Große Debatte in BILD: Soll Deutschland die Russen-Flüchtlinge aufnehmen?

Bereits mehr als 260 000 Männer ausgereist

Auf der Flucht vor der Mobilmachung: Russische Männer überqueren die Grenze zu Georgien, um sich einer möglichen Einberufung in die Armee zu entziehen

Auf der Flucht vor der Mobilmachung: Russische Männer überqueren die Grenze zu Georgien, um sich einer möglichen Einberufung in die Armee zu entziehen

Foto: Shakh Aivazov/AP

Massenflucht aus Russland! Seit dem Beginn der Teil-Mobilmachung haben mehr als 260 000 russische Männer ihr Land verlassen, das berichtet die Zeitung „Nowaja Gazeta“ unter Berufung auf Kreml-Quellen.

Laut EU-Richtlinie gilt auch die „Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes“ in einem verbrecherischen Krieg als Verfolgung. Das bedeutet: Es könnten Zehntausende oder gar Hunderttausende nach Deutschland wollen!

Ist es Deutschlands Pflicht, die Mobilmachungs-Flüchtlinge aufzunehmen? Lesen Sie die Argumente der BILD-Redakteure im großen Pro und Contra – und stimmen Sie ab!

Ja, aufnehmen!

VON STEFAN NETZEBANDT

Deutschland sollte Menschen aufnehmen, die nicht für Russlands irrwitzigen Vernichtungsfeldzug in den Krieg ziehen wollen. Auch wenn uns das im Einzelfall Bauchschmerzen bereitet. Wenn ich Russe wäre, würde ich mutig auf die Straße gehen? Desertieren? Flugblätter verteilen? Ich weiß es nicht. Mir hilft ein Blick in die Vergangenheit.

Mein Großvater Eduard Netzebandt liegt auf einem Gräberfeld im Salzburger Land in Österreich. Er starb in den letzten Kriegstagen am 28. April 1945 im Rang eines Oberwachtmeisters im Alter von 41 Jahren – elf Jahre jünger als ich heute. Er war unseres Wissens Mitglied der NSDAP und in meiner Heimatstadt Teil des Wachschutzes in der Rüstungsindustrie.

Eduard Netzebandt ist nicht desertiert. Er hat nirgends Asyl gesucht. Schon gar nicht ging er demonstrieren oder in den Widerstand. Er war also ein kleines von vielen Rädchen, das den Weltkrieg mit 60 Millionen Toten möglich gemacht hat.

Ich wünschte, er hätte sich anders entschieden. Dass er vor der Einberufung in ein anderes Land geflohen wäre – und sei es aus Angst. Vielleicht hätte er schließlich eine andere Sicht gewonnen auf das barbarische Regime, dem er dienen sollte. Ich kann darüber nicht mit ihm diskutieren.

Das Verbrechen von Nazi-Deutschland, der Massenmord an sechs Millionen Juden, ist mit keinem historischen Ereignis vergleichbar. Und doch müssen wir Lehren aus dem Verhalten unserer Vorfahren ziehen. Wir sollten gegenüber russischen Reservisten nicht zu selbstgerecht sein. Unser Zorn sollte uns nicht arrogant machen.

Vielleicht war vielen Russen der blutige Krieg im Nachbarland egal, solange er weit weg schien. Wenn jetzt Männer bei uns Schutz suchen, statt sich am Morden zu beteiligen, sollten wir sie einlassen. Gerade wir, die Enkel von Leuten wie Eduard Netzebandt.

Achtung, Vorsicht!

VON FILIPP PIATOV

Juristisch mag es unsere Pflicht sein, Tausende oder womöglich sogar Hunderttausende Russen aufzunehmen, die vor der Mobilmachung fliehen. Aber für deutsche Russland-Romantik ist kein Platz!

Wenn Justizminister Marco Buschmann (45, FDP) schreibt, dass „uns herzlich willkommen“ ist, „wer Putins Weg hasst und die liberale Demokratie liebt“, dann ist klarzustellen: Von den russischen Mobilmachungs-Flüchtlingen sind das leider nur die wenigsten.

Wir sollten uns nicht täuschen, die Lage nicht verklären: Die meisten Männer, die gerade aus Russland fliehen, sind weder Kriegsgegner noch Freiheitskämpfer.

Nur ein Bruchteil der mehr als 260 000 Männer, die Russland wegen der Mobilmachung verlassen haben, dürfte Putin hassen und die Demokratie lieben. Die bittere Wahrheit ist: Die Mehrheit der Russen trägt den Angriffskrieg gegen die Ukraine und die massenhafte Ermordnung der ukrainische Bevölkerung zustimmend oder gleichgültig mit.

Das gilt auch für die Kriegsdienstverweigerer. Die meisten der 260 000 russischen Männer haben gegen den Angriffskrieg niemals ihre Stimme erhoben. Sonst wäre er wahrscheinlich schon vorbei. Die meisten dieser Männer hätten am liebsten weiter in Russland gelebt, gearbeitet, Steuern gezahlt und ihr Leben genossen. Solange der Krieg nur weit weg war. Solange ihre Armee Ukrainer tötete, aber sie nicht damit behelligte. Ohne Putins Mobilmachung hätten sie den Krieg weiter stillschweigend geduldet, mit ihren Steuern finanziert oder sogar offen unterstützt.

Wem der vielen Hunderttausend russischen Mobilmachungs-Flüchtlinge Deutschland Asyl gewähren muss, werden Juristen entscheiden. Aber unsere Politiker, allen voran Innenministerin Nancy Faeser (52, SPD), sollten ihre Blauäugigkeit ablegen und die Realität anerkennen.

Auch wenn unser Schutz ihnen zusteht: Diese russischen Männer sind Bürger eines feindlichen Landes, viele von ihnen haben den Krieg mitgetragen und unterstützt. Sollte Deutschland ihnen helfen, darf das nicht vergessen werden.

Hier geht es zum Voting.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.