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Ein griechischer Beamter richtet die Schallkanone an der Grenze nahe der Stadt Feres in Richtung türkisches Gebiet.

Foto: AP / Giannis Papanikos

Für viel Lärm im wahrsten Sinne des Wortes haben dieser Tage europäische Medienberichte – in Österreich von Ö1 – gesorgt. Zu sehen und vor allem zu hören ist, wie griechische Beamte an der 200 Kilometer langen Landgrenze zur Türkei eine Schallkanone einsetzen, um Flüchtlinge und Migranten von einem Grenzübertritt abzuhalten. Es ist ein ohrenbetäubendes Geräusch, das laut der Nachrichtenagentur AP akustisch einem Kampfjet Konkurrenz machen könnte.

Auf einem gepanzerten Fahrzeug montiert, wird das fernsehergroße Gerät die Grenze entlang kutschiert und in regelmäßigen Abständen aktiviert. Die Schallkanone ist aber nur ein Element einer modernen Ausrüstung, mit der die griechischen Grenzbeamten ausgestattet werden. Neben meterhohen Stahlmauern an neuralgischen Punkten ähnlich jenen an der US-mexikanischen Grenze kommen auch Drohnen und umfangreiche Kameraüberwachungssysteme zum Einsatz.

"Unsere Aufgabe ist es zu verhindern, dass Menschen illegal unsere Grenze überschreiten. Dafür brauchen wir modernstes Equipment", zitiert AP Dimonsthenis Kamargios, den Leiter der griechischen Grenzschutzpolizei. Mit der neuen Technik werde man ein klares Bild bekommen, was sich vor der Grenze abspiele, erklärte er.

Recht auf Menschenwürde

Vor allem der Einsatz der Schallkanone erntete europaweit Kritik – am Donnerstag schließlich auch von der EU-Kommission. Deren Sprecher Adalbert Jahnz erklärte, man "habe die Berichte über die Schallkanone mit Besorgnis zur Kenntnis genommen und werde nun in Athen weitere Informationen über deren Gebrauch anfordern". Zudem sagte er, dass jedes EU-Land selbst entscheide, wie es seine Außengrenze schütze, allerdings sollten die Maßnahmen im Einklang stehen mit "fundamentalen europäischen Rechten, inklusive des Rechts auf Menschenwürde".

Die für Migration zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson betonte einen Tag später gegenüber Ö1, die Union habe den Einsatz von Schallkanonen nicht finanziert, das sei ein "rein griechisches Vorhaben". Außerdem stellte sie klar: "Jeder Mitgliedsstaat ist verpflichtet, die Außengrenze zu schützen. Er ist aber auch verpflichtet, dabei die Menschenrechte zu schützen." Sie kündigte an, darüber mit der griechischen Regierung zu reden.

Könnte mit Folterverbot in Konflikt kommen

Der Einsatz von Schallkanonen gegen Flüchtlinge und Migranten sei ein menschenrechtlich höchst bedenkliches Novum, erklärt Adel-Naim Reyhani, Asylrechtsexperte des Ludwig Boltzmann-Instituts für Grund- und Menschenrechte in Wien. Klar sei für ihn, dass diese Praxis mit dem Folterverbot, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgelegt ist, in Konflikt kommen kann. "Mit der Schallkanone soll der Zugang zu Asyl und einem rechtsstaatlichen Verfahren in Griechenland gänzlich verhindert werden. Eine Prüfung, inwieweit die Rechte der betreffenden Personen in der Türkei gewährt sind, findet nicht statt", so Reyhani.

Außerdem, so Reyhani: "Personen einem lauten Geräusch auszusetzen kann auch für sich genommen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen." Der Experte verweist dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), dem zufolge ein kontinuierlich lautes Geräusch in Kombinationen mit anderen Methoden, wie etwa Schlafentzug, als unmenschliche Behandlung bewertet wurde.

Schließlich, so Reyhani, sei auch zu prüfen, ob der Einsatz der Schallkanone nicht die Menschenwürde der Betroffenen verletzt. Diese zu schützen ist in Artikel 1 der EU-Grundrechtecharta festgelegt.

Kritik an Dänemark

Nicht nur im Osten, auch im Norden der EU ist ein Mitgliedsstaat dabei, Grund- und Menschenrechte zu verletzen. Das dänische Parlament verabschiedete ein Gesetz, das Asylzentren in anderen Ländern ermöglicht. Dort sollen die Asylwerber warten, bis ihr Antrag in Dänemark bearbeitet wird. Und selbst wenn sie einen positiven Bescheid erhalten, sollen sie im Drittland bleiben können. Begrüßt wurde dies von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).

Kritik setzt es von EU und dem UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR). Auch für Reyhani ist die Sache rechtlich kritisch, auch wenn für eine abschließende Bewertung noch nicht ausreichend Details bekannt seien. Dänemark sei völkerrechtlich verpflichtet, Asylanträge zu prüfen, bevor es jemanden des Landes verweist. Zudem: "Anerkannten Flüchtlingen kommt eine Reihe an Rechten zu, die in einem Drittstaat nicht ohne weiteres gewährleistet werden können. Und bereits mit der Asylantragstellung geht bis zu einer Entscheidung darüber das Recht auf Bewegungsfreiheit einher." (Kim Son Hoang, 4.6.2021)