Eugene Tzigane & Prager Symphoniker | 06.10.2023

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Traditionelle Tänze

6. OKTOBER 2023 DAS GROSSE ABONNEMENT II SAISON 2023/24
AUFBRUCH
„DAS EWIG-WEIBLICHE ZIEHT UNS HINAN.“

KOMMENDE HIGHLIGHTS

SAISON 2023/24

SO 12 NOV 18:00

GROSSER SAAL

SO 3 DEZ 11:00

ANNE TERESA DE KEERSMAEKER, JEAN-GUIHEN

QUEYRAS, ROSAS

Johann Sebastian Bachs sechs Cellosuiten in einer Symbiose aus Tanz und Musik

MICHAEL ALEXANDER WILLENS & KÖLNER AKADEMIE

Tanzcharaktere

Eine Matinée mit Werken von JeanFéry Rebel, Carl Philipp Emanuel Bach und Ludwig van Beethoven

DI 12 DEZ 19:30

GROSSER SAAL

SO 31 DEZ 19:30

GROSSER SAAL

ALEVTINA IOFFE & UNGAR. NATIONALPHILHARMONIE

Alexander Malofeev spielt Liszt und Chopin, dazu Suiten aus den Balletten Romeo und Julia und Der wunderbare Mandarin

DAS GROSSE

SILVESTERKONZERT mit dem Operettenklassiker Der Vogelhändler von Carl Zeller

Zusätzlich am 5. Jänner im beliebten Varieté-Format!

+43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

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GROSSER SAAL
Michael Alexander Willens | Dirigent Jean-Guihen Queyras & Kompanie Rosas Theresa Grabner & Dietmar Kerschbaum

Eugene Tzigane & Prager Symphoniker

Traditionelle Tänze

Freitag, 6. Oktober 2023, 19:30 Uhr Großer Saal, Brucknerhaus Linz

Saison 2023/24 – Das Große Abonnement II

2. von 10 Konzerten im Abonnement

Vítězslava Kaprálová (1915–1940)

Suita Rustica für Orchester, op. 19 (1938)

I Allegro

II Lento

III Allegro ma non troppo

Grażyna Bacewicz (1909–1969)

Konzert für Klavier und Orchester (1949)

I Allegro moderato

II Andante

III Molto allegro

– Pause –

Amy Beach (1867–1944)

Sinfonie (Gaelic) e-moll, op. 32 (1894–96)

I Allegro con fuoco

II Alla siciliana – Allegro vivace – Andante

III Lento con molto espressione

IV Allegro di molto

Konzertende ca. 21:30

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Brucknerhaus-Premiere Programm

Besetzung

Lucas Debargue | Klavier

Prager Symphoniker

Eugene Tzigane | Dirigent

5 Brucknerhaus-Debüt

Drei Frauen, eine Leidenschaft

EIN TRAURIG KURZES LEBEN

1915 bis 1940: Die traurig kurzen Lebensdaten der gebürtigen Brünnerin Vítězslava Kaprálová führen insofern in die Irre, als sie kein direktes Opfer der Nazi-Todesmaschinerie geworden ist. In den wenigen, ihr geschenkten Jahren hat sie jedenfalls enorm viel erreicht, auch wenn ihr Ruf, bedingt zuerst durch den Zweiten Weltkrieg, dann durch den Kommunismus, bislang noch nicht nachhaltig über die Grenzen ihres Heimatlandes hinausgedrungen ist.

