"Belfast" im Kino:Wie ich wurde wie ich bin

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1969 war der Regisseur Kenneth Branagh so alt wie sein Filmheld: Jude Hill in "Belfast" (Foto: Rob Youngson/Focus Features)

In seinem kleinen Kinomeisterstück "Belfast" erzählt Kenneth Branagh eine fast autobiografische Geschichte über den Nordirland-Konflikt.

Von Susan Vahabzadeh

Ein Herz, das nur eine Bestimmung kennt, wird zu Stein verzaubert, so heißt es in einem Gedicht von William Butler Yeats über den Osteraufstand in Dublin von 1916. Yeats war selbst zwar Protestant, aber ein flammender Befürworter der irischen Unabhängigkeit, und dennoch bestürzten ihn die Gewaltausbrüche: So nicht. Nordirland blieb am Ende des Krieges, der daraus bald entbrannte, ein Teil des Vereinigten Königreichs. Kenneth Branaghs Film "Belfast" erzählt von den Troubles, dem Nordirlandkonflikt, aus einer sehr persönlichen, einer Kindersicht - der Regisseur ist mitten in den Troubles aufgewachsen. Man weiß zwar am Ende von "Belfast" nicht, welchen Weg er sich für Nordirland gewünscht hätte, aber eines ist klar: So nicht.

Es ist 1969, der kleine Buddy lebt mit seinem Bruder und seiner Mutter in einem Idyll: Die Großeltern und die erweiterte Familie sind immer um ihn, er hat sich in ein Mädchen in seiner Klasse verguckt, und die Menschen in seiner Straße geben aufeinander acht. Einen Wermutstropfen gibt es, der Vater kommt nur am Wochenende, dann wird er eingeflogen aus England, wo die Leute dringend gebraucht werden, für die es in Belfast keine Arbeit gibt. Eines Tages fliegt Buddy dieses Idyll buchstäblich um die Ohren. In der Straße leben sowohl Protestanten als auch Katholiken, und letztere werden nun aus ihren Häusern vertrieben. Der neunjährige Buddy muss sich mit seiner Cousine darüber unterhalten, woran man Katholiken erkennt, die Unionists, die die protestantischen Häuser attackiert haben, verlangen von seinem Vater eine Art Schutzgeld. Da hat, findet der Vater, einer, der immer schon von krummen Dingern lebte, ein neues krummes Ding entdeckt.

"Belfast" wurde für sieben Oscars nominiert, unter anderem als bester Film und für die beste Regie

Man könnte jetzt einwenden, dass Branagh mit seinem Film fast ausschließlich unter Protestanten bleibt, weite Teile des Konflikts, die IRA etwa, gar nicht abbildet. Ein unpolitischer Film, aber Kinder sortieren eben die Dinge nicht politisch ein. Der Shakespeare-Spezialist und bekennende Fan leichter Unterhaltung Branagh wurde selbst 1960 in Belfast geboren, so wie seine Hauptfigur Buddy; sein Vater arbeitete in England, so wie der von Buddy. Es finden sich kleine Verweise auf genau jene kulturellen Prägungen, die auch Buddys Schöpfer in sein sonstiges Werk hat fließen lassen, vom Theater bis "Thor" (bei der Marvel-Verfilmung von 2011 führte Branagh Regie). Und so wie die Familie im Film hat sich die von Branagh den Ereignissen dann auch irgendwann entzogen, ging einfach fort und ließ die Trümmer von Belfast hinter sich. Man kann sich also denken, wo die Geschichte hingeht, aber sie ist so rührend und komisch zugleich, dass sie wirklich keine überraschende Auflösung braucht.

