BILD exklusiv: Russlands Kriegspläne: So könnte Putin die Ukraine vernichten

Aus Nato- und Geheimdienstkreisen hat BILD Details über die Einmarschpläne erfahren ++ Noch hat der Kreml nicht entschieden, ob er die Pläne auch umsetzt ++ 175 000 russische Soldaten könnten einmarschieren

Russland Präsident Wladimir Putin droht mit Krieg, sollte die Ukraine ihre friedlichen Bemühungen zur Rückerlangung des Donbas und der Krim nicht einstellen

Russland Präsident Wladimir Putin droht mit Krieg, sollte die Ukraine ihre friedlichen Bemühungen zur Rückerlangung des Donbas und der Krim nicht einstellen

Foto: Mikhail Metzel/AP
Von: Julian Röpcke

Steht die Welt am Rande eines Krieges in Europa?

Seit Tagen droht der Kreml, ein Krieg gegen die Ukraine sei unvermeidlich, wenn deren Regierung nicht ihre angeblichen Pläne zur Rückeroberung des russisch besetzten Donbas und der von Russland annektierten Krim aufgebe.

Auch die Nato müsste „garantieren“, dass die Ukraine nie Mitglied der Allianz werde. Und sie müsse Waffen abziehen, die angeblich in der Ukraine stationiert sein sollen, um einen Krieg in der Region noch zu verhindern.

Putin meint es ernst. US-Außenminister Antony Blinken warnte am Mittwoch, die russischen Pläne reichten von „Bestrebungen zur Destabilisierung der Ukraine aus dem Inneren heraus bis hin zu groß angelegten Militäroperationen“.

Westliche Geheimdienste kennen die Pläne Moskaus

Nach BILD-Recherchen sind Russlands „Maximal-Pläne“ für einen Krieg gegen die Ukraine seit Mitte Oktober bekannt. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA fing sie aus russischen Militärkommunikationen ab, informierte zunächst die eigene Regierung, die im November die Nato unterrichtete. Zuerst berichtete die „Washington Post“ darüber. Der Zeitung zufolge könnte Putin 175 000 Soldaten über die Grenze schicken.

Nun hat BILD brisante Details über die russischen Pläne erfahren, die nach Worten eines hochrangigen Offiziers „in der Schublade liegen, ohne dass Putin bislang entschieden hat, ob sie umgesetzt werden oder nicht“. Allerdings zeigten die Truppenverlegungen seit April, dass der Kreml in Richtung Umsetzung der Angriffspläne zu tendieren scheine.

Die folgenden Details zur möglichen russischen Invasion der Ukraine und die BILD-Karte basieren auf Einschätzungen mehrerer Personen aus Nato- und Sicherheitskreisen, die die möglichen russischen Angriffspläne teils einsehen konnten.

Ukraine in AngstPutin startet Militär-Übung an Grenze

Quelle: Reuters

Möglicher Angriff im Januar oder Februar 2022

Laut einer hochrangigen Sicherheitsquelle würde die russische Armee – sollte Putin es befehlen – „einen simultanen Angriff vom Norden der Krim, durch die Separatisten-Gebiete im Osten und von Norden aus“ angreifen. Dies sei sowohl die Einschätzung der Nato als auch des ukrainischen Militärgeheimdienstes. Der Angriff könnte demnach „Ende Januar, Anfang Februar“ erfolgen – sollten Ukraine und Nato nicht auf Putins Forderungen eingehen.

Andere Insider aus dem Umfeld der Nato sehen dagegen einen Angriff in drei Phasen, wobei jede Phase auch die letzte der Operation sein könnte, sollte die westliche Reaktion auf die Invasion zu einer Neubewertung der Lage führen.

Karte/Map: Putins Einmarschplan in die Ukraine – Infografik

Phase 1: Der Süden

In einer ersten Phase würde der Süden der Ukraine erobert, „um sowohl die Versorgung der Krim zu sichern, als auch die Ukraine vom Meer und damit vom Nachschub abzuschneiden“, erklärte ein Sicherheitsbeamter gegenüber BILD.

Russland plane, mit den im Frühjahr aus der Ostsee in die Region verlegten Landungsschiffen „Panzer und Truppen von der Krim aus in das Gebiet rund um Odessa zu befördern“, sagte ein hochrangiger westlicher Geheimdienstler.

Bereits im April übte die russische Armee die Invasion der Ukraine. Damals auf der besetzten Krim

Bereits im April übte die russische Armee am Strand der besetzten Krim – möglicherweise für einen Angriff auf die Ukraine

Foto: AZ/AP

▶︎ Ein anderer hochrangiger Militär wurde noch konkreter. Demnach sähen die russischen Pläne vor, „östlich von Odessa, zwischen den Städten Fontanka und Koblewe, eine amphibische Landeoperation“ durchzuführen. Russische Truppen würden „östlich der Stadt nach Norden vorrücken, dann nach links abbiegen und bis nach Transnistrien vorstoßen“. Damit wäre Odessa eingekesselt.