Als Kind schon begann sie zu komponieren, die hochbegabte Tochter des Brünner Komponisten und Konservatoriumsprofessors Václav Kaprál, der seinerseits ein Schüler von Leoš Janáček und Alfred Cortot gewesen war. Dass der Herr Papa dennoch mit Stirnrunzeln reagierte, als Vítězslava erklärte, Komponistin und Dirigentin werden zu wollen, lag nicht daran, dass er es ihr nicht zugetraut hätte, sondern am Musikleben, das diese Rollen für Frauen einfach nicht vorsah oder sie ihnen zumindest nicht ohne erhebliche Kämpfe einräumen wollte. Doch was der lungenkranken Vítězslava Kaprálová an robuster Konstitution abgehen mochte, wog sie spielend mit Willen auf – und natürlich Talent. Mit 15 startete sie ihre formelle Ausbildung in ihrer Heimatstadt, dann studierte sie in Prag Komposition bei Vítězslav Novák und bei Václav Talich auch Dirigieren: 1937 stand sie

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als erste Frau am Pult der Tschechischen Philharmonie und dirigierte ihre glänzende Abschlussarbeit mit dem Titel Vojenská symfonieta, also Militärsinfonietta – übrigens der ursprüngliche Titel der elf Jahre älteren Sinfonietta ihres 1928 verstorbenen Vorgängers Leoš Janáček. Ein Stipendium brachte Kaprálová daraufhin nach Paris, diesen Umschlagplatz musikalischer Ideen und Stilrichtungen. Dort sog sie alle möglichen Einflüsse neugierig auf, ohne die bereits gefundene, eigene innere Stimme aus den Ohren zu verlieren. Ihre Studien setzte sie bei Charles Munch (Dirigieren) und Bohuslav Martinů (Komposition) fort. Kaprálovás Auftritt beim Festival der International Society for Contemporary Music (ISCM) im Juni 1938 in London mit dem BBC Symphony Orchestra in London als Dirigentin ihrer Militärsinfonietta gilt als ihr internationaler Durchbruch und als Höhepunkt ihrer tragisch kurzen Karriere. Martinů, der 25 Jahre ältere, nicht besonders glücklich verheiratete Kollege und Mentor, schätzte sie nicht nur als Künstlerin außerordentlich, sondern hat sich auch in sie verliebt –und sie hat seine Liebe erwidert. Martinůs Frau Charlotte litt an der zweieinhalb Jahre dauernden Affäre, klammerte sich aber desto entschiedener an ihren Mann. Gerade als Martinů sich zu einer Schei-

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Vítězslava Kaprálová Kurzes Leben für die Musik Vítězslava Kaprálová, anonyme, undatierte Fotografie

dung durchgerungen hatte, beendete jedoch Kaprálová die Beziehung. Im April 1940 heiratete sie den gleichaltrigen Schriftsteller Jiří Mucha, den Sohn des Jugendstil-Malers Alfons Mucha. 1939 war die Wehrmacht in der Tschechoslowakei einmarschiert, worauf sich das junge Paar gegen eine Rückkehr entschied; außerdem hatte man bei der an Tuberkulose erkrankten Komponistin eine Tumoroperation vornehmen müssen. Als sich im Krieg die Nazis Paris näherten, floh die Geschwächte mit ihrem Mann nach Montpellier, wo sie, wenige Wochen nach der Hochzeit, am 16. Juni 1940 starb – an Tuberkulose, Typhus oder vielleicht einer Eileiterschwangerschaft? Untröstlich, aber getrost darf man im Gedenken an Vítězslava Kaprálová Grillparzers SchubertEpitaph wiederholen: „Die Tonkunst begrub hier einen reichen Besitz, aber noch viel schönere Hoffnungen.“

