Warum Geschwindigkeit als Kriterium zur Automatisierung nicht ausreicht

Automatisierung

Ein zentrales Element von Verbesserungsbestrebungen im Lean Kontext ist die Durchlaufzeit, einerseits weil das typischerweise ein bzw. der Faktor ist, der die Kundenzufriedenheit am stärksten beeinflusst und weil eine geringe Durchlaufzeit auch dem Unternehmen sehr stark dient, wenn es darum geht, für die Leistung für den Kunden honoriert zu werden. Nicht zuletzt beschreibt die Durchlaufzeit auch die wichtigste Optimierungsrichtung, die Taiichi Ohno genannt hat, wenn er gefragt wurde, was Toyota und das Toyota Produktionssystem ausmacht.

Wenn jetzt aber die Dinge so einfach wären, dass man Automatisierungsbestrebungen ausschließlich auf die Geschwindigkeit reduzieren könnte, wäre das sicherlich keine weitere Diskussionen und auch diesen Artikel nicht wert.

Wie der Titel aber impliziert, gibt es weitere Aspekte, die es wert sind, als Kriterien bei der Automatisierung betrachtet zu werden.

In der Regel ist der Engpass und dessen Durchsatz (aka Geschwindigkeit) in einem Wertstrom auch der limitierende Faktor für die Durchlaufzeit. Gleichzeitig ist es aber eben nicht ausreichend, nur diese Geschwindigkeit zu betrachten.

Diese Problematik ergibt sich aus der Tatsache, dass es immer einen Engpass in einem Wertstrom gibt. Im Grunde könnte man den Wertstrom auch als Kopf einer Hydra betrachtet, mit dem einzigen Unterschied, dass der Hydra beim Abschlagen dieses Kopfes zwar nicht zwei neue wachsen aber eben ein neuer. Da hilft es dann auch nicht, wie Herakles ein Feuer um die Hydra zu entfachen und damit die neuen Engpassköpfe abzubrennen.

Es gilt also eher das Highlander-Prinzip. Es gibt also nur einen (Engpass) aber es gibt gleichzeitig auch immer einen Engpass.

Deshalb lohnt es sich eben vor der Automatisierung den kompletten Wertstrom zu betrachten und auch über die Beseitigung dieses Wertstroms hinaus zu denken und den Kopf oder sogar die möglichen Köpfe in Form verborgener Knospen zu suchen und zu betrachten. Dies gilt insbesondere deshalb, weil Automatisierung typischerweise immer von Investitionen begleitet wird bzw. diese nötig macht.

„Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht noch immer geschwinder, als jener, der ohne Ziel umherirrt.“

– Gotthold Ephraim Lessing

Grundsätzlich ist es denkbar und durchaus akzeptabel, dass es durch eine Automatisierung zwar der Durchsatz im Engpass gesteigert wird, es aber bei der Lokalisierung des Engpasses gar keine Veränderung gibt. Dann sollte man auch aber bewusst sein, dass es oft in der Natur von Automatisierungen begründet ist, dass es über bestimmte Durchsatzverbesserungen hinaus keine weiteren Steigerungen bei der Geschwindigkeit gibt, weil Automatisierung oft mit einem geringen Maß an weiterem Potenzial einhergeht. Schließlich wäre die Ausschöpfung bekannter Potenziale eine ziemlich offensichtliche Unterlassungssünde.

Das kann dann durchaus auch bedeuten, dass ein zunehmender Automatisierungsgrad gleichzeitig von zunehmend eingeschränktem weiteren Verbesserungspotenzial begleitet wird.

Außerdem kann die Automatisierung, bspw. von wertschöpfenden Prozessschritten, weitere Durchsatzverbesserungen erfordern, die vor der Automatisierung gar nicht im Fokus standen.

Bspw. kann eine Steigerung bei spanabhebenden Bearbeitungsschritten einerseits erhöhte Reibungswärme oder andere Umfeld- oder sogar Umwelteffekte verursachen, die sich plötzlich in Bereichen des Wertstroms abspielen, die vorher überhaupt nicht betrachtet wurden.

Oder eine Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit kann beschleunigte Zu- und Abfuhr von Werkstücken erfordern, die ebenfalls vorher nicht erkannt und entsprechend berücksichtigt wurden.

Dabei kann es zu Effekten kommen, die aufgrund allgemein durchaus sinnvollen inkrementellen Vorgehensweisen zu Beginn eben nicht erkannt werden, dann aber später nach getätigten Investitionen in Automatisierung plötzliche zusätzliche Hürden aufbauen, die sich dem anfänglichen Optimierungsziel in den Weg stellen und es unerreichbar machen können (ohne weitere Investitionen zu tätigen).

Grundsätzlich sind diese Effekte nicht überraschend, verstärken sich aber oft in ihrer Wirkung und Auswirkung im einem Verhältnis, das nicht selten mit der Höhe der notwendigen Investitionen korreliert.

Entscheidend ist daher in meinen Augen, dass man wieder mal zuerst sich völlig bewusst über das Problem in all seinen Facetten und mit all seinen Bestandteilen, Einflussfaktoren und Auswirkungen sein sollte, bevor mal Automatisierung als mögliche Lösung prüft und wertvolle Ressourcen darin investiert. Eine umgekehrte Reihenfolge führt dann sehr leicht dazu, dass die Lösung zum Problem wird, ohne wirklich zur Problemlösung beizutragen.

Frage: Welche Rolle spielen Automatisierungen bei Verbesserungen in Ihrem Verantwortungsbereich? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Was war davon vorhersagbar?

Sie können einen Kommentar hinter­lassen, indem Sie hier klicken.

Oder teilen Sie den Artikel, gerne mit Ihrem Kommentar, auf Ihrem bevorzugten Social-Media-Kanal und lassen andere an Ihrer Erkenntnis teilhaben.

Jetzt eintragen und Artikel/Denkanstöße zukünftig per eMail erhalten.

Artikel teilen auf ...

Hinweis: Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, die beleidigend sind oder nicht zum Thema gehören.