Gleichzeitig würde es in der Region Cherson entlang des Flusses Dnepr „Luftlandeoperationen von Speznas-Spezialeinheiten“ geben, die die Brücken über den wichtigsten Fluss des Landes blockieren und den Ukrainern damit den Nachschub abschneiden würden. „Von der Krim aus würde es zunächst ‚nur‘ Artilleriefeuer auf die starken ukrainischen Stellungen geben. Damit wären die ukrainischen Truppen hier gebunden und könnten die Brücken hinter sich nicht zurückerobern“.

Luftlandeeinheiten der russischen Armee trainieren für den Ernstfall

Luftlandeeinheiten der russischen Armee trainieren für den Ernstfall

Foto: AZ/AP

Ebenfalls würden russische Panzerverbände, wiederum unterstützt von Marine und Luftwaffe, vom besetzten Gebiet Donbass in der Ost-Ukraine nach Westen vorstoßen, sich dann teilen und einerseits nach Saporischschja vordringen (dem wichtigsten militärischen Zentrum im Süden der Ukraine) sowie andererseits in Richtung Krim vorstoßen.

Sollte das gelingen, wäre der gesamte Süden der Ukraine unter russischer Kontrolle und Putin hätte einen Korridor von Russland bis an die Grenze der Nato nach Rumänien geschlagen.

Phase 2: Der Nordosten

Parallel zur ersten Phase des Krieges würden Putins Luftwaffe und ballistische Raketen die militärischen Kapazitäten der Ukraine im ganzen Land schwächen.

Sollte der Kreml die Bedingungen dafür erfüllt sehen, könnten daraufhin russische Panzerverbände die Grenze in den Regionen Lugansk und Charkiw überqueren und bis zu den Großstädten Dnipro bzw. Poltawa vorstoßen.

„Die Städte würden sie erst mal umrunden bzw. einkesseln und ihnen Strom, Gas und Nahrungsversorgung abstellen. Nach ein paar Wochen können sich die Russen dann als Retter der Zivilisten feiern, in die kapitulierenden Städte eindringen und die ukrainische Bevölkerung vor dem Hunger- oder Kältetod bewahren“, erklärt ein Offizier.

Phase 3: Kiew

In einer dritten Phase würde die Kreml-Armee von Norden aus in Richtung Kiew vorstoßen. „Natürlich könnte das auch schon zu Beginn des Krieges passieren, wenn es die Umstände erfordern“, sagte eine Quelle zu BILD.

Unsicherheit herrscht bei den Nato-Strategen bei der Frage, ob sich das Lukaschenko-Regime von Belarus aus an den Feindseligkeiten beteiligen würde. Obwohl Diktator Lukaschenko dies vor Kurzem angekündigt hatte, sei es bislang nicht sicher.

Am 1. Dezember demonstrierten in Kiew Tausende gegen eine russische Invasion und forderten einen noch härteren Kurs der Regierung gegenüber Moskau

Am 1. Dezember forderten in Kiew Tausende Demonstranten einen noch härteren Kurs ihrer Regierung gegenüber Moskau

Foto: GENYA SAVILOV/AFP

Sollte Belarus als Ausgangspunkt für russische oder gar belarussische Angriffe bereitstehen, wäre es Russlands Plan, mit einer Zangenbewegung Kiew von Nordosten und Nordwesten her einzukesseln und zu belagern.

Anschließend würden Russlands Streitkräfte „ungefähr bis zu einer Linie Korosten-Uman marschieren, um den Nachschub aus der Westukraine abzuschneiden. Dann würde man eine Kapitulation Kiews und damit der Ukraine unter Druck des Westens abwarten“.

Die Ukraine wäre gnadenlos unterlegen

Im Ergebnis eines solchen Szenarios, für das der Kreml offenbar Pläne ausgearbeitet hat, die westliche Geheimdienste nun kennen, würde Russland etwa zwei Drittel des heutigen Staatsgebiets der Ukraine besetzen. Ein anderer Insider meint: „Wenn Russland reingeht, kommen die Sanktionen sowieso. Dann macht es auch keinen Sinn mehr, auf halbem Weg stehenzubleiben“.

Für die Verteidigung der Ukraine sehen die Militärs derweil schwarz. „Die Ukrainer würden kämpfen, aber sie würden einem Großangriff der Russen nicht standhalten können“, sagte ein hochrangiger Beamter zu BILD. „Wenn sie nicht komplett vernichtet werden“, würden sich die Streitkräfte Kiews in den Westen des Landes zurückziehen.

Ein anderer Offizier zu BILD: „Die amerikanischen ‚Javelin‘-Panzerabwehr-Raketen reichen lange nicht für alle russischen Panzer aus und die türkischen ‚Bayraktar‘-Drohnen sind eine leichte Beute für die russischen Luftkampfflugzeuge.“

Um sich zu verteidigen, bräuchte die Ukraine dagegen sofort moderne westliche Flugabwehrraketen vom Typ „Patriot“ sowie Anti-Schiff-Raketen vom Typ „Harpoon“.

Ein westlicher Sicherheitsbeamter zu BILD: „Die Alliierten überdenken aktuell Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch diese Entscheidung kann nicht von der Nato kommen, sondern ausschließlich von ihren souveränen Mitgliedern.“

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Quelle: BILD / dpa / Reuters / AP / Russisches Verteidigungsministerium
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