Missing Link: Spiele der XX. Olympiade München 1972 – die Spieler und Sportler

Vor 50 Jahren fanden die Olympischen Sommerspiele in Deutschland statt und auf der Autobahn nach Garmisch-Partenkirchen kämpften Sportler um die Medaillen.

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(Bild: Menna/Shutterstock)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vom 26. August bis zum 11. September 1972 wurden die offiziell sogenannten "Spiele der XX. Olympiade" in der BRD ausgetragen. 5.848 Männer und 1.199 Frauen aus 122 Ländern kämpften in 195 Sportarten, um ins Finale zu kommen und auf ein Siegertreppchen zu klettern. Dabei gab es denkwürdige Rekorde und manche Aktionen, die heute noch in guter oder schlechter Erinnerung geblieben sind.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Mark Spitz feierte einen Sieg mit einem deutlich sichtbaren Sportschuh in der Hand und brach damit als aktiver Sportler das Werbeverbot des IOC.

(Bild: Unknown (UPI), Public domain, via Wikimedia Commons)

Der Star der Sommerspiele 1972 war zweifellos der US-amerikanische Schwimmer Mark Spitz, der sieben Weltrekorde schwamm und sieben Goldmedaillen einheimste. Dieser Rekord wurde erst 2008 in Peking von seinem Landsmann Michael Phelps gebrochen, der es auf acht Goldmedaillen brachte. Doch Mark Spitz sorgte noch in anderer Hinsicht für Aufregung: So feierte er einen Sieg mit einem deutlich sichtbaren Sportschuh in der Hand und brach damit als aktiver Sportler das Werbeverbot des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Sein Poster mit der knappen Badehose und den sieben Goldmedaillen hing millionenfach in den Zimmern von Mädchen und vielen Jungen vor ihrem Coming-out.

Für einen weiteren Eklat sorgte der gläubige Jude in einem Interview mit der Zeitschrift Sports Illustrated, die allerdings erst nach den Spielen erschien. Gefragt, wie er sich als Jude auf deutschem Boden fühlt, antwortete Spitz: "Ich mag das Land", während er auf eine Lampe zeigte, "auch wenn dieser Lampenschirm wahrscheinlich aus einer meiner Tanten gemacht wurde." Als prominentester Jude der Spiele wurde Spitz am Tag des Anschlags auf Olympia sofort nach London ausgeflogen.

Auch bei den Frauen war eine Schwimmerin die erfolgreichste Athletin der Sommerspiele. Die Australierin Shane Gould gewann drei Goldmedaillen in Weltrekordzeiten, dazu eine Silber- und eine Bronzemedaille. Mit ihr muss die DDR-Sportlerin Kornelia Ender erwähnt werden, die in den Schwimm-Wettbewerben drei Silbermedaillen gewann und die mit 13 Jahren die jüngste Teilnehmerin an den Sommerspielen war. Sie holte später noch viele Medaillen, Weltmeisterschaften, Weltrekorde und war mehrfach Europas Sportlerin des Jahres, bis sie 1977 das Doping und die Einnahme von Oral-Turinabol verweigerte und deshalb aus der Nationalmannschaft der DDR geworfen wurde.

Der US-Schwimmer Rick deMont war übrigens der erste Sportler, der bei den Münchener Sommerspielen wegen Dopings suspendiert wurde, weil er ein Asthma-Mittel inhalierte. Er wurde erst viele Jahre später rehabilitiert. Was das Doping-Problem bei Olympia anbelangte, so waren die Sportler übrigens im "Vorteil": Die Labore konnten 1972 noch nicht die Einnahme von Anabolika nachweisen. Sämtliche Rekorde und Medaillen der Gewichtheber gelten heute als zweifelhaft.

1972 traten die BRD und die DDR als eigenständige Mannschaften auf. Getrennt waren sie schon bei den Olympischen Spielen von Mexiko 1968 einmarschiert, doch durften dort weder die Nationalhymnen gespielt noch die jeweiligen Flaggen gezeigt werden. Stattdessen gab es für beide Beethovens "Ode an die Freude" und eine einheitliche Schwarz-Rot-Goldene Fahne mit den olympischen Ringen. Nun aber konnte die DDR ausgerechnet in der Bundesrepublik ihre eigene Flagge zeigen: Mit der Großen Koalition von Union und SPD im Jahre 1969 wurde das Verbot des Zeigens dieser Flagge mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz aufgehoben, das bei Sportwettkämpfen regelmäßig für Polizeieinsätze sorgte.

