Tag der Arbeit in München:"Viele Menschen können sich diese Stadt nicht mehr leisten"

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"Wir gegen Kinderarmut" heißt es auf mehreren Plakaten bei der DGB-Kundgebung auf dem Marienplatz. (Foto: Robert Haas)

Zum 1. Mai zählt der Deutsche Gewerkschaftsbund 4500 Teilnehmer bei seiner Kundgebung auf dem Marienplatz. Die Sorge über hohe Mietpreise ist spürbar - und ebenso die Streikbereitschaft.

Von Stephan Handel

Was ist wichtig am Tag der Arbeit in München? Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat bei seiner Mai-Kundgebung auf dem Marienplatz die Inflation zum Thema gemacht, die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Mietpreise in München und den Fachkräftemangel. Der Veranstalter spricht von 4500 Teilnehmern, die Polizei schätzt 3500.

"Ungebrochene Solidarität" hatte der DGB als Motto für den diesjährigen Tag der Arbeit gewählt. Um das gleich zu Beginn zu demonstrieren, begrüßte die Münchner DGB-Vorsitzende Simone Burger Vertreter jener Teilgewerkschaften, die momentan in Tarifverhandlungen stehen: die Bahn, die MVG, den Groß- und Außenhandel, den Einzelhandel und die Brauereien. Später forderte Burger, ernsthaft über die 35-Stunden- und Vier-Tage-Woche zu diskutieren.

Münchens dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) sprach über den Anspruch der Stadtregierung, "die Stadt zu gestalten, die Stadt gerechter zu machen". Viele Menschen fragten sich, "ob sie sich die Wohnung noch leisten können, ob sie sich den Kita-Platz leisten können, ob sie überhaupt einen Kita-Platz haben, damit sie ihrer Arbeit nachgehen können". Die Ansicht, solche Probleme würden durch Kapitalismus und freien Markt gelöst, nannte Dietl "ein Märchen": "Der Markt löst keine Probleme." Zuvor hatte die DGB-Chefin Simone Burger gefordert: "Staatliche Grundstücke dürfen in dieser Stadt nicht mehr verkauft werden und auf diesen Grundstücken müssen bezahlbare Wohnungen entstehen. Apple braucht keine Hilfe - wir schon."

Zwei ehrenamtliche Gewerkschaftsmitglieder berichteten von der Stimmung in ihrer jeweiligen Branche: Julia Stenzniewski, die bei der S-Bahn arbeitet und Mitglied in der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ist, nannte die Arbeitgeber-Angebote in den derzeit laufenden Tarifverhandlungen eine "Verhöhnung, die schwer zu ertragen ist" und drohte: "Wenn das so weitergeht, werden wir weiterstreiken." Und das völlig zu recht, meinte Stenzniewski, nannte Beispiele, wie viel sie und ihre Kollegen verdienten - alle unter 3000 Euro brutto - und klagte: "Viele Menschen, die diese Stadt bewegen, können sich diese Stadt nicht mehr leisten."

Kundgebung im Nieselregen: Der Veranstalter spricht von 4500 Teilnehmern, die Polizei schätzt 3500. (Foto: Robert Haas)

Der Arzt Peter Hoffmann, seit vielen Jahren bei der München Klinik beschäftigt, berichtete vom Fachkräftemangel und den daraus resultierenden Arbeitsbedingungen nicht nur in seinem Krankenhaus: Man wisse schon zu Beginn der Schicht, dass man unzufrieden nach Hause gehen werde. "Das laugt einen aus."

Mareile Siegmund von der IG Bergbau, Chemie, Energie hielt die Jugendrede und erzählte, wie kompliziert es sei, in München mit einem Ausbildungsgehalt über die Runden zu kommen: "730 Euro kostet durchschnittlich ein WG-Zimmer hier, eine Tankfüllung 100 Euro. Es wird immer schwieriger, sich die Dinge leisten zu können, die man zum Leben braucht." Wenn dann die Arbeitgeber in Tarifverhandlungen Angebote machten, die nicht einmal die Inflationsrate erreichten, dann sei die Grenze erreicht: "Wir lassen uns nicht mehr verarschen."

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Über Versuche der Arbeitgeber, das Streikrecht einzuschränken, sprach zunächst Maike Finnern, Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und Hauptrednerin der Kundgebung: "Das Streikrecht ist ein zentrales Instrument, um für die Beschäftigten gute Gehälter und gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Die schenken uns die Arbeitgeber nicht." Die Angriffe der Arbeitgeber auf das Streikrecht seien ein Angriff auf die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft.

Finnern sprach sich dafür aus, mehr staatliche Einnahmen zu generieren, zum Beispiel zur Finanzierung der Kinder-Grundsicherung. "Wir brauchen eine Vermögenssteuer, wir brauchen Umverteilung", rief sie aus. "Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten." Ein Mietenstopp gerade in Großstädten wie München sei notwendig.

Lautstark und fröhlich: der Demonstrationszug mitten durch die Stadt. (Foto: Robert Haas)

Als einzige Rednerin ging Finnern auf den Krieg in der Ukraine ein. Sie plädierte für Frieden, forderte aber auch eindeutig: "Herr Putin, ziehen Sie Ihre Truppen zurück."

Die Kundgebung endete mit dem alten Arbeiterlied "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit". Mit der Sonne war es allerdings nicht soweit her - das Kultur- und Familienfest rund um den Marienplatz litt unter zwar nicht starkem, aber unaufhörlichen Nieselregen. Am späteren Nachmittag gab es dann am gleichen Ort noch das laut.stark-Festival von DGB-Jugend und Feierwerk mit drei Bands.

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