Aus ihrer künstlerisch glücklichsten Zeit stammt auch die Suita Rustica op. 19. Nach ihrem enormen Erfolg mit der Vojenská symfonieta in London meldete die Universal Edition London Interesse an einem Werk aus ihrer Feder an, das auf tschechischen Volksmelodien beruhen sollte. Um den erbetenen, sehr knappen Abgabetermin (Mitte November 1938) keinesfalls zu gefährden, ließ Kaprálová andere Werke sofort liegen und stürzte sich mit Feuereifer in die neue Arbeit. Die Skizze der Suita Rustica mit dem Untertitel Suite über tschechische Volkslieder und -tänze war am 2., die Instrumentierung am 10. November 1938 vollendet. Die Widmung erging an den Musikwissenschaftler Otakar Šourek, als Dank für seinen Einsatz bei der Verlängerung ihres Paris-Stipendiums. Nach dem Vorbild etwa von Igor Strawinskys Petruschka schöpft sie dabei in drei Sätzen aus der reichhaltigen tschechischen Volksmusik zwischen gefühlvollem Liedchen, mitreißendem Tanz und aufziehender Blaskapelle, mischt das Ganze auf überraschende und ansprechende Weise und stellt es auf eine sozusagen modern beleuchtete akustische Bühne. Aus heutiger Sicht ist schwer nachvollziehbar, warum die UE London das Werk dann nicht veröffentlicht hat. Am 16. April 1939 dirigierte Břetislav Bakala die erfolgreiche Uraufführung in Brünn; erst 1975 kam es unter Jiří Pinkas zur Ersteinspielung. Mittlerweile zählt die Suita Rustica zu Vítězslava Kaprálovás bekanntesten Werken.

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Vítězslava Kaprálová Suita Rustica op. 19

VON VOLKSLIEDERN INSPIRIERT

Auch im Falle der Komponistin und Geigerin Grażyna Bacewicz lassen sich Leben und Wirken nicht von der wechselvollen Geschichte ihrer Heimat ablösen – wobei sich ihre Familienmitglieder sogar zwei verschiedenen Nationalitäten zugehörig empfanden. Als Grażyna Bacewicz am 5. Februar 1909 in Łódź zur Welt kam, war ihre Geburtsstadt mit über 300.000 Einwohnern ein prosperierendes Zentrum vor allem der Textilindustrie: 70.000 Arbeiter wurden in 550 Fabriken beschäftigt; zehn Jahre zuvor hatte hier auch Polens erstes Kino eröffnet, das „Iluzjon“. Jedoch war Polen kein selbstständiger Staat, sondern als „Kongresspolen“, „Weichselland“ oder „Russisch-Polen“ die westlichste Provinz des Zarenreiches – und zugleich die am höchsten entwickelte: Desto strenger ging die Knute gegen Aufständische vor. Grażynas Mutter Maria Modlińska entstammte einer polnischen Adelsfamilie, ihr Vater Vincas war jedoch ein litauischer Musiklehrer,

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Grażyna Bacewicz Von Volksliedern inspiriert Grażyna Bacewicz, anonyme Fotografie, 1935

Dirigent und Komponist: Er verwendete seinen nicht polnifizierten Familiennamen Bacevičius, bei dem auch, als einziges der vier Kinder, Grażynas Bruder Vytautas bleiben sollte, der sich als Litauer fühlte.

Alle Kinder genossen häuslichen, auch in der Theorie abgesicherten Unterricht in Klavier und Violine, der Bruder Kiejstut wurde Pianist, die Geschwister komponierten – also auch Grażyna. In der Folge studierte sie Violine und Komposition, unter anderem bei Kazimierz Sikorski in Poznań (Posen), später in Warschau, mittlerweile Hauptstadt der Zweiten Polnischen Republik. Schließlich durchlief sie auch die scherzhaft so genannte „Boulangerie“, also ein Studium bei der berühmten Kompositionslehrerin Nadia Boulanger in Paris 1932/33, die famose Kaderschmiede der undogmatischen Moderne dieser Zeit. Als Geigerin gewann Grażyna Bacewicz 1935 den 1. Henryk-Wieniawski-Wettbewerb. Konzertreisen führten sie zunächst nach Frankreich, Spanien und ins Baltikum, nach dem Zweiten Weltkrieg dann nach Belgien und erneut nach Frankreich, wo sie etwa 1946 mit Karol Szymanowskis

