeweils Klage beim Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki, Finnland). Mit Entscheidungen vom 5. November 2018 wies dieses Gericht die Klagen mit der Begründung ab, dass A und B zum einen keinen Anspruch auf den in § 9 des Gesetzes über die Steuer auf Alkohol und alkoholische Getränke vorgesehenen ermäßigten Steuersatz gehabt hätten und dass zum anderen, was die gemeinsame Besteuerung betrifft, die Republik Finnland Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 nicht umgesetzt habe und hierzu nicht verpflichtet sei.

10      A und B legten jeweils Rechtsmittel beim Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Finnland), dem vorlegenden Gericht, ein.

11      Nach Auffassung des Obersten Verwaltungsgerichtshofs gibt es keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob ein Mitgliedstaat, der auf von kleinen unabhängigen Brauereien im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 92/83 gebrautes Bier ermäßigte Verbrauchsteuersätze anwendet, auch Art. 4 Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie anwenden muss oder ob die Anwendung dieser letztgenannten Vorschrift im Ermessen des betreffenden Mitgliedstaats steht.

12      Unter diesen Umständen hat der Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof) beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C‑221/20 und C‑223/20 gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 4 der Richtlinie 92/83 dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der gemäß dieser Vorschrift auf Bier, das von kleinen unabhängigen Brauereien gebraut wird, ermäßigte Verbrauchsteuersätze anwendet, auch die in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie enthaltene Vorschrift über die gemeinsame Besteuerung von kleinen Brauereien anzuwenden hat, oder steht die Anwendung der letztgenannten Vorschrift im Ermessen des betreffenden Mitgliedstaats?

2.      Hat Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 unmittelbare Wirkung?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

13      Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Juli 2020 sind die Rechtssachen C‑221/20 und C‑223/20 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

14      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung von einem Mitgliedstaat, der gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 dieser Richtlinie auf von kleinen unabhängigen Brauereien gebrautes Bier ermäßigte Verbrauchsteuersätze anwendet, zwingend umgesetzt werden muss.

15      Einleitend ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführerinnen des Ausgangsverfahrens, ohne die Zulässigkeit der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen förmlich in Abrede zu stellen, in ihren Erklärungen im Wesentlichen geltend gemacht haben, dass entgegen den Feststellungen, die in den in Rn. 8 des vorliegenden Urteils genannten Nachforderungsbescheiden vom 9. Dezember 2016 getroffen wurden, aus den Vorarbeiten des Gesetzgebers, die zum Erlass der in den Rn. 5 und 6 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Vorschriften geführt haben, nicht hervorgehe, dass Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 nicht in finnisches Recht umgesetzt worden sei. Die Europäische Kommission hat sich in ihren schriftlichen Erklärungen ebenfalls die Frage gestellt, ob diese Bestimmungen in Anbetracht ihres Wortlauts eine Umsetzung dieses Art. 4 Abs. 2 Satz 2 darstellen können.

16      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung nicht Sache des Gerichtshofs ist, über die Auslegung nationaler Vorschriften zu befinden, da ihre Auslegung in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2018, Grupo Norte Facility, C‑574/16, EU:C:2018:390, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      Der Gerichtshof ist somit nicht dafür zuständig, sich zu der Frage zu äußern, ob die Bestimmungen von § 9 Abs. 3 des Gesetzes über die Steuer auf Alkohol und alkoholische Getränke in ihrer vor dem 1. Januar 2015 bzw. nach diesem Zeitpunkt anwendbaren Fassung eine Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 darstellen.

18      Er muss die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage vielmehr unter Zugrundelegung der von diesem aufgestellten Prämisse beantworten, wonach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 nicht in finnisches Recht umgesetzt wurde.

19      In diesem Zusammenhang ist vorab darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur der Wortlaut der betreffenden Vorschrift, sondern auch ihr Kontext und die allgemeine Systematik der Regelung, zu der sie gehört, sowie die von dieser verfolgten Ziele zu berücksichtigen sind (Urteil vom 30. Januar 2020, Tim, C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/83 können die Mitgliedstaaten auf Bier, das von kleinen unabhängigen Brauereien gebraut wird, die jährlich nicht mehr als 200 000 hl Bier herstellen, ermäßigte Steuersätze anwenden, wobei diese ermäßigten Steuersätze jedoch nicht um mehr als 50 % unter dem normalen nationalen Verbrauchsteuersatz liegen dürfen.

21      Gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 1 dieser Richtlinie ist eine kleine unabhängige Brauerei eine Brauerei, die rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist, Betriebsräume benutzt, die räumlich von denen anderer Brauereien getrennt sind, und kein Lizenznehmer ist. In Art. 4 Abs. 2 Satz 2 heißt es, dass, „[s]ofern zwei oder mehrere kleine Brauereien zusammenarbeiten und deren gemeinsamer Jahresausstoß 200 000 hl nicht übersteigt, … diese Brauereien jedoch als eine einzige kleine unabhängige Brauerei behandelt werden [können]“.

