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Erfindung des Lügendetektors: Die Wahrheitsfindungsmaschine

Foto: Corbis

Erfindung des Lügendetektors Unehrliche Haut

1935 überführte Leonarde Keeler erstmals Kriminelle mit seinem Lügendetektor, er wollte die brutalen Verhörmethoden der Polizei beenden. Die Lüge schaffte er nicht aus der Welt - ein Betrug brach ihm am Ende das Herz.

Der Doppelagent trickste die Wahrheitsfindungsmaschine gleich zweimal aus. 1986 und 1991 wurde der CIA-Spion Aldrich Hazen Ames an einen Lügendetektor angeschlossen - beide Male scheiterte das Gerät an dem Großmeister des Bluffs. Unbehelligt spionierte Ames neun Jahre lang nicht nur für die Amerikaner, sondern belieferte auch den sowjetischen Geheimdienst mit Informationen.

Erst 1994 wurde der Maulwurf durch das FBI enttarnt. Doch nicht etwa, weil ein Gerät ihn der Unwahrheit überführt hatte, sondern weil er einen auffällig luxuriösen Lebensstil führte. Die CIA schlitterte in eine tiefe Krise - und der Lügendetektor, im Wissenschaftsjargon "Polygraph" genannt, entzauberte sich einmal mehr als anachronistischer Humbug. Gestört hat dies: kaum jemanden.

Obwohl der Lügendetektor in der Vergangenheit immer wieder dramatisch versagt hat, obwohl selbst im 21. Jahrhundert noch kein zuverlässiger Test entwickelt worden ist, um Unehrlichkeit nachzuweisen: Die Menschheit will den Glauben an einen Lügenentlarvungs-Apparat einfach nicht aufgeben. Zu übermächtig der Wunsch nach einer unfehlbaren Gerichtsbarkeit - zu verführerisch die Idee einer Mechanik, die menschliche Gefühle zu messen vermag.

Polygraph gegen Unterhosen-Dieb

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts zerbrachen sich Wissenschaftler aus aller Welt den Kopf darüber, wie Lügner mittels körperlicher Reaktionen zu überführen seien: Während der Turiner Arzt und Kriminologe Cesare Lombroso die Hände potenzieller Verbrecher bei Verhören in einen speziellen Handschuh steckte, um Veränderungen des Blutdrucks zu dokumentieren, führte der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung Anfang des 20. Jahrhunderts Untersuchungen mit dem so genannten Galvanometer durch: einem Instrument zur Messung des Hautwiderstands. Schwitzt der Befragte, erhöht sich die elektrische Leitfähigkeit der Haut.

In Harvard wiederum richtete der deutsch-jüdische Wissenschaftler Hugo Münsterberg ein Labor für experimentelle Psychologie ein: "Wir müssen den Menschen an ein Aufzeichnungsgerät anschließen, um herauszufinden, ob in seinem Geist Sonne oder Wolken überwiegen", forderte Münsterberg. 1921 war es soweit: Basierend auf einer Maschine von William Moulton Marston entwickelte der Physiologe und Polizist John Augustus Larson den modernen Lügendetektor.

Einer der ersten Fälle, bei denen Larson seine Maschine einsetzte, drehte sich um die Frage, wer die Studentinnen in Berkeley um Schmuck, Unterwäsche und Geld erleichtert hatte. Zwar gelang es Larson und seinem Polygraphen nicht, den Bösewicht ausfindig zu machen - dafür verliebte er sich unsterblich in eines der befragten Diebstahlopfer. Während der Lügendetektor für Larson privat das Tor zum großen Glück aufstieß, ging er finanziell leer aus: Nicht Larson, sondern sein Assistent in Berkeley, Leonarde Keeler, ließ sich den Lügendetektor als erster patentieren.

"Verrückte Ansammlung von Drähten, Röhren und alten Tomatendosen"

Keelers gesamtes Instrumentarium basierte - auf einer Lüge. Denn der Polygraph ist nicht in der Lage, Wahrheit von Unwahrheit zu unterscheiden. Er misst allein die körperlichen Reaktionen des befragten Menschen. Das Prinzip: Eine Manschette ermittelt den Blutdruck, spezielle Sensoren erfassen Herzfrequenz, Atmung und Leitfähigkeit der Haut. Die vom Detektor erfassten Parameter werden als Nadelausschläge auf eine Papierrolle gebannt.

1924 entwickelte Amateurzauberer Keeler seinen ersten Lügendetektor, den sogenannten "Emotographen". Berkeleys Polizeichef, August Vollmer, beschrieb das Gerät als eine "verrückte Ansammlung von Drähten, Röhren und alten Tomatendosen". Doch ließ er den jungen Kollegen gewähren: Wie Keeler war Vollmer beseelt von dem Wunsch nach einer Alternative für die brutalen Verhörmethoden der Polizei. Zudem trachteten sie danach, mittels des Polygraphen die Korruption einzudämmen.

"Dank des Lügendetektors wird sich alles ändern", prahlte Keeler und versprach: "75 Prozent aller Schuldigen legen sofort ein Geständnis ab." Vor 80 Jahren feierte Keeler in Portage, Wisconsin, seinen ersten Erfolg in einem juristischen Verfahren: Basierend auf seinen Polygraphen-Tests befanden die Geschworenen am 8. Februar 1935 zwei Verdächtige des Raubüberfalls auf eine Apotheke für schuldig. "Vor Gericht besitzt der Lügendetektor die gleiche Akzeptanz wie der Fingerabdruck", frohlockte Keeler gegenüber der Presse. Dass der Polygraph schon 1922 aus den US-amerikanischen Gerichtssälen verbannt worden war, tat seinem Hochgefühl keinen Abbruch.