1. Violinkonzert unter Leitung von Paul Kletzki gastierte – sowie naturgemäß in die Länder des sogenannten Ostblocks, etwa die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und die UdSSR. Aber wir greifen vor: 1936–38 fungierte sie als Konzertmeisterin des Polnischen Rundfunkorchesters unter Grzegorz Fitelberg in Warschau, bis durch den Zweiten Weltkrieg und die Besatzung durch Nazideutschland alles anders wurde. In dieser Zeit trat sie etwa bei Untergrundkonzerten auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sie sich bis zu einem gewissen Grad mit dem kommunistischen Regime Polens zu arrangieren. Sie nützte Positionen in verschiedenen Gremien und Verbänden dazu, den eher schweren Stand zeitgenössischen Komponierens innerhalb der Doktrin des „Sozialistischen Realismus“ international zu verbessern, auch jenseits des Eisernen Vorhangs, und war dort gleichermaßen als Jurorin bei Violin- und Kompositionswettbewerben gefragt. Ein schwerer Autounfall zwang sie 1954, ihre Laufbahn als Geigerin zu beenden, worauf sie sich aufs Komponieren konzentrier te. In den 1960ern, in denen sie etwa auch Romane und Kurzgeschichten verfasst hat, fungierte sie als Vizepräsidentin des Polnischen Komponistenverbandes; 1967 übernahm sie eine ordentliche Professur

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Grażyna Bacewicz Von Volksliedern inspiriert

für Komposition am Konservatorium von Łódź. Nicht einmal zwei Jahre später starb Grażyna Bacewicz im Alter von knapp 60 Jahren in Warschau.

Bacewicz’ Konzert für Klavier und Orchester entstand 1949, also 100 Jahre nach dem Tod von Frédéric Chopin, zur damaligen Ausgabe des Internationalen Chopin-Wettbewerbs in Warschau, ist aber musikalisch völlig unabhängig von diesem Anlass ersonnen. Der Polnische Komponistenverband schrieb damals auch einen Komponierwettbewerb aus, bei dem Werke gefragt waren, die sich auf Elemente polnischer Volksmusik berufen und dabei emotionale Tiefe und Zugänglichkeit vor alle Experimente stellen sollten. Bacewicz ging dabei mit ihrem Klavierkonzert als Beste hervor, doch wurde der erste Preis nicht vergeben und sie mit dem zweiten bedacht.

Den Bedingungen der Ausschreibung folgend, verwendet die Komponistin Anregungen aus polnischer Volksmusik, die sie in traditionellen, aber keineswegs unreflektiert übernommenen konzertant-sinfonischen Formen verarbeitet. Das Hauptthema des Kopfsatzes stellt, wie die Musikwissenschaftlerin Anna Nowak belegt, eine Paraphrase des Volksliedes Pije Kuba dar, doch auch das lyrische zweite Thema,

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Grażyna Bacewicz Klavierkonzert Grażyna Bacewicz, anonyme Fotografie, 1968

das im Finale in leicht veränderter Gestalt als Couplet wiederkehrt, dürfte aus einer vergleichbaren Quelle stammen. Der langsame Satz entwickelt sich aus geheimnisvoller Stimmung und besteht aus Variationen auf das Volkslied Oj chmielu, chmielu. Das Finale scheint dann die Urkräfte des Motorischen zu beschwören: Hier regiert der Oberek, der schnellste der nationalen Volkstänze Polens. Er wird aber auch durch eigentümlich-reizvolle lyrische Passagen ausbalanciert. In diesem Satz dringt die Komponistin jedenfalls relativ unbekümmert in Richtung jener Moderne vor, die der Komponistenverband hintanhalten wollte – vielleicht ein Grund dafür, dass Bacewicz der erste Preis vorenthalten wurde. Rein technisch ist der Klavierpart in romantischer Tradition virtuos durchgearbeitet, die Musik aber letztlich sinfonisch konzipiert: In keinem der Sätze wird dem Solisten oder der Solistin eine Kadenz gewährt, das Klavier muss sich durchwegs als aufmerksamer Dialogpartner des Orchesters erweisen – und umgekehrt: Aus diesem ständig neu verhandelten Mit- und Gegeneinander ergibt sich die erzählerische Spannung des Werks. Die Uraufführung von Grażyna Bacewicz’ Klavierkonzert fand am 4. November 1949 in Warschau statt, mit Stanisław Szpinalski als Solist und den Warschauer Philharmonikern unter Andrzej Panufnik.

