Szenario:Von Schatten und Licht

Bayerischer Buchpreis 2021

Porzellanlöwen für Emine Sevgi Özdamar und Helge Hesse. Bevor die Bayerischen Buchpreise vergeben werden, werden die Sieger in Sachbuch und Belletristik je eine halbe Stunde von der Jury live ausdiskutiert.

(Foto: Robert Haas)

Ein Fest, trotz allem - zur Verleihung der Bayerischen Buchpreise in der Allerheiligen Hofkirche.

Von Antje Weber, München

Die Schatten der Gegenwart werden wieder länger. Gerade haben die Gäste an diesem Donnerstagabend versucht, in Feststimmung zu kommen; sie haben vor der Allerheiligen Hofkirche ihre Impfpässe gezückt, die Masken fallen lassen und sich in eng bestuhlten Reihen an ihre Nachbarn gewöhnt; sie haben in BR-Mikros gesprochen, dass sie sich über die Verleihung der Bayerischen Buchpreise in Präsenz freuen. Doch als zu Beginn des live im Radio gesendeten Abends die Nachrichten in den Saal übertragen werden, ist die Entspannung jäh vorbei. Das Robert-Koch-Institut rate "zur Absage größerer Veranstaltungen", hallt es laut - und die Nervosität entlädt sich in einem Heiterkeitsausbruch.

Da nun aber schon einmal alle da sind, erfreulicherweise auch die sechs potenziellen und der bereits gekürte Preisträger Frank Schätzing, kommt der von Judith Heitkamp souverän moderierte Abend doch bald in Schwung. Ein paar Dankesworte des bayerischen Börsenvereinsvorsitzenden Klaus Füreder, ein BR2-Publikumspreis an Juli Zeh für ihren Roman "Über Menschen" - und es geht zum Herzstück: Zum achten Mal werden die Sieger in Sachbuch und Belletristik je eine halbe Stunde live ausdiskutiert. Als Juroren und Jurorin sitzen der BR-Kritiker Knut Cordsen, der Hamburger Literaturhaus-Leiter Rainer Moritz und die SZ-Redakteurin Sonja Zekri auf der Bühne - und im schnellen, teils harten Schlagabtausch schenken sie einander auch in diesem Jahr nichts.

Für die Autoren ist das "sehr nervenaufreibend", wie Helge Hesse gesteht, als er nach der Sachbuchrunde um einen Porzellanlöwen und 10 000 Euro reicher ist. Die Diskussion zuvor scheint zunächst unversöhnlich: Zwar stößt Hesses "Die Welt neu beginnen" (Reclam) über die Aufbruchszeit 1775-1799 auf viel Zustimmung; am Ende des Buches verstehe man die Epoche besser, findet nicht nur Moritz. Cordsen allerdings erinnert das Prinzip auch an eine "Bundesliga-Schaltkonferenz", und für Zekri mangelt es sowohl am Unterbau als auch an Frauen. In "Khomeini" (C.H. Beck) von Katajun Amirpur dagegen, darin ist die Jury einig, lerne man zwar auch viel über die Bedeutung der iranischen Revolution von 1979 bis heute. Doch Cordsen und Moritz finden das Buch auch "voraussetzungsreich" oder teils "schleppend". Auf das Jahr "1977" (Suhrkamp) wiederum zielt Philipp Sarazin, der laut Cordsen besonders elegant einen Bogen in die Gegenwart schlage. Ob der erste Heimcomputer, Autofiktion oder Identitätspolitik - viele heutige Phänomene hätten damals ihren Anfang genommen. Zekri jedoch erscheint der Blick zu westlich eng, außerdem werde "sehr, sehr viel Foucault" zitiert.

"Was tun?" ist die bange Frage, als die Sanduhr fast abgelaufen ist und alle auf ihren Vorschlägen beharren. Schließlich schwenkt Cordsen um, und er erweist sich auch nach der Belletristik-Diskussion ehrenvollerweise als kompromissbereit. Denn auch hier fällt die Wahl schwer. Emine Sevgi Özdamars Roman "Ein von Schatten begrenzter Raum" (Suhrkamp) ist zwar für Zekri ein "Solitär"; vor allem zeige der Roman über eine türkische Schauspielerin, die in den Siebzigern nach Deutschland kommt und im Theater nur als Putzfrau besetzt wird: Hier will jemand als Mensch und Künstlerin wahrgenommen werden und nicht als "Thema". Das gefällt auch Cordsen, den jedoch wie Moritz unter anderem viel "Namedropping" stört.

Bayerischer Buchpreis 2021

Frank Schätzing wird für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Er erhält den "Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten".

(Foto: Robert Haas)

In die Welt des Theaters führt auch Jenny Erpenbecks Roman "Kairos" (Penguin), der von einer beklemmenden Liebe in Zeiten der untergehenden DDR erzählt. So interessant Zekri die Beschreibungen der Künstlerszene findet, so "unerträglich" erscheint ihr das hier vorgeführte "Monument toxischer Männlichkeit"; Cordsen lässt dazu Verben wie "sich einkitschen" fallen. Der schwarze Humor von Jovana Reisingers "Spitzenreiterinnen" (Verbrecher Verlag) wiederum, in dem Männer "nicht mal eine Nebenrolle" spielen (Cordsen), bereitet allgemeines Lesevergnügen. Den Ausschlag für Özdamar am Ende gibt dann auch, dass hier neben einem Roman ein Lebenswerk ausgezeichnet wird.

Doch für ein Lebenswerk gepriesen zu werden, kann auch "irritieren", wie Frank Schätzing weiß - weil "endzeitbehaftet". Der erfolgreiche Wissenschaftsautor erhält durch Kunstminister Bernd Sibler, der ihm eine "Mission" bescheinigt, den Ehrenpreis des Ministerpräsidenten. Und Schätzing nutzt die Gelegenheit, indem er seinerseits den Baum-Umarmer Markus Söder anspornt: Bezüglich Weltrettung betrachte er ihn als "Verbündeten". Anschließend wandert der Kölner mit den versammelten Gästen aus Politik und Buchbranche in den Kaisersaal der Residenz, obwohl dort "falsches Bier" wartet. Gesprächsstoff liefert auch hier natürlich die Frage, ob dieser Empfang eine Woche später genauso stattgefunden hätte. Für Lesestoff jedenfalls ist gesorgt, falls die von Schatten begrenzten Räume wieder enger werden.

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