William-Klein-Retrospektive in New York:Der Mann, der immer ja sagte

William-Klein-Retrospektive in New York: Eines von Kleins berühmtesten Bildern: "Bikini, Moskva (river), Moscow" (1959).

Eines von Kleins berühmtesten Bildern: "Bikini, Moskva (river), Moscow" (1959).

(Foto: William Klein, Courtesy Howard Greenberg Gallery/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Das International Center of Photography zeigt in New York eine mitreißende Retrospektive des Fotografen William Klein. Überlebenstipps inklusive.

Von Christian Zaschke

Das Jahr 1955. William Klein, dieses kaum zu fassende Multitalent, hatte gerade sein revolutionäres Buch mit Fotografien aus New York fertiggestellt. Da er ein großer Fan des italienischen Regisseurs Federico Fellini war, zeigte er ihm ein Exemplar. Fellini war angetan. "Warum ziehen Sie nicht nach Rom und werden mein Assistent?", fragte er. Klein hatte keine Erfahrung mit Filmen. "Was macht denn ein Assistent?", fragte er. Fellini antwortete: "Wenn ich krank bin, filmen Sie." Klein sagte: "Kein Problem, das kann ich machen." Also zog er 1956 für eine Weile nach Rom.

Diese Geschichte hat Klein vor einigen Jahren dem Kurator David Campany erzählt, der jetzt am International Center of Photography (ICP) in New York eine große Retrospektive von Kleins Werk organisiert hat. Klein stammt aus New York, er wanderte 1948 nach Paris aus. Es ist die erste große Ausstellung in seiner Heimatstadt seit 1994, und wenn man sich diesbezüglich eines wünschen dürfte, dann allein, dass sie noch größer wäre. "William Klein: YES" lautet der offizielle Titel. Der heute 94 Jahre alte Klein hatte sich das so gewünscht, weil er, wie er sagt, in seinem Leben eigentlich immer "JA" gesagt habe.

Als Klein in Rom ankam, stellte er fest, dass Fellini mindestens acht Assistenten hatte und er also nicht im Mindesten gebraucht wurde. Für die Nachwelt ist es ein Gutes, dass Fellini so viele Assistenten um sich scharte, denn statt sich am Filmset zu langweilen, nahm Klein seine Kamera und fotografierte die Stadt. Heraus kam das wunderbare Buch "Rome: The City and its People" von 1959.

Das Geheimnis seines Erfolgs: Er nahm die ganze Sache nicht so ernst

Den Künstler Klein in einer Ausstellung zu fassen, ist deshalb so schwierig, weil er auch Maler, Grafikdesigner, Filmemacher und Autor ist. Berühmt ist er heute vor allem für seine Fotografien, obwohl er sich lange nicht einmal als Fotograf verstand. Dass er sowohl zu einem stilprägenden Straßenfotografen als auch zu einem der weltweit berühmtesten Modefotografen wurde, verdankt sich einer Reihe von Zufällen.

Als Klein 1948 nach Frankreich ging, traf er an seinem zweiten Tag in der Stadt Jeanne Florin. Die beiden verliebten sich ineinander, bald heirateten sie, und Klein beschloss, in Paris zu bleiben. Bei Fernand Léger studierte er Malerei und spezialisierte sich auf abstrakte Gemälde. Während einer Ausstellung in Mailand fragte ihn ein Architekt, ob man seine Bilder nicht auf Raumteiler mit rotierenden Paneelen drucken könne. Klein sagte wie immer: "Ja." Seine Frau machte ein paar Fotos von den sich drehenden Paneelen, und Klein war umgehend fasziniert von der Bewegungsunschärfe. Er fertigte daraufhin tausende abstrakte Fotos.

1954 kam er auf Einladung von Alexander Liberman zurück nach New York. Liberman war Art Director der Vogue und hatte die ziemlich verrückte Idee, dass der bis dahin so abstrakte Klein ein paar Modestrecken für das Magazin aufnehmen könnte. Wie gesagt: Klein verstand sich nicht als Fotograf, schon gar nicht als Modefotograf. Vielleicht liegt darin das Geheimnis seines Erfolgs: Er nahm die ganze Sache nicht so ernst.

