"Tatort" aus Göttingen:In der Vorurteilsfalle

"Tatort" aus Göttingen: Wie verträgt sich Feminismus mit Rassismus? Charlotte Lindholm gerät mit fußballspielenden Flüchtlingen aneinander, die ihr Rekordspiel nicht unterbrechen wollen.

Wie verträgt sich Feminismus mit Rassismus? Charlotte Lindholm gerät mit fußballspielenden Flüchtlingen aneinander, die ihr Rekordspiel nicht unterbrechen wollen.

(Foto: Christine Schroeder/NDR)

Der Mord an einer jungen Frau führt zu Ermittlungen im Flüchtlingsmilieu - eine Jubiläumsfolge mit kritischem Anspruch und einer Story, die das hohe Niveau nicht halten kann.

Von Holger Gertz

Wenn man lang genug bei seiner Sache bleibt, wird man Kult, das geschieht in der kultversessenen Gegenwart fast zwangsläufig. Und so ist auch, nach zwanzig Jahren Dienstzeit, die von Maria Furtwängler gespielte Ermittlerin Charlotte Lindholm für ihre Fangemeinde zweifellos Kult geworden, genau wie ihre schwer gestelzten Sätze. Im Tatort am Sonntag fordert sie von Zeugen Informationen, in einem spröden Tonfall, den nur sie hinbringt: "Die bevorzugten Clubs der beiden bitte - ich habe nur begrenzt Zeit." Und natürlich - kaum ausgesprochen, schon ein Klassiker - eine Perle der Tatort-Dialogkunst: "Können Sie die Bezeichnung Arschlöcher präzisieren?"

Dieses Unterkühlte der Figur Lindholm passt zur Geschichte dieses Tatorts "Die Rache an der Welt" allerdings nicht. Verhandelt wird schließlich in dem Stück von Regisseur Stefan Krohmer, der Titel sagt es, ein bewegendes Thema. Der Tatort ist angelehnt an die Tötung einer Freiburger Studentin durch einen Afghanen im Jahr 2016. In Lindholms Göttinger Revier ereignet sich Ähnliches. Eine junge Frau wird umgebracht, es könnte ein einheimischer Triebtäter aka "der Wikinger" gewesen sein. Aber auch einer der Refugees, die in der Nähe gerade einen Weltrekord im Dauerfußball aufstellen wollen.

Auch eine Aufforderung, sich mit eigenen versteckten und auch ganz offenen Ressentiments auseinanderzusetzen

Lindholm ist nun, wie ihre Kollegin Anais Schmitz (Florence Kasumba) gefordert, sich mit ihren eigenen versteckten und auch ganz offenen Ressentiments auseinanderzusetzen, ein interessantes Experiment, wo doch jeder gerade so überfordert ist damit, diversen Ansprüchen gerecht werden zu müssen. Irgendwann rennt sie aufgebracht zu den testosteronbedröhnten Dauerfußballern. Drehbuchautor Daniel Nocke erläutert: "Sie verliert da die Orientierung und weiß selbst nicht mehr, ob sie als Ermittlerin, Feministin oder Rassistin auf den Platz stürmt." Tatsächlich aber, zum zwanzigsten Dienstjubiläum darf man das sagen, verliert die so reservierte Charlotte Lindholm nie die Orientierung. Sie bleibt immer Charlotte Lindholm. Die Frisur sitzt. Und nicht nur die Frisur.

In diesem Fall ist ihr Verhalten symptomatisch. Viele sind von dem Geschehen merkwürdig unberührt, der Freund der Toten, die Verdächtigen am Fußballplatz; die Mitbewohnerin inszeniert sich etwas zu aufgesetzt als Wohngemeinschafts-Vamp. Viele überzeichnete Figuren unterwegs: Schon der Parade-Hater am Anfang sabbelt von stechenden Augen und dunkler Ausstrahlung - dabei teilt sich Rassismus tatsächlich doch oft so viel subtiler mit. Ein Tatort mit Anspruch, bei dem die Story der Relevanz des Themas nicht gerecht wird.

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