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Grażyna Bacewicz Klavierkonzert Amy Beach, undatierte Fotografie von George Grantham Bain

EINE SINFONIE „AUS DER ALTEN WELT“

Den Trick, ihr Geschlecht hinter Initialen zu verstecken, wenden Autorinnen fallweise ja bis heute an – man denke nur an die Harry PotterErfinderin JK Rowling: Nach allem, was man weiß, dürfte das in vielen Fällen wesentlich zum Erfolg beigetragen haben, weil ein Frauenname auf einem Buchcover bedauerlicherweise immer noch Vorur teile und bestimmte Erwartungen weckt. Bei Amy Beach hingegen war es anders. Diese erste als genuine Sinfonikerin der USA wahrgenommene Komponistin veröffentlichte ihre Partituren unter einer Namensform, die im 19. Jahrhundert Sitte geworden war und den vollen Namen des Gatten nur mit der abgekürzten Anrede „Mrs.“ versah: Die Ehefrau eines „Mr. John Smith“ firmierte demnach als „Mrs. John Smith“, nicht nur ihr Mädchenname blieb in diesem System ungenannt, sondern auch ihr Vorname. Seit der Hochzeit der 18-jährigen Amy Marcy Cheney mit dem 24 Jahre älteren Bostoner Chirurgen Dr. Henry Harris

Aubrey Beach prangte also der abgekürzte Name „Mrs. H. H. A. Beach“ auf ihren Werken, wobei das „A.“ für Aubrey immerhin auch für „Amy“ hätte gelesen werden können.

Ihr musikalisches Leben hatte die Komponistin als Wunderkind begonnen: Mit einem absoluten Gehör begabt, habe sie schon vor ihrem zweiten Geburtstag 40 Lieder exakt singen können, ist überliefert; bald darauf sei sie imstande gewesen, Gegenstimmen dazu zu improvisieren und habe sich überdies mit drei Jahren selbst das Lesen beigebracht. Mit vier habe sie ihre ersten Kompositionen geschaffen, drei Walzer für Klavier – und das ohne Instrument: Die Musik entstand in ihrem Kopf bei einem sommerlichen Aufenthalt auf der Farm ihres Großvaters; bei der Rückkehr nach Hause spielte sie sie dort aus dem Gedächtnis. Noch im Kindesalter trat sie vor Publikum auf und Konzertagenten versuchten ihre Eltern zu überreden, mit ihrer Tochter auf Tourneen zu gehen. Amy sollte ihnen später dankbar sein, dass sie solche Angebote immer ablehnten. Auch ein Studium in Europa schien ihnen ein zu drastischer Einschnitt im Leben ihres Kindes, weshalb sie Amy in den USA ausbilden ließen – freilich „nur“ als Pianistin. Einzig 1881/82 nahm die 14-Jährige auch Unterricht in Harmonielehre und Kontrapunkt, verschlang jedoch später jedes Buch über

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Amy Beach Sinfonie „Aus der alten Welt“

Musiktheorie, Komposition und Instrumentationslehre, welches sie bekommen konnte.

Ihre Ehe bedeutete freilich einschneidende Kompromisse für ihr musikalisches Leben: Haushaltsführung und Gesellschaftsleben hatten absoluten Vorrang, Klavierunterricht zu geben war ausgeschlossen, öffentliche Auftritte wurden auf höchstens zwei pro Jahr limitiert und die Einkünfte daraus für wohltätige Zwecke gespendet (jeder Anschein musste vermieden werden, dass Dr. Beach vom Geld seiner Frau lebte). Und was Fortbildung anlangte, kam nur Selbststudium in Frage, kein Unterricht durch einen Lehrer. Erst nach seinem Tod 1910 und dem Tod der Mutter (der Vater war schon 1895 gestorben) sowie einer nachfolgenden Ruhephase, in der Amy Beach ihre Kräfte neu sammelte, begann sie ein reges Konzertleben in Europa als Pianistin und Komponistin. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs setzte sie dies in den USA fort, um in der Zwischenkriegszeit hüben wie drüben aufzutreten und am New England Conservatory of Music als Präsidentin des Vorstands und Mentorin zu fungieren.