William-Klein-Retrospektive in New York: William Klein: "Moves and Pepsi, Harlem, New York" (1955).

William Klein: "Moves and Pepsi, Harlem, New York" (1955).

(Foto: William Klein, Courtesy Howard Greenberg Gallery/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Nebenbei zog er durch seine Heimatstadt und entdeckte sie mit der Kamera neu. In dieser Zeit entstanden hunderte Bilder, darunter sein wohl berühmtestes: "Gun 1, New York" (1955), das einen Jungen zeigt, der mit verzerrtem Gesicht mit einer Pistole direkt auf die Kamera zielt. Daneben steht ein weiterer Junge und schaut voller Bewunderung auf seinen Freund mit der Waffe. Klar, in diesen Tagen, da sich in den USA eine Massenschießerei an die nächste reiht, kann man nicht anders, als dieses Bild wie einen Kommentar zum aktuellen Geschehen zu lesen. Klein war, so abgedroschen das klingen mag, seiner Zeit um einiges voraus.

Seine Fotos zeigten New York, wie man in Zeiten von Instagram vielleicht ausnahmsweise wieder sagen darf: ungeschminkt. Sie zeigten die Stadt als einen Ort des Rassismus. Als einen Ort der Armut. Als einen Ort der Aggression. Als einen Ort, an dem es sich die Reichen sehr öffentlich sehr gut gehen lassen. Als er die Bilder als Buch veröffentlichen wollte, fand sich kein amerikanischer Verlag, der damit etwas zu tun haben wollte.

Klein gestaltete das Buch daher selbst, er entwarf das Layout, er gab dem Buch einen Rhythmus wie einem Jazzsong, in dem er mit den Formaten seiner Bilder spielte, er verfasste teils sehr witzige, teils extrem lakonische Bildunterschriften, packte alles in einen grellen Einband, und als das Ensemble fertig war, nannte er es "Life is Good & Good for You in New York: Trance Witness Revels". Es erschien zunächst in Frankreich, dann in England und Italien, und es war ein Fotobuch wie keines zuvor. Kurator Campany sagt mit Recht, dass es eines der einflussreichsten Fotobücher war, die je erschienen sind.

Statt es physisch in einer Vitrine auszustellen, hat Campany das gesamte Buch abfilmen lassen. In dem Film, der nun in der Ausstellung zu sehen ist, blättert es sich Seite für Seite vor den Besuchern auf. Das ist nur eine der guten Entscheidungen, die sie im ICP getroffen haben. Eine weitere ist die, die Wände in verschiedensten Formaten wirklich vollzuhängen. Klein mag es, wenn seine Bilder als Ensemble daherkommen, möglichst wenig Raum dazwischen, immer lieber zu viel auf einmal als nur ein klitzekleines bisschen zu wenig. Wenn man im ICP vor den Bildern aus New York steht, ist das erst einmal wie ein Faustschlag ins Gesicht. Aber wenn man eine Weile einfach stehenbleibt und schaut und schaut, wird wie im Buch von 1954 ein Rhythmus erkennbar.

Jeder Quadratzentimeter von Kleins Fotos ist mit Bedeutung gefüllt

Was konnte Klein nach dem New-York-Buch und dem Rom-Buch machen? Er ging nach Moskau, wo er ein weiteres seiner berühmtesten Bilder schuf: "Bikini, Moskva (river), Moscow", von 1959. Es zeigt eine junge Frau im Bikini voller Lebensfreude, sie springt fast in die Kamera, und hinter ihr döst ein älterer Mann auf einem Stuhl. Alles stimmt an diesem Bild, als hätte Klein stundenlang an der Gestaltung gearbeitet. Hat er aber nicht: Er hatte das im Gefühl, er konnte das einfach, beziehungsweise: Er hatte die Grundlagen der Bildgestaltung eben als Maler gelernt. Jeder Quadratzentimeter von Kleins Fotos ist mit Bedeutung gefüllt.

