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SPD-Abgeordnete Möller "Kahrs' Twitterschlachten will ich nicht fortsetzen"

Wie viel haben konservative Sozialdemokraten noch zu sagen? Die Nachfolgerin von Johannes Kahrs als Sprecherin des Seeheimer Kreises über den Linksruck der SPD, Corona-Probleme der Schulen - und die Kanzlerkandidatur.
SPD-Abgeordnete Siemtje Möller

SPD-Abgeordnete Siemtje Möller

Foto: Christian Spicker/ imago images

Lange dominierten pragmatische Sozialdemokraten den Kurs der SPD. Doch die überraschende Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an die Parteispitze hat viel verändert. Auch an der Fraktionsspitze steht nun ein Parteilinker: Rolf Mützenich.

Johannes Kahrs, lange die polarisierende Führungsfigur des konservativen Seeheimer Kreises, zog sich Anfang Mai aus der Politik zurück. Er hatte sich vergeblich Hoffnungen auf den Posten des Wehrbeauftragten gemacht . Im Interview erzählt seine Nachfolgerin Siemtje Möller, was sie sich von Kahrs abgeschaut hat, wie sie die Parteivorsitzenden sieht - und wen sie sich als Kanzlerkandidaten wünscht.

Zur Person
Foto: Christian Spicker/ imago images

Siemtje Möller, Jahrgang 1983, ist seit 2017 direkt gewählte SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Friesland/Wilhelmshaven/Wittmund. Sie hat Französisch, Spanisch und Politik studiert und vor dem Einzug in den Bundestag als Studienrätin am Gymnasium gearbeitet. Mitte Juni 2020 wählte sie der konservative Seeheimer Kreis in der SPD-Fraktion zu einer von drei Sprecherinnen.

SPIEGEL: Es steht nicht gut um Ihr Lager in der SPD. Ihr Vorgänger Johannes Kahrs durfte nicht Wehrbeauftragter werden und steigt aus der Politik aus, der verteidigungspolitische Sprecher Fritz Felgentreu zieht sich ebenfalls zurück. Und Ihr Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich führt den Linksschwenk an. Haben konservativere Pragmatiker eigentlich noch eine Zukunft in der SPD?

Möller: Natürlich. Wir als Seeheimer Kreis haben uns nun neu aufgestellt und werden die Zukunft der Fraktion mitgestalten. Als Volkspartei haben wir den Anspruch, dass sich auch die vielen pragmatisch Denkenden von unserer Partei vertreten fühlen. Dafür steht der Seeheimer Kreis.

SPIEGEL: Das klingt nun nicht gerade kämpferisch. Unser Eindruck ist: Die Parteilinken regieren durch, von den Seeheimern hört man kaum noch was. Wie wollen Sie das ändern?

Möller: Die Seeheimer sind bekannt für pragmatische Politik. Wir setzen inhaltliche Akzente insbesondere für eine moderne Industriepolitik und haben eine ganze Reihe von Maßnahmen in der Coronakrise vorgeschlagen, die die Fraktionsarbeit maßgeblich geprägt haben. Das werden wir weitermachen, als stabilisierender Faktor innerhalb der Fraktion, in kollegialer Zusammenarbeit untereinander und zur Unterstützung unserer Ministerinnen und Minister.

SPIEGEL: Wo nehmen Sie sich ein Vorbild an Kahrs?

Möller: Wenn er etwas versprochen hat, galt das. Er hat immer darüber nachgedacht, wie man Dinge, über die man in der Theorie nächtelang diskutieren kann, am Ende konkret umsetzt. Das sehe ich als Ansporn. Also immer die Frage zu stellen: Ist das möglich und wie kann ich das durchsetzen? Das hat mich dazu gebracht, mich dem Seeheimer Kreis anzuschließen.

SPIEGEL: Was wollen Sie anders machen?

Möller: Seine Präsenz in den sozialen Medien ist ja legendär. Aber die Twitterschlachten will ich in diesem Ausmaß nicht fortsetzen.