Amy Beachs einzige, 1894 entstandene Sinfonie e-moll op. 32 war das erste von einer Frau aus den USA komponierte und gedruckte große Orchesterwerk. Damals war Antonín Dvořák als Direktor des von Jeannette Thurber finanzierten National Conservatory of Music of America im Lande und erregte durchaus auch Missfallen mit der Aussage, eine genuine nationale Musiksprache der USA sei aus der Musik der afroamerikanischen Bevölkerung zu entwickeln. Die damals 27-jährige Amy Beach nahm eine andere Position ein und meinte, die Schwarzen seien genauso „Fremde“ auf dem amerikanischen Kontinent wie die Nachfahren der eingewanderten Europäer: „Wir [...] sollten viel eher durch altenglische, schottische oder irische Lieder beeinflusst sein, die wir zusammen mit unserer Literatur von unseren Ahnen geerbt haben.“ Deshalb schrieb sie diese Sinfonie auf Basis entsprechender Volksmusik und nannte das Werk Gaelic Symphony, auf Deutsch also die Gälische – nach dem Begriff für die „gälische“ oder „goidelische“ Sprachfamilie, die vor allem das Irische (Ost-Gälische) und das Schottisch-Gälische (West-Gälische) umfasst.

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Amy Beach Sinfonie e-moll Gälische

Die stürmische Stimmung, mit welcher der Kopfsatz beginnt, lässt denn auch gleich an vom Meer umtoste Inseln denken. Die Tonart mag auf Dvořáks Aus der Neuen Welt verweisen, im Charakter ist es jedoch bewusst eine Sinfonie „Aus der Alten Welt“: Die Musik erinnert zunächst an Mendelssohn, Schumann und Brahms, auch die britischen Kollegen Hubert Parry und Charles Stanford werden gern herbeizitiert. Doch schürt Beach die Dramatik mit herberen, dunkleren Formulierungen auf durchaus eigene Art: Anleihen bei ihrem eigenen Lied Dark is the Night, die hier und im Finale auftreten, belegen das. Eine überraschende Aufhellung bilden daraufhin weiträumige Lyrik (Alla Siciliana im 12/8 -Takt) mit Oboen- und Englischhornsolo und dann duftige Ausgelassenheit mit glitzerndem Elfenspuk (Allegro vivace im 2/4 -Takt), die in diesem also keineswegs langsamen Satz ineinandergreifen. Das an dritter Stelle folgende Lento con molto espressione erst bestätigt die Vermutung, dass zuvor der Scherzosatz erklungen ist. Nunmehr aber treten bald sogar eine Solovioline und ein Solocello auf den Plan, die sich über zurückhaltender Begleitung zu einem wehmütigen Zwiegesang zusammenfinden. Fanfarenklänge bringen einen Szenenwechsel, um sich dann mit der großen Entwicklung dieses breit angelegten Tongemäldes zu verflechten. Zuletzt steigt die Solovioline melancholisch durch die Oktaven nieder und die Bassklarinette vollführt eine letzte, triste Geste. Im Finale peitschen wieder die dramatischen Wogen des ersten Satzes, führen diesmal aber zu einer energiegeladen-hymnischen Aufhellung nach E-Dur.