"Den Leuten eine Scheißangst machen"

Der umtriebige Geschäftsmann beschränkte sich nicht darauf, der Justiz bei der Wahrheitssuche unter die Arme zu greifen. Keeler begann auch beim Militär und der Wirtschaft für seinen Lügendetektor zu werben. Mit Erfolg: Bald verlangten Firmenchefs ebenso nach dem Polygraphen wie die Staatsverwaltung und der US-Geheimdienst. Keeler gründete ein eigenes Institut und bildete Polygraphie-Experten aus: Der Lügendetektor avancierte zum Business-Modell.

1946 begann Keeler, die Angestellten der Atomanlagen von Oak Ridge, Tennessee, zu testen. Zwei Jahre später ordnete CIA-Chef Roscoe Hillenkoetter an, den Polygraphen "an jedem Angestellten der CIA oder jedem Bewerber zu testen, der sich freiwillig diesem Test unterziehen möge." Kaum war der Kalte Krieg heraufgezogen, instrumentalisierte man in den USA den Wahrheitsapparat als vermeintlichen Garanten nationaler Sicherheit - der Polygraph geriet zur "amerikanischen Obsession", so US-Historiker Ken Alder.

Sicherheitsbehörden, Personaler und Politiker schätzten an der Wahrheitsfindungsmaschine besonders deren abschreckende und einschüchternde Wirkung. Kaum einer hat dies treffender formuliert als Richard Nixon: "Ich weiß nichts über Lügendetektoren", so der US-Präsident Anfang der Siebzigerjahre, "und ich weiß auch nicht, wie genau sie sind; aber was ich weiß, ist, dass sie den Leuten eine Scheißangst machen."

Al-Quaida lacht über den Lügendetektor

Dabei birgt das Gerät unbestreitbare Schwächen: So stand bereits früh fest, dass sich der Lügendetektor unschwer austricksen lässt. Durch Selbsthypnose kann der Befragte seine körperlichen Reaktionen auf brenzlige Fragen kontrollieren. Bei harmlosen Fragen wiederum kann er die Messungen verfälschen, indem er sich selbst Schmerzen zufügt, etwa durch einen Reißnagel im Schuh, oder etwa an sexuelle Abenteuer denkt. Und die Schweißmessung an den Fingern lässt sich manipulieren, indem sich der Befragte die Fingerkuppen beispielsweise mit farblosem Nagellack präpariert.

Anfang der Achtzigerjahre dokumentierte der amerikanische Psychologe David Lykken in zahlreichen Tests, dass lediglich 53 Prozent der Unschuldigen laut Lügendetektor auch die Wahrheit sagen. Die Wissenschaftswelt geißelte die Polygraphie-Methode fast einhellig als Nonsens - das renommierte britische Magazin "Nature" demaskierte die Methoden der Tester als "Kaffeesatzleserei".

Die Führungskräfte indes störten sich an solch akademischen Debatten nicht: 1984 ließ laut SPIEGEL ein Drittel aller großen US-Unternehmen ihre Angestellten zum Lügendetektortest antreten. Zeitweise, so Historiker Alder gegenüber SPIEGEL ONLINE, "wurden rund zwei Millionen US-Bürger jährlich an den Polygraphen angeschlossen" - ob im Rahmen firmeninterner Überwachung, polizeilicher Ermittlungen oder nationaler Sicherheitsüberprüfungen. Erst 1988 wurde der Test für Angestellte privater US-Firmen verboten. Wenngleich der Polygraph in den USA als polizeiliche Verhörmethode nach wie vor benutzt wird, ist er in amerikanischen Strafverfahren laut Ken Alder "generell nicht erlaubt."

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The Lie Detectors

The History of an American Obsession.

Univ of Nebraska Press; 334 Seiten; 17,15 Euro.

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Der nationale Sicherheitsapparat indes hält im Mekka des Lügendetektors bis heute eisern an dem Polygraphen fest: Der Terror des 11. September 2001 hat dem Gerät zu neuer Popularität verholfen. Doch selbst die Erzfeinde des US-Systems, jene, die man mit dem Polygraphen zu entlarven hofft, lachen längst über die Maschine. Ein al-Quaida-Handbuch aus dem Jahr 2002 schreibt, der Lügendetektor sei "nichts als ein Mythos, der Beschuldigte austricksen soll" und gibt folgenden Tipp: "Wenn der Beschuldigte nicht an ihre Wirksamkeit glaubt, sind sie auch gegen ihn nicht wirksam."

Leonarde Keeler sollte von alledem nichts mehr mitbekommen. Er starb nicht aus Gram über die Häme islamistischer Terroristen oder aus Frust über die verheerende Trefferquote seines Polygraphen. Vielmehr brach ihm eine ganz persönliche Lebenslüge das Herz: Seine große Liebe, die Psychologin Katherine Applegate, brannte mit einem anderen durch. Verbittert, von Trauer, Alkohol und Zigaretten ruiniert, starb Keeler am 20. September 1949 nach einem Schlaganfall - Amerikas oberster Wahrheitsjäger wurde nur 45 Jahre alt.

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