Einerseits gab es in der DDR eine Kampagne mit dem üblen Slogan "2 x 36 = 72", die die Spiele von 1972 als Fortsetzung der von den Nationalsozialisten ausgenutzten Spiele von 1936 denunzierte, andererseits wurde im ganzen Land nach Mitteln und Wegen gesucht, die BRD zu übertrumpfen. Eine ganz besondere Form nahm dies beim Kanuslalom an, der 1972 erstmals olympisch wurde: Im eigens gebauten Wildwasserkanal in Augsburg mussten die DDR-Sportler bei der Qualifikation für die Sommerspiele 1971 erleben, dass sie den BRD-Kanuten hoffnungslos unterlegen waren. Die Lösung des Problems: die Wildwasserbahn wurde ausspioniert und in Zwickau heimlich nachgebaut. Alle Goldmedaillen im Slalom gingen an die DDR.

Apropos Bauten: Mit 69 Millionen D-Mark war die Regattastrecke Oberschleißheim die Anlage, die das ursprünglich angesetzte Budget von 10 Millionen am deutlichsten sprengte, gefolgt vom Reitstadion. Auf der 2,2 Kilometer langen Strecke sollte der BR-Deutschlandachter des Super-Trainers Karl Adam brillieren, der 1968 in Mexiko die Goldmedaille gewonnen hatte. Adam hatte nicht nur neue Methoden wie das Intervalltraining entwickelt, sondern vertrat auch das Konzept des "mündigen Athleten": "Als Trainer bin ich der Ansicht, dass die Entscheidung, ob ein Athlet seine physiologischen Leistungsvoraussetzungen etwa durch Anabolika verbessern will, nur er selbst treffen kann. Funktionär, Sportmediziner, Trainer haben die Pflicht zur Aufklärung über die Wirkung, aber nicht das Recht der Bevormundung."

Ob gedopt oder nicht, sein "Deutschland-Achter" fuhr 1972 hinterher und kam als Fünfter ins Ziel. Sieger wurde das Boot aus Neuseeland, dessen Crew ein Jahr zuvor in der Qualifikation für Olympia die "Europa-Meisterschaft" gewonnen hatte. Die bootlos angereisten Ruderer, die mit einem von ihnen zunächst heftig abgelehnten Karlisch-Ruderboot der Bootswerft Empacher nur kurz auf dem Sylvensteinspeicher trainieren konnten, wurden davon überrascht, dass IOC-Präsident Avery Brundage "den echten Amateuren" die Goldmedaillen überreichen wollte. Zur Siegerehrung wurde irrtümlicherweise "God Defend New Zealand" gespielt, das erst nach diesem Vorfall die offizielle Nationalhymne Neuseelands wurde und "God Save the Queen" ablöste.

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Wenn von desaströsen Niederlagen die Rede ist, darf aus gesamtdeutscher Sicht der Fußball nicht fehlen. Es spielten nur die Männer, Frauen kamen erst viele Jahre später zum Zug. Im olympischen Fußball-Turnier, das kreuz und quer in bayerischen Stadien ausgetragen wurde, kam es zum Duell Deutschland-West gegen Deutschland-Ost. Eigens für Olympia hatten einige Spitzenkönner wie Uli Hoeneß auf hohe Gagen verzichtet und waren nominell Amateure. Hoeneß, der gerade mit der Nationalmannschaft Europameister geworden war, war zum Beispiel als "Bürobote" bei Bayern München eingestellt, doch niemals im Büro zu sehen.

Sein Sturmpartner war ein gewisser Ottmar Hitzfeld, der an der Pädagogischen Hochschule Basel ein Lehramtsstudium absolvierte und nebenbei beim FC Basel kickte. Hitzfeld schoss so viele Tore, dass es in der Zwischenrunde zum Duell DDR gegen BRD kam. 80.000 Zuschauer kamen bei einer fast doppelt so hohen Nachfrage nach Eintrittskarten. Die verächtlich "Staatsamateure" genannten Kicker der DDR gewannen trotz eines Traumtores von Hoeneß 3:2 und sicherten sich so den Einzug ins Finale um den dritten Platz.

Im Kampf gegen die Sowjetunion ging es um die Bronzemedaille, der auf Weisung von Funktionären unentschieden endete. Beim "deutsch-sowjetischen Freundschaftsspiel" gab es noch kein Elfmeterschießen, worauf beide Partner die Bronzemedaille erhielten. Bei der in ebenfalls in Deutschland ausgetragenen Fußball-WM 1974 schwor Westdeutschland Rache für die olympische Schmach – und verlor erneut (allerdings wurde man Weltmeister). Was Schmach ausmachen kann, zeigte das Hockey-Turnier der Männer: dort siegte die BRD beim Kampf um die Goldmedaille gegen Dauersieger Pakistan, dessen Spieler völlig ausrasteten. Sie bespuckten die Medaillen und warfen sie weg. Später demolierten sie die Umkleidekabine.

Wenn von Protesten die Rede ist, darf das Turnen nicht fehlen. Während bei den Männern die Japaner dominierten, wurde in den Frauenwettbewerben die 17-jährige Turnerin Olga Korbut der absolute Publikumsliebling. Als sie am Stufenbarren nur die Silbermedaille zugesprochen bekam, kam es zu einem minutenlangen Pfeifkonzert bis hin zur Drohung des Kampfkomitees, die Halle räumen zu lassen.