SPIEGEL: Sie sind wegen des Kampfs gegen die Studiengebühren in die SPD eingetreten. Wie beurteilen Sie das gegenwärtige Krisenmanagement von Bildungsministerin Anja Karliczek?

Möller: Ich würde mir mehr Engagement wünschen. Bildung muss frei zugänglich sein, für alle. Es reicht nicht, wenn Frau Karliczek sagt: Wir wollen die Schulen wieder öffnen. Sie muss es auch möglich machen.

SPIEGEL: Sie sind Lehrerin. Wie beurteilen Sie die Reaktionen der Gewerkschaft, die bei einer Rückkehr in die Schulen sehr zurückhaltend sind?

Möller: Viele Eltern haben Schwierigkeiten, Homeschooling und Beruf unter einen Hut zu bringen. Als Mutter möchte ich auch, dass mein Kind wieder zur Schule geht. Aber die Frage ist: Wie schaffen wir das unter Corona-Bedingungen, wenn Lehrerinnen und Lehrer zur Risikogruppe gehören?

SPIEGEL: Machen es sich die Lehrer nicht ein bisschen leicht? In anderen Berufen gibt es doch auch Risikogruppen. Im Einzelhandel oder in der Pflege etwa.

Möller: Die Coronaregeln lassen sich in der Schule nicht so einfach umsetzen. Es ist nicht einfach, Kontakte zwischen Lehrern und Schülern zu vermeiden. Gerade in der Grundschule haben die Kinder ein besonderes Verhältnis zur Klassenlehrerin, zu den Freundinnen und Freunden. Da Abstand zu halten und Körperkontakt zu vermeiden, ist schwierig.

SPIEGEL: Man weiß mittlerweile, dass die Lehrer füreinander das größere Risiko darstellen.

Möller: Ja. Häufig sind die Räume zu klein, Lehrerzimmer sind normalerweise immer überfüllt und hektisch. Und angesichts der Corona-Auflagen kommen alle Schulen an die Grenzen ihrer räumlichen Kapazitäten. Hier müssen wir Möglichkeiten schaffen, dass Schulleitungen und Lehrkräfte gemeinsam mit den Eltern und den Schulträgern Lösungen vor Ort finden können, sodass Gesundheit und das Recht auf Bildung gewahrt werden.

SPIEGEL: In den Umfragen stagniert die SPD bei 15 Prozent. Warum profitieren Sie nicht vom Corona-Krisenmanagement?

Möller: Wir werden profitieren, wenn wir unsere inhaltliche Arbeit stärker in den Vordergrund stellen und die innerparteiliche Solidarität leben, jenseits von persönlichen Animositäten.

SPIEGEL: Sollte Olaf Scholz Kanzlerkandidat werden?

Möller: Absolut. Er macht einen hervorragenden Job, norddeutsch unaufgeregt, aber sehr zielführend. Er ist zweitbeliebtester Politiker nach Merkel, die bekanntlich nicht mehr antritt.

SPIEGEL: Wie wollen Sie das erklären? Die Partei wollte Scholz vor einem halben Jahr nicht einmal als Vorsitzenden.

Möller: In den vergangenen Monaten hat sich viel verändert. Scholz zeigt in der Krise, was in ihm steckt. Die Partei wollte nach dem Rücktritt von Andrea Nahles einen Neuanfang. Jetzt merken wir, dass es durchaus hilft, Leute mit Wissen und Kompetenz zu haben.

SPIEGEL: Wie sehen Sie die beiden Parteivorsitzenden?

Möller: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans kommen regelmäßig in die Fraktion. Sie haben versprochen, frischen Wind in die Partei zu bringen und die Basis zu befrieden. Das verkörpern sie.

SPIEGEL: Gibt es Ihren Kreis der jungen Abgeordneten eigentlich noch?

Möller: Ja, es gab ein wenig Fluktuation. Manja Schüle ist mittlerweile Ministerin in Brandenburg und wir haben zwei Neuzugänge. Aber wir treffen uns weiter regelmäßig

SPIEGEL: Werden Sie da als Seeheimer-Sprecherin noch reingelassen?

Möller: Natürlich. Wir sind ein flügelübergreifender Kreis.