"Belfast" wurde für sieben Oscars nominiert, unter anderem als bester Film, für die beste Regie und fürs beste Originaldrehbuch. "Belfast" ist ein wundervolles kleines Meisterstückchen, irgendwie autobiografisch, aber nicht ganz. Abgesehen von ein paar Ausreißern hat Branagh den Film in Schwarz-Weiß gedreht, als sei er sich bewusst, dass seiner Erinnerung manche Nuancen fehlen und das Licht viel schärfer konturiert. Hatten die Großeltern, gespielt von Judi Dench und Ciáran Hinds, wirklich die perfekte Balance von trockenem Humor und Weisheit gefunden? Waren die Eltern, die Branagh mit zwei extrem schönen Menschen besetzt hat, Caitriona Balfe und Jamie Dornan, wirklich so clever, jedes Unrecht von Weitem zu durchschauen? Vielleicht hat er sie idealisiert, aber das macht nichts. Dann muss man auch nicht glauben, dass der kleine Herr Branagh ein so durch und durch charmant-neunmalkluges Kind war wie Buddy (Jude Hill), sondern es um etwas geht, das viel größer ist als eine persönliche Geschichte. Es ist ein Blick zurück, der voller Stolz Schönheit und Harmonie findet in einem Umfeld, das beides zu erdrücken versucht. Seine Aussparung der politischen Hintergründe ist tatsächlich eine Haltung. Die Welt mag gerade so aussehen, als gäbe es zu allem immer nur zwei Seiten, für Branagh gibt es in "Belfast" eine dritte: die, die jede eskalierte Auseinandersetzung einfach verweigert.

Über allem liegen Lieder von Van Morrison, und es ist ganz egal, ob die wirklich alle aus der richtigen Zeit sind - diese Musik ist ein Gefühl, von beruhigender Leichtigkeit zwischen Straßensperren. Die meisten Filmemacher würden von ihren Kindheitserinnerungen an einen Krieg wahrscheinlich als Schicksalsschlag erzählen. Branaghs Geschichte handelt davon, wie gewalttätige Typen aus der Nachbarschaft es nicht schafften, seine glückliche Kindheit zu beschädigen.

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Manchmal ist das komisch, auf eine Art, die gleichzeitig ein bisschen wehtut. In einer großartigen Szene steht der kleine Buddy, er hat sich von seiner Cousine tatsächlich mitschleppen lassen zur Plünderung eines von Katholiken betriebenen Supermarktes, mit einem gestohlenen Paket Waschpulver vor seiner Mutter und soll sich rechtfertigen, und er hat nur eine Antwort: "Das ist biologisches Waschpulver!" Sie schleift ihn dann, mit dem Paket, in den Supermarkt zurück.

"Belfast" kippt manchmal fast ins Surreale. Wenn zum Beispiel aus einer Beerdigungsfeier fast eine Musicalnummer wird, oder eine Auseinandersetzung an den Barrikaden, die fast so aussieht wie der Showdown aus "High Noon". Irgendwann hört man den Schrei "Made it, Ma! Top of the world!", im Morgengrauen, ohne zu sehen, wer da eigentlich brüllt. Das hat James Cagney als Gangsterboss am Ende von "White Heat" gerufen, bevor er sich, von der Polizei umzingelt, mit einem Gastank in die Luft jagt. Sehr passende Assoziation für Belfast, 1969.Und immer wieder öffnet sich für Buddy dieselbe Tür, durch die er vor jeder Art von bedrückender Wirklichkeit flüchten kann: Comic-Hefte, "Enterprise" im Fernsehen, eine knallbunte Szene aus "Chitty Chitty Bang Bang" im Kino. Das ist eigentlich ein grandioses Fazit für Kindheitserinnerungen mit erheblichem Schlagschatten: Was immer auch geschehen ist, es hat ihn zu dem Menschen gemacht, der er ist.

Belfast , GB 2021 - Regie und Drehbuch: Kenneth Branagh. Kamera: Haris Zambarloukos.Mit: Jude Hill, Caitriona Balfe, Jamie Dornan, Ciáran Hinds, Judi Dench, Colin Morgan, Lara McDonell. Universal Pictures, 99 Minuten. Kinostart: 24. Februar 2022.

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