22      Aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/83 und insbesondere dem Adverb „jedoch“ in Satz 2 dieses Absatzes, das der Definition in Satz 1 ihre Schärfe nimmt, geht hervor, dass zwei oder mehrere kleine Brauereien, die zusammenarbeiten, ungeachtet des Wortlauts von Satz 1 und unabhängig davon, ob zwischen ihnen ein Verhältnis rechtlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit besteht, als eine einzige kleine unabhängige Brauerei im Sinne dieser Bestimmung behandelt werden können, sofern diese kleinen Brauereien nach Lage der Dinge keine wirtschaftliche Gruppe bilden, deren Erzeugung die in Art. 4 dieser Richtlinie festgelegten Grenzen übersteigt. Das Kriterium der wirtschaftlichen Unabhängigkeit bezweckt nämlich, dass der ermäßigte Verbrauchsteuersatz tatsächlich den Brauereien zugutekommt, die wegen ihrer geringen Größe benachteiligt sind, nicht aber denjenigen, die einem Konzern angehören (Urteil vom 2. April 2009, Glückauf Brauerei, C‑83/08, EU:C:2009:228, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Zudem hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass durch die Richtlinie 92/83 verhindert werden soll, dass ermäßigte Verbrauchsteuersätze auf Brauereien angewendet werden, deren Größe und Produktionskapazität eine Verzerrung des Binnenmarkts hervorrufen könnten (Urteil vom 2. April 2009, Glückauf Brauerei, C‑83/08, EU:C:2009:228, Rn. 26). Dieses Ziel wird jedoch durch die Anwendung ermäßigter Verbrauchsteuersätze auf Bier, das von zwei oder mehreren kleinen Brauereien gebraut wird, deren gemeinsamer Jahresausstoß die in Art. 4 dieser Richtlinie festgelegten Grenzen nicht übersteigt, keineswegs missachtet.

24      Allerdings kann aus den vorstehenden Erwägungen nicht abgeleitet werden, dass Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 von einem Mitgliedstaat, der auf Bier, das von kleinen unabhängigen Brauereien im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 dieser Richtlinie gebraut wird, ermäßigte Verbrauchsteuersätze anwendet, zwingend umgesetzt werden muss.

25      Aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 und insbesondere der darin enthaltenen Wendung „können … behandelt werden“ geht nämlich hervor, dass der Unionsgesetzgeber eine Möglichkeit und nicht eine Pflicht für einen Mitgliedstaat geschaffen hat, zwei oder mehrere kleine Brauereien, die zusammenarbeiten und deren gemeinsamer Jahresausstoß 200 000 hl nicht übersteigt, wie eine einzige kleine unabhängige Brauerei zu behandeln, auch wenn dieser Mitgliedstaat von der in Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben sollte, auf Bier, das von kleinen unabhängigen Brauereien gebraut wird, die jährlich nicht mehr als 200 000 hl herstellen, ermäßigte Verbrauchsteuersätze anzuwenden.

26      Diese am Wortlaut orientierte Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 wird durch die Struktur dieses Art. 4 in seiner Gesamtheit bestätigt. Während Art. 4 Abs. 1 nämlich den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, auf Bier, das von kleinen unabhängigen Brauereien, wie sie in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 definiert werden, hergestellt wird, ermäßigte Verbrauchsteuersätze anzuwenden, entschärft Art. 4 Abs. 2 Satz 2 den genannten Abs. 1 dadurch, dass dieser Satz vorsieht, dass die Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit haben, zwei oder mehrere kleine Brauereien, die zusammenarbeiten, als eine einzige kleine unabhängige Brauerei zu behandeln, sofern ihr gemeinsamer Jahresausstoß 200 000 hl nicht übersteigt, und zwar auch dann, wenn sie nicht unter den Begriff „kleine unabhängige Brauerei“ im Sinne dieses Satzes 1 fallen.

27      Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 4 der Richtlinie 92/83 dadurch, dass er unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung eines ermäßigten Verbrauchsteuersatzes auf von kleinen unabhängigen Brauereien gebrautes Bier vorsieht, eine Ausnahme von der Anwendung des vollen Verbrauchsteuersatzes auf Bier darstellt, weshalb die Voraussetzungen für die Anwendung dieses ermäßigten Verbrauchsteuersatzes eng auszulegen sind (Urteil vom 4. Juni 2015, Brasserie Bouquet, C‑285/14, EU:C:2015:353, Rn. 19).

28      Dieses Erfordernis bedeutet indessen, dass der Anwendungsbereich von Art. 4 dieser Richtlinie nicht zwingend auf Situationen erstreckt wird, die in diesen Anwendungsbereich nur unter der Voraussetzung fallen, dass die Mitgliedstaaten von der ihnen durch diesen Artikel eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht haben.

29      Die in Rn. 25 des vorliegenden Urteils dargestellte Auslegung steht im Übrigen mit dem Kontext in Einklang, in den sich Art. 4 der Richtlinie 92/83 einfügt. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass es gerechtfertigt ist, die Richtlinie 92/84 zur Festsetzung des Mindestsatzes der Verbrauchsteuer auf Bier zu berücksichtigen, deren Struktur durch die erstgenannte dieser Richtlinien festgelegt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Kompania Piwowarska, C‑30/17, EU:C:2018:325, Rn. 34). Der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie 92/84 sieht vor, dass Bier in den Mitgliedstaaten nach unterschiedlichen Grundsätzen besteuert wird und dass diese unterschiedliche Handhabung weiterhin gestattet werden kann.

30      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der von der in Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, auf von kleinen unabhängigen Brauereien gebrautes Bier ermäßigte Verbrauchsteuersätze anzuwenden, gleichwohl nicht verpflichtet ist, zwei oder mehrere kleine Brauereien, die zusammenarbeiten und deren gemeinsamer Jahresausstoß 200 000 hl nicht übersteigt, als einzige kleine unabhängige Brauerei zu behandeln.

 Zur zweiten Frage

31      In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Vorlagefrage nicht beantwortet zu werden.

 Kosten

32      Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der von der in Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, auf von kleinen unabhängigen Brauereien gebrautes Bier ermäßigte Verbrauchsteuersätze anzuwenden, gleichwohl nicht verpflichtet ist, zwei oder mehrere kleine Brauereien, die zusammenarbeiten und deren gemeinsamer Jahresausstoß 200 000 hl nicht übersteigt, als einzige kleine unabhängige Brauerei zu behandeln.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Finnisch.