Die Uraufführung fand am 30. Oktober 1896 mit dem Boston Symphony Orchestra unter seinem damaligen Chefdirigenten Emil Paur statt: Geboren in Czernowitz (Tscherniwzi, heute Ukraine), war dieser österreichische Dirigent und Komponist einst ein Schüler von Anton Bruckner, Arthur Nikisch und Felix Mottl am Wiener Konservatorium und später, im Rahmen einer internationalen Karriere, unter anderem in Mannheim, Leipzig, New York, Pittsburgh und Berlin tätig. Ihm, dem „Herrn Capellmeister Emil Paur“, so die Titelzeile auf dem Erstdruck (Arthur P. Schmidt, Leipzig), hat Amy Beach ihre Sinfonie gewidmet.

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Walter Weidringer Amy Beach Sinfonie e-moll Gälische

Lucas Debargue

„Die unglaubliche Begabung, künstlerische Vision und kreative Freiheit“ von Lucas Debargue zeigten sich beim Internationalen TschaikowskiWettbewerb in Moskau 2015, wo er mit dem begehrten Preis der Moskauer Musikkritikervereinigung ausgezeichnet wurde. Heute wird er als Solist und mit führenden Orchestern in die renommiertesten Konzertsäle der Welt eingeladen – von Amsterdam über Berlin, London, Moskau und Paris bis zu den Konzertsälen von Tokio, Peking, Shanghai, Taipeh, Seoul und die Carnegie Hall in New York City. Er trat auch mehrmals bei den Sommerfestivals von La Roque d’Anthéron und Verbier auf.

Lucas Debargue ist ein Pianist von großer Integrität und schillernder Kommunikationskraft. Er lässt sich für sein Spiel von Literatur, Malerei, Kino und Jazz inspirieren und entwickelt eine ganz persönliche Interpretation seines Repertoires. Obwohl das Kernrepertoire für Klavier im Mittelpunkt seiner Karriere steht, ist es ihm ein Anliegen, Werke weniger bekannter Komponist*innen wie Karol Szymanowski, Nikolai Medtner oder Miłosz Magin zu präsentieren. Er arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie Mikhail Pletnev, Vladimir Jurowski, Andrey Boreyko, Valery Gergiev, Tugan Sokhiev, Vladimir Spivakov und Bertrand de Billy zusammen. Zu seinen Kammermusikpartner*innen zählen Gidon Kremer, Janine Jansen und Martin Fröst.

Einen großen Teil seiner Zeit widmet Lucas Debargue der Komposition. Er hat bereits mehr als zwanzig Werke für Klavier solo und Kammermusikensembles geschaffen. Als ständiger Gastkünstler der Kremerata Baltica wurde er beauftragt, eine Kammeroper zu schreiben. Sony Classical hat fünf seiner Alben mit Musik von Scarlatti, Bach, Beethoven, Schubert, Chopin, Liszt, Ravel, Medtner und Szymanowski veröffentlicht. Sein Durchbruch beim Tschaikowski-Wettbewerb ist das Thema des Dokumentarfilms To music von Martin Mirabel, der 2018 beim Internationalen Filmfestival in Biarritz gezeigt wurde.

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Biographie
Klavier
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Prager Symphoniker

Die Prager Symphoniker wurden 1934 vom Dirigenten Rudolf Pekárek gegründet. Mit den Begriffen Film, Oper und Konzert definierte er die Tätigkeitsfelder des Ensembles und so wurde das Kürzel FOK zum Bestandteil des Orchesternamens. Durch Aufnahmen von Musik für die meisten tschechischen Filme in den 1930er-Jahren und regelmäßige Auftritte bei Live-Übertragungen im damaligen Tschechoslowakischen Rundfunk machte sich das Orchester einen Namen und sicher te seine wirtschaftliche Existenz als großes sinfonisches Ensemble. Viele bedeutende Dirigent*innen und Solist*innen traten mit den Prager Symphonikern, dessen Chefdirigent seit 2020 Tomáš Brauner ist, auf. Das Orchester musizierte in fast allen Ländern Europas, wiederholt in Japan und in den USA. 2022 gastierten die Prager Symphoniker unter anderem in der Elbphilharmonie in Hamburg. Als Gründerin der Prager Symphoniker fungierte die Stadt Prag.