Als Klein 1961 in Tokio fotografierte, nahm er einen Mann namens Ushio Shinohara auf, der Gemälde erschuf, indem er Boxhandschuhe in Farbe tauchte und auf Wände einschlug. Diesen Mann hat er nie vergessen, wovon noch zu reden sein wird.

Als Straßenfotograf war Klein meist mit einem Weitwinkelobjektiv unterwegs. Er ist legendär charmant, er plauderte mit den Menschen, die er fotografierte, er wollte so nah wie möglich bei ihnen sein. Auch als Modefotograf nutzte er gern den weiten Winkel, griff jedoch öfter auf Teleobjektive zurück. Eine seiner bekanntesten Aufnahmen für die Vogue heißt "Nina and Simone, Piazza di Spagna". Darauf sind zwei Frauen in Designer-Kleidern zu sehen, die inmitten eines belebten Platzes aneinander vorbeilaufen.

Die Models wissen, dass sie Teil einer Inszenierung sind, alle Umstehenden wissen es nicht. Klein, der mit seinem Teleobjektiv Dutzende Meter vom Geschehen entfernt war, übermittelte seine Anweisungen per Funkgerät. Für ihn war das ein Spiel, ein Zeitvertreib. Ganz nebenbei krempelte er so die Modefotografie um, die zu dieser Zeit noch reichlich konservativ daherkam.

Im Flugzeug saß er neben Malcom X, so traf er Muhammad Ali. Der Zufall war sein Freund

Man könnte eine eigene Ausstellung mit Kleins Filmen füllen. Sie alle eint eine unbändige Lust am Quatsch. In "The Model Couple" darf ein Paar in eine Traumwohnung einziehen, es darf die tollsten Möbel aussuchen, alles umsonst. Einzige Bedingung: Das Paar wird 24 Stunden lang fürs Fernsehen gefilmt. Am Ende drehen das Paar und die Filmcrew und alle Beteiligten vollkommen durch. Klingt vertraut? Ja. Ist aber von 1976.

Dass Klein überhaupt Fotograf wurde, verdankt sich, wie gesagt, einem Zufall, und der Zufall blieb sein Freund. Nur zwei Beispiele.

William-Klein-Retrospektive in New York: William Klein "Black Venus West Indian Day Parade, Brooklyn, New York" (2013).

William Klein "Black Venus West Indian Day Parade, Brooklyn, New York" (2013).

(Foto: William Klein, Courtesy Howard Greenberg Gallery/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Nummer eins: Als Klein 1964 nach Florida flog, um zu versuchen, einen Film über einen recht berühmten Boxer namens Cassius Clay zu drehen, der später als Muhammad Ali noch berühmter wurde, kam er im Flugzeug nach Miami neben Malcolm X zu sitzen. Die beiden plauderten, und Malcolm X verschaffte Klein Zutritt zum innersten Zirkel des Boxers.

Nummer zwei: Als Klein 2013, mehr als 80 Jahre alt, ein wenig auf seinen eigenen Spuren wandelte und in Brooklyn fotografierte, traf er auf einen Mann, der Boxhandschuhe in Farbe tunkte, bevor er damit auf Wände einschlug und so Gemälde schuf. Es ist dem Kurator David Campany hoch anzurechnen, dass er diese unwahrscheinliche Volte nicht herausposaunt, sondern in den Erklärtexten versteckt. Die Idee, auch hier: Nur wer sich Zeit nimmt, entdeckt den ganzen Klein.

Denn natürlich handelte es sich um Ushio Shinohara, den Klein 1961 in Tokio fotografiert hatte. Shinohara war 1969 in die USA ausgewandert, ein neues Leben, doch an seiner Methode der Malerei hatte er festgehalten. 2013 also, 52 Jahre später, zwei ältere Herren mit gemeinsamer Vergangenheit. William Klein hob die Kamera, Weitwinkelobjektiv, und Ushio Shinohara boxte ein Bild.

William Klein: YES. International Center of Photography, New York. Bis 12. September.

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