Korbut wurde 1972 Sportlerin des Jahres, bei den Männern war es natürlich Mark Spitz. Aus deutscher Sicht erwähnenswert ist die Leistung von Karin Janz, die mit einem angeknacksten Fuß zweimal Gold und zweimal Silber gewann. Sie kreierte dabei den nach ihr benannten Janz-Salto. In ihrer anschließenden Karriere als Medizinerin entwickelte sie die erste Prothese für die Bandscheibe, die sogenannte Charité-Disc.

Der Höhepunkt aller Sommerspiele ist die Leichtathletik, nicht nur in sportlicher, auch in technischer Sicht. Die Firma Junghans installierte Zeitmesser, die die Zeit vollautomatisch in Hundertstelsekunden anzeigen konnten, bei den Weitenmessungen hatte das Maßband ausgedient, die Entfernung mit einem Reflektor und einem Tachymeter gemessen. Am ersten Tag erlebte das Publikum das Drama, dass bei der Qualifikation für den Weitsprung die westdeutsche Medaillenhoffnung Ingrid Mickler, die Sportlerin des Jahres, keinen gültigen Versuch schaffte.

Das Drama war schnell vergessen, weil Heide Rosendahl im Wettkampf bereits mit dem ersten Versuch die Goldmedaille holte. Später gewann sie am Goldenen Sonntag Silber im Fünfkampf und erlief als Schlussläuferin der 4-mal-100-Meter-Staffel mit Weltrekord überraschend die Goldmedaille im direkten Duell mit Renate Stecher, der DDR-Weltrekordlerin und Olympiasiegerin über 100 Meter.

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Auch die Leichtathletik hatte ein paar Momente, die Geschichte schrieben. Da war der Hürdenläufer John Akii-Bua, der aus Freude über seinen Sieg mit neuem Weltrekord tänzelnd und lachend die Ehrenrunde einführte. Da waren die US-Amerikaner Vince Matthews (Gold) und Wayne Collet (Silber), die während der Siegerehrung für ihren 400-Meter-Lauf unter den Pfiffen des Publikums quatschten und tänzelten und deswegen von den Sommerspielen ausgeschlossen wurden. Bis heute wird darüber gestritten, ob ihr Verhalten als politischer Protest gedacht war.

Völlig unpolitisch war eine ziemlich verquere Aktion des Schülers Norbert Südhaus, der beim abschließenden Marathon mit einem selbst gebastelten Athleten-Kostüm Minuten vor dem angekündigten Olympiasieger Frank Shorter unter dem Beifall des Publikums ins Olympiastadion einlief. Nur wenige Sportreporter erkannten sofort, dass hier ein Betrüger unterwegs war. Südhaus rechtfertigte seine Tat als Versuch, das Publikum nach dem Terroranschlag vom 4. September wieder aufzuheitern: "Die Spiele sind doch keine Spiele mehr. Sie sind zu ernsthaft, zu politisch, nur noch Wettkampfe", erklärte er gegenüber einem Reporter.

Natürlich waren die Olympischen Sommerspiele 1972 politisch, nicht nur wegen der deutsch-deutschen Rivalität. Sport&Politics gehören eben zusammen, mitunter auch Geheimdienste wie die Stasi mit ihrer Aktion Flamme. Bis zum Terroranschlag versuchte Bundeskanzler Willy Brandt, die Spiele als Einstieg in den Bundestagswahlkampf zu benutzen. Beim Basketball-Finale kam es zum "Kampf der Systeme" USA gegen die Sowjetunion, mit einem Drama, das mehrfach verfilmt wurde.

Beim Radrennen erschienen nicht akkreditierte nordirische Rennradfahrer am Start, die gegen die irische Mannschaft protestierten. Die IRA-Aktivisten wurden verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Zwei Tage vor Beginn der Sommerspiele wurde Rhodesien auf Antrag der afrikanischen Delegierten ausgeladen, die angereisten Sportler mussten das Olympische Dorf verlassen und in eine Kaserne ziehen, wo sie von der Bundeswehr bewacht wurden. Diese hatte 10.000 Mann abgestellt, bei den Spielen unbewaffnet für Ordnung zu sorgen.

An einen Terroranschlag dachte kaum jemand, obwohl palästinensische Gruppen 1972 bereits mehrere Anschläge durchgeführt hatten, einen davon auf dem Flughafen München-Riem mit einem Toten. Eine Zeitung schrieb von der "ersten Schlacht des Nahostkrieges auf deutschem Boden", eine andere wunderte sich, "dass der Krieg gegen Israel sogar bis nach Europa getragen" worden sei. Dazu mehr im nächsten Missing Link.

(bme)