Räterepublik:Dichter an die Macht

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Im Jahr 1919 engagierten sich Literaten in München politisch. Volker Weider­mann lässt sie alle aufmar­schieren: Kurt Eisner, Ernst Toller, Gustav Landauer, Erich Mühsam, Oskar Maria Graf. Fazit: "Natürlich war es ein Märchen gewesen."

Von Jens Bisky

Als Kurt Eisner die Wittelsbacher für abgesetzt erklärte und den Freistaat Bayern proklamierte, schien vieles von dem möglich geworden, was man zuvor - in den nervös gespannten Jahren des Kaiserreichs und während des Krieges - diskutiert, projektiert, erträumt hatte. Ein geistiger Umschwung mochte Zeit brauchen, aber eine Reihe tatsächlicher Fortschritte wurde unter dem Ministerpräsidenten Eisner erreicht: Frauenwahlrecht, Achtstunden-Tag, Arbeitslosenversicherung. Dennoch verlor Eisners USPD die Wahlen im Januar 1919. Verhandlungen brachten keine Lösung, der Hass der Reaktionäre und Antisemiten wurde lauter, Eisner bereitete seine Rücktrittsrede vor.

In diesem Augenblick beginnt der Literaturkritiker Volker Wiedermann seine Geschichte der Revolution in München: "Natürlich war es ein Märchen gewesen, nichts als ein Märchen, das für ein paar Wochen Wirklichkeit geworden war. Und jetzt war es eben vorbei. Es wäre lächerlich, sich noch weiter an die Macht zu klammern." Dramaturgisch gekonnt und immer seine Helden, die Dichter, Denker, Schriftsteller im Auge, erzählt Weidermann, wie nach den Träumern die Ideologen die Macht ergriffen, bis die Räterepublik in einem konterrevolutionären Terrorexzess niedergeschlagen wurde.

Der Zeitgenosse Victor Klemperer, der für eine Leipziger Zeitung aus München berichtete, hat die revolutionären Intellektuellen skeptisch beurteilt, fühlte sich oft an Fasching erinnert, registrierte, wie Kindlichkeit im Politischen kindisch und daher gefährlich wurde. Weidermann folgt seinen Träumern, folgt Kurt Eisner, Gustav Landauer, Ernst Toller, Erich Mühsam, Oskar Maria Graf und anderen ohne spätgeborene Besserwisserei. Eindrücklich und genau schildert er, woran sie glaubten, wie sie zu Getriebenen wurden.

Folgerichtig steht diese Lesung von Axel Milberg ganz im Dienst der Vergegenwärtigung. Er behält als Erzähler alle Fäden in der Hand, weckt Empathie und Schrecken beim Hörer. Nur Verse, Erinnerungen, Tagebucheinträge werden von anderen gesprochen, etwa von Alexander Duda, Friedrich Schloffer, Thomas Loibl, Caroline Ebner.

Wie ein Resümee klingt kurz vor dem Ende die resignierende Einsicht Erich Mühsams: "Das ist die Revolution, der ich entgegengejauchzt habe. Nach einem halben Jahr ein Bluttümpel: mir graut." Aber so lässt Volker Weidermann seine Geschichte der revolutionären Bohème nicht ausklingen. Er berichtet noch, wie Ernst Toller sich lange genug verstecken konnte, um die Tage des Mordens zu überleben, wie er dann nach vier Jahren im Gefängnis aufbrach, um einer der Erfolgsautoren der jungen Republik zu werden: "Ich bin nicht müde".

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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