Jazz-Album "The 7th Hand":Spirituelle Kraft

Lesezeit: 3 min

24 Jahre und ganz schön weise: Immanuel Wilkins. (Foto: Rog Walker/Universal)

Der Altsaxofonist Immanuel Wilkins beschwört mit seinem neuen Album die Geister.

Von Andrian Kreye

Hin und wieder begegnet einem ein Album, von dem man sofort weiß, dass es einen lange begleiten wird. "The 7th Hand" (Blue Note) des Altsaxofonisten Immanuel Wilkins ist so eines. Sein Debüt "Omega" landete 2020 ( auch in dieser Zeitung) auf den meisten Jahresbestenlisten. Mit dem Nachfolger macht er nun noch mal einen erstaunlichen Schritt nach vorne. Warum das so ist, lässt sich gar nicht so einfach erklären. Sein Labelchef Don Was ist selbst Bassist und erzählte bei einem dieser Video-Chats, die er gerne mit seinen Künstlern zu neuen Platten führt, dass er versucht habe, zum Album dazu zu spielen. Er sei da aber verloren.

Nun hat Don Was normalerweise kein Problem mit dem Selbstbewusstsein. Bevor er das Jazzlabel Blue Note übernahm, hat er viel Musikgeschichte geschrieben. Er hat zum Beispiel einen guten Teil des Spätwerks der Rolling Stones produziert und da dann auch immer selbst Bass gespielt. Das hat er auch auf Platten von Bob Dylan, Bob Seger und Kris Kristofferson getan, und von Bonnie Raitt, die er großgemacht hat. Muss man sich auch trauen als Produzent, den Legenden klarzumachen, dass man das Fundament nun mal selbst legen werde. Zu wahrer Größe gehört natürlich auch das Eingeständnis der eigenen Grenzen. Don Was sagte also, er hätte keine Ahnung, wie Immanuel Wilkins' Musik funktioniere. Obwohl sie einen als Hörer keineswegs aus der Bahn wirft. Es swingt ja durchaus, auch wenn das Quartett mit Rhythmus- und Harmoniestrukturen spielt, die sich zwar gut anhören, aber nur schwer nachvollziehen lassen.

Video zu "Emanation/Don't Break":

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Das sind keineswegs intellektuelle Fingerübungen. Jedenfalls erklärte ihm Wilkins die Sache mal von der spirituellen Seite her. Die Nummer sieben im Titel, so sagte er, berufe sich auf all jene religiösen Texte, die mit der Nummer sechs die Perfektion des Menschen und in Folge mit der Nummer sieben die Intervention des Göttlichen verbinden. Genau diese Intervention aber ist eine Dimension der Musik, die immer dann beginnt, wenn die Ausführenden aus dem Hier und Jetzt in einen Zustand der Ekstase geraten und hinterher oft selbst nicht mehr wissen, was sie da gespielt haben. Wilkins bezeichnet das als "vessel-hood", als "Gefäß-haftigkeit". Damit umschreibt er die Idee, dass er als Musiker nur das Gefäß für die Eingabe einer höheren Macht ist. Man muss das nicht gleich religiös betrachten. Weltlich gesprochen wäre das der Funke der Inspiration. Jazz, Blues und Gospel erreichen diesen Zustand von allen Musikformen am besten. Wilkins schließt da an die Tradition an, die John Coltrane und Pharoah Sanders begannen, in der spirituellen Befreiung die intellektuelle Komplexität des Modern Jazz in neue Formen zu bringen.

Oder man greift ganz tief in die Kulturgeschichte. Wilkins beschrieb das an anderer Stelle mal so: "Wenn ich an Gefäß-haftigkeit denke, denke ich an afrikanische Praktiken der Geisterbesessenheit. Man sieht das in den meisten spirituellen Praktiken der afrikanischen Diaspora. Bei den Yoruba werden die Trommeln eingesetzt, um eine Gottheit herabzurufen, und der Tänzer wird dann von dieser Gottheit besessen. Aber das ist irgendwie universell, in allen afrikanischen Praktiken - auch in der Schwarzen Kirche, wo man den Heiligen Geist einfängt - und es ist direkt mit der spirituellen Kraft verbunden, die die Trommel in sich trägt, und wie sie diese Kraft kanalisieren kann."

Immanuel Wilkins: The 7th Hand. Blue Note, 2021 (Foto: N/A)

Wilkins selbst ist als Mensch und Musiker in der Kirche groß geworden. Und die, so erklärt er, sei immer auch Frei- und Schutzraum für Afroamerikaner gewesen. Eines der Stücke heißt beispielsweise "Selah". "Ich habe über die Idee der Flucht nachgedacht und darüber, wie die schwarze Kirche als Ort dient, an dem die Menschen dem Blick entkommen und ihre Wachsamkeit ablegen können. Und wie das zu einigen wirklich erstaunlichen spirituellen Offenbarungen führt. Das Sprechen in Zungen. All diese Dinge, die unbeschreiblich sind. Und auch urkomische Dinge, wie Leute, die sich in der Kirche total aufführen. Dies ist ein Ort, der sich der Kontrolle entzieht. Da kommt das Wort Selah ins Spiel. Das bedeutet 'Innehalten'."

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24 Jahre ist Immanuel Wilkins alt. Wenn es so etwas wie die alten Seelen gibt, dann verkörpert er dieses Bild in Bestform. Im März kommt er mit seinem Quartett auf Tour.

8.3. Wien, 9.3. München , 10.3. Singen, 11.3. Basel.

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