18 Biographie

Eugene Tzigane, Chefdirigent des Kuopio Symphony Orchestra in Finnland, wurde in Japan geboren und absolvierte sein Dirigierstudium an der Juilliard School in New Yord City und in Stockholm. Während dieser Zeit gewann er mehrere Preise, darunter bei den Wettbewerben von Grzegorz Fitelberg, Sir Georg Solti und Lovro von Matačić. Bald darauf wurde er zum Chefdirigenten der Nordwestdeutschen Philharmonie ernannt. Seitdem wird er als Orchesterleiter mit einer „fast fanatischen Präzision ... nach dem Vorbild des jungen Carlos Kleiber“ (Neues Volksblatt) gefeiert. Seine Engagements führten ihn rund um den Globus. Er arbeitet mit Solist*innen wie Isabelle Faust, Mischa Maisky, Leif Ove Andsnes, Vilde Frang, Baiba Skride, Håkan Hardenberger, Arabella Steinbacher und Lise de la Salle zusammen. Zu den Höhepunkten der Saison 2023/24 gehört unter anderem eine Tournee mit der PKF – Prague Philharmonia.

19 Biographie

Dirigent

MO

1 JÄN 17:00

GROSSER SAAL

DI

10 SEP 19:30

GROSSER SAAL

DO

12 SEP 19:30

GROSSER SAAL

FR

4 OKT 19:30

GROSSER SAAL

NEUJAHRSKONZERT

Eröffnungskonzert mit dem Bruckner Orchester Linz

A. Bruckner: Scherzi aus der ‚Annullierten‘ und ‚Neunten‘ u. a.

Übersteigern – Bruckners

,Achte‘ im Originalklang

JORDI SAVALL & LE CONCERT DES NATIONS

Experimentieren– Bruckners

,Annullierte‘ im Originalklang

KENT NAGANO & CONCERTO KÖLN

Verklären – Bruckners

,Vierte‘ im Originalklang

Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at
BRUCKNER-JAHR 2024 ab
HIGHLIGHTS
200 jahre
Markus Poschner | Dirigent
PHILIPPE HERREWEGHE & ORCHESTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES
Philippe Herreweghe | Dirigent Jordi Savall | Dirigent Kent Nagano |

VORSCHAU : Das Große Abonnement in der Saison 2023/24

Marc Albrecht & Tonkünstler-Orchester

Tanz-Szenen

Mittwoch, 15. November 2023, 19:30 Uhr

Großer Saal, Brucknerhaus Linz

Werke von Alexander Borodin, Antonín Dvořák, Igor Strawinski

Benjamin Beilman | Violine

Tonkünstler-Orchester

Marc Albrecht | Dirigent

Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerfest.at

Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz

CEO: Mag. Dietmar Kerschbaum, Künstlerischer Vorstandsdirektor LIVA, Intendant Brucknerhaus Linz; Dr. Rainer Stadler, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA

Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte: Mag. Jan David Schmitz

Redaktion: Peter Blaha | Der Text von Walter Weidringer ist ein Originalbeitrag für dieses

Programmheft. | Biographien: Romana Gillesberger | Lektorat: Celia Ritzberger | Gestaltung: Anett Lysann Kraml, Lukas Eckerstorfer | Abbildungen: X. Bender (S. 17), M. Borggreve (S. 22), J. Casares (S. 2), V. Goriachev (S. 2), M. Hendryckx (S. 21 [2. v. o.]), D. Ignaszewski (S. 21 [3. v. o.]), I. Jarosińska (S. 11), J. Kolman (S. 18), Library of Congress Washington, D.C. / G. G. Bain (S.12), Nationales Digitales Archiv Warschau (S. 9), N. Navaee (S. 19), privat (S. 7), Shutterstock (S. 1), A. Van Aerschot (S. 2), S. Veranes (S. 21 [4. v. o.]), V. Weihbold (S. 2 & 21 [1. v. o.])

Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten

LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz

Marc Albrecht

HAMMERKOPF

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