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Deutschlands Grande Dame: Zum Tod von Nadja Tiller

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Nadja Tiller
Einer der größten Filmstars der Bundesrepublik: Nadja Tiller (1929-2023). © Arne Dedert

Ihre Grandezza war zum Teil atemberaubend, ihre nüchterne Grundhaltung ließ sie nie verzweifeln: Zum Tod von Nadja Tiller, die mit 93 Jahren im Hamburger Augustinum gestorben ist.

Als sie 90 wird, fragt man sie, wie es denn sei, so lange auf der Welt zu sein. Und Nadja Tiller sagt nur: „In dem Alter noch durch die Welt zu marschieren, ist nicht so einfach. Aber jetzt ist es nun mal so.“ Diese nüchterne Grundhaltung war womöglich das Erfolgsrezept dieser Frau, die einer der ganz großen Filmstars der Bundesrepublik gewesen ist. Ihre Karriere ist im Rückblick ein Hindernislauf, den sie mit größtmöglicher Eleganz absolviert. Nun ist diese Grande Dame im Alter von 93 Jahren gestorben – friedlich eingeschlafen, wie es heißt, im Hamburger Augustinum.

Eigentlich ist sie Österreicherin, geboren in Wien als Tochter einer Sängerin und eines Schauspielers, die viel unterwegs sind. Nachdem sie zunächst davon träumt, im Friseursalon der Großeltern einzusteigen, entscheidet sie sich doch für die Bühne und besucht das Max-Reinhardt-Seminar und die Akademie für darstellende Kunst in Wien. 1949, da ist sie gerade 20, wird ein erstes Schicksalsjahr. Sie ergattert Rollen im Theater in der Josefstadt, verliert ihr Engagement aber, weil sie bei der Wahl zur „Miss Austria“ teilnimmt und auch noch gewinnt. Obendrein gibt sie in „Märchen vom Glück“ ihr Kinodebüt an der Seite von Hildegard Knef, die einzige Kollegin, mit der sie nicht auskommt. „Die war immer schlecht gelaunt.“

„Das Mädchen Rosemarie“ machte sie zum Superstar

Tillers Talent wird zunächst unterschätzt – wahrscheinlich sieht sie einfach zu gut aus. In die Zeitung schafft sie es erst mal nur, weil sie Strafen für das unerlaubte Betreten von öffentlichen Blumenbeeten bezahlen muss. Tiller nimmt es hin und hangelt sich durch diverse Lustspiele, bis Regisseur Rolf Thiele 1955 ihre Begabung beim Dreh zu „Die Barrings“ entdeckt und sie als Hauptdarstellerin für sein nächstes Projekt „Das Mädchen Rosemarie“ macht.

Es wird der große Durchbruch, schon die Dreharbeiten sind skandalumwittert, mancherorts wird die Drehgenehmigung verweigert. Als der Film im August 1958 auf dem Festival in Venedig gezeigt werden soll, interveniert die Bundesregierung. Man fürchtet um den guten Ruf der Nation, weil ein kritisches Sittenbild des Wirtschaftswunderlandes gezeichnet wird. Die wahre Geschichte um den ungeklärten Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt wird ein Welterfolg, mehrfach ausgezeichnet und ist ein Klassiker des deutschen Films. Nadja Tiller ist über Nacht ein Superstar.

Die Grandezza, mit der sie, erotisch aufgeladen, die junge Frau spielt, die etwas abhaben will vom neuen Wohlstand, ist tatsächlich atemberaubend. Tiller muss nicht viel sagen, um ihre Figur zu charakterisieren. Es reicht, wenn sie im ikonografischen gepunkteten Kleid und mit riesigem Hut aus dem weißen Mercedes steigt. Die Faszination und die Tragik der Frau ist damit umrissen, und so etwas muss man erst einmal darstellen können.

Nadja Tiller drehte mit Giganten wie Gabin und Belmondo

Die knisternde Ausstrahlung, die formvollendete Körpersprache und das zu jener Zeit auffallende Understatement heben Tiller heraus aus der Schar der Schauspielerinnen ihrer Generation. In der Folge trifft Tiller sagenumwobene Fehlentscheidungen, vielleicht lässt sie sogar eine Weltkarriere sausen. Die zwei Kino-Meilensteine „La dolce vita“ an der Seite von Marcello Mastroianni und „Rocco und seine Brüder“ mit Alain Delon sagt sie ab. Sie weiß hinterher gar nicht mehr genau, warum eigentlich. „Ich war schlecht beraten“, sagt sie dazu später einsilbig. „Was wäre schon so viel anders, ich würde jetzt auch hier sitzen.“

Und das ist ja nicht verkehrt – sie hat dann doch noch international gearbeitet mit Giganten wie Jean Gabin, Jean-Paul Belmondo und Yul Brynner. Im deutschen Kino dreht sie ohnehin mit allen, die Rang und Namen haben. Es sind Klassiker dabei wie „Schloß Gripsholm“, aber auch zunehmend lauwarme Produktionen. Statt zu jammern, nimmt Tiller in den Siebzigerjahren die Gelegenheit wahr, vor den schwachen Drehbüchern ins Fernsehen zu flüchten. Dort taucht sie standesgemäß in sehr ansehnlichen TV-Filmen auf und betritt wieder Theaterbühnen. 2009 nutzt sie die Chance, sich mit Leander Haußmanns Komödie „Dinosaurier“ angemessen vom Geschäft zu verabschieden.

Nadja Tiller und Walter Giller
„Wenn ich den heirate, werde ich ihn nie wieder los“: Nadja Tiller mit Walter Giller. © dpa Picture-Alliance / Bernhard Frye

Mit ihrem Ewig-Gatten Walter Giller („Ich wusste, wenn ich den heirate, werde ich ihn nie wieder los“) zieht sie aus der Familienresidenz in Lugano in ein Hamburger Seniorenheim. Eine Vernunftentscheidung, wie so oft bei Tiller. Giller ist schwer krank, 2011 stirbt er – oder „wird abberufen“, wie Tiller sagt. Die Schöne und der Komödiant – eine bemerkenswerte Kombination, vielleicht haben deshalb 55 Jahre Ehe funktioniert.

Nadja Tiller übersteht den Krebs, einen Schlaganfall und mehrere Operationen klaglos – sich darüber zu beschweren, liegt nicht in ihrem Naturell. Ab einem gewissen Alter sei „gute Laune lebensnotwendig“, sagt sie gern und beteuert bis zum Schluss, keine Angst vor dem Tod zu haben. Sie fürchte sich eher vor rücksichtslosen Fahrradfahrern.

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