Migration

Lager in Griechenland: "70 Menschen teilen sich eine Dusche"

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Neu errichtete „Mehrzwecklager“ bieten noch schlimmere Bedingungen.

Wien/Athen. „Das ist menschenverachtend.“ Weil Tausende Menschen seit vielen Monaten unter unwürdigen Bedingungen in griechischen Flüchtlingslagern untergebracht sind, leiden viele von ihnen heute an Depressionen, Selbstverletzungen, posttraumatischen Belastungsstörungen bis hin zu Suizidversuchen. Marcus Bachmann, Berater für humanitäre Angelegenheiten bei Ärzte ohne Grenzen, macht die EU verantwortlich für das „unvorstellbare“ Leid auf europäischem Boden: Extrem unhygienische Bedingungen, „toxisches“ Wasser und in kleinen, durch die pralle Sonne extrem aufgeheizten Zelten zusammengepferchte Familien seien Alltag in den Flüchtlingslagern der Ägäis-Inseln. Selbst Mütter und ihre Neugeborenen seien den Wetterbedingungen ungeschützt ausgesetzt, berichtet auch MSF-Hebamme Julia Falkner in einem Online-Gespräch mit Journalisten. Und: „70 Menschen teilen sich eine Dusche.“ Während eines Asylverfahrens müssten Menschen humane Lebensumstände geboten werden, fordert sie. „Dieser Zustand ist mit EU-Werten nicht vereinbar.“ Fast ein Viertel der Bewohner habe einen gültigen Asylstatus und werde unberechtigterweise in den Lagern festgehalten, so Bachmann.

120 Mio. Euro von Kommission

Doch die Situation für die in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge dürfte sich in naher Zukunft kaum verbessern – im Gegenteil: Mit der geplanten Errichtung von fünf neuen Zentren auf den Inseln Lesbos, Samos, Kos, Leros und Chios fürchtet Ärzte ohne Grenzen eine weitere Verschlechterung. Die sogenannten Mehrzweckzentren, für die die griechische Regierung über 120 Millionen Euro finanzielle Unterstützung von der EU-Kommission erhält, würden ein System etablieren, „in dem es noch mehr Lücken in der Versorgung geben wird“, warnte Bachmann. „Diese Lager werden die perfekten Blackboxes sein.“ Schon jetzt seien die Flüchtlingscamps für die Zivilgesellschaft oder Journalisten unzugänglich, jegliche Kontrolle von außen fehle. Die neuen Lager sollen noch schärfer kontrolliert werden, berichtete Bachmann. Er befürchtet „hermetisch abgeriegelte“ Zentren, die er als „Menetekel“ für Verschlechterungen auf Kosten der Geflüchteten bezeichnete. Die EU verschärfe so ihre Abschottungspolitik.

Auch die österreichische Bundesregierung solle sich für den Stopp der „Mehrzwecklager“ einsetzen, fordert Ärzte ohne Grenzen. Neos-Sprecherin für Asyl und Migration, Stephanie Krisper, fordert eine Evakuierung der Geflüchteten von den Inseln. Die ÖVP-geführte Bundesregierung aber weigert sich strikt, Menschen aus den Lagern aufzunehmen. (aga/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2021)

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