Trompeter Theo Croker:Aus einer anderen Dimension

Lesezeit: 4 min

Jazz? "Schreckt Leute ab, die meine Hörer sein könnten." (Jazz-)Trompeter Theo Croker. (Foto: Obidi Nzeribe)

Der Spiritualist und Märchenprinz Theo Croker will den Jazz erneuern. Ein Wort, das er eigentlich hasst.

Von Joachim Hentschel

Nein, keine Sorge, am Ende wird hier nicht die eminente Haarfrisur des Künstlers das Entscheidende sein. Es wird auch nicht um die expressiv gemusterten Hemden und Mützen gehen oder um die Fotos, auf denen Theo Croker mit nacktem, Hip-Hop-tauglichem Oberkörper posiert, wenn auch eher denker- als gangsterhaft.

Aber oft braucht man ja erst mal irgendeine Eingangstür, durch die man reinkommt in die Musik. Erst recht, wenn sie so fluid und schwer definierbar ist wie die von Croker, und noch mal umso dringender, wenn auch noch Jazz draufsteht. Unter dem Begriff findet sich heute ja so ziemlich alles gesammelt zwischen klarlackiertem Zweckgebundenheits-Listening und Popballaden, die mit Besenschlagzeug in den Schlaf gestreichelt werden.

Und so gesehen nützt es in der Tat viel, dass Theo Croker, der 36-jährige Wunderjunge, Startrompeter und Stilfragenvirtuose aus Florida, zugleich auch ein echter Charakter ist. Ein Vogel, der Aufsehen erregt. Ein menschliches Statement. So wie ja auch, zum Beispiel, Charles Mingus, Alice Coltrane, Sun Ra oder natürlich Miles Davis sehr originäre Arten von Coolness verkörperten. Popstars allesamt, Poster-People, bei denen das aber auch gleichzeitig wieder egal war. Jeder konnte ja hören, was für bedeutende, visionäre Instrumentalisten und Strategen sie waren. Vordenker, denen man genau das bis in die Haarspitzen ansehen konnte.

"Wir Jazzmusiker werden oft in die Studios gebeten, wenn anderen Leuten in ihrer eigenen Musik das gewisse Etwas fehlt"

Ein Bilderstürmer oder Rockstar des Jazz ist Theo Croker aber auch wieder nicht. Eher ein sanfter Erneuerer, ein Spiritualist und Märchenprinz, der vor sieben Jahren zum ersten Mal größer aufgefallen ist, mit Stücken, die noch ausdrücklich viel dem Väter- und Müttererbe des Hardbop und Modal-Jazz verdankten. Erst in der Folge wurden in seiner Musik die Crossover-Momente stärker, die gut hörbaren Einsickerungen aus Hip-Hop, Funk, Club-Elektronik, gelegentlich auch Rock in der "Bitches Brew"-Fusion-Spielweise der 70er. Fast hatte man den Eindruck, dass sich Croker, je älter er wurde, immer weiter von der Aura seines legendären Großvaters Doc Cheatham und seines College-Dozenten Donald Byrd emanzipierte.

"Wir Jazzmusiker werden oft in die Studios gebeten, wenn anderen Leuten in ihrer eigenen Musik das gewisse Etwas fehlt", sagt Theo Croker, in weißem Trägerhemd und geradezu provozierend entspannter Sitzhaltung, beim Videointerview. "Wir spielen dann die Rolle der Mathematiker, die die schwierigen Rechenprobleme lösen sollen." Ist er unzufrieden mit dem Genre-Label? "Ich mag das Wort Jazz überhaupt nicht", sagt Croker, "weil es genau das Gegenteil bewirkt. Es schreckt Leute ab, die meine Hörer sein könnten."

Einige von ihnen hat er mit dem jüngsten Musikvideo vielleicht schon eingefangen. Wyclef Jean spielt da mit, der mit den Fugees aus New Jersey berühmt gewordene Rapper. In "State Of The Union 444 // BLK2THEFUTURE" schleicht Wyclef im weißweinfarbenen Ledermantel und mit Regenbogen-Bandana durch eine "Blade Runner"-artige Szenerie. Als schwarzer Superdetektiv, der sich im Text als "renaissance man" bezeichnet und von Zeitreisen und Freiheitskämpfern erzählt. Es ist ein ebenso rastloses wie fluffiges Raumschiff-Rap-Stück, in dem Crokers Trompete klingt, als käme sie mit Warp-Faktor zwölf aus irgendeiner anderen Dimension herübergeschallert.

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Seinen wirklichen Sinn entfaltet der Song aber erst, wenn man ihn im Kontext des neuen Croker-Albums "BLK2LIFE // A Future Past" hört. Die Platte signalisiert direkt beim Erstkontakt, dass es hier um die Besinnung auf die Wurzeln des schwarzen Kulturerbes sowie die darin liegende Selbstvergewisserung geht. Fürs Cover hat Croker sich vom Illustrator Tokio Aoyama, der auf solche Aufträge spezialisiert ist, als ägyptischer Imperator mit allen afrofuturistischen Insignien porträtieren lassen. Der Albumtitel sowie der etwas salbungsvolle Begleittext Crokers beschwören dazu die magische Wirkungsmacht der Tradition. Das haben in jüngerer Vergangenheit schon viele schwarze Künstlerinnen und Künstler gemacht haben, mit ähnlichem Duktus, nicht zuletzt Croker selbst.

"Alle, die in der schwarzen Musik jemals als Innovatoren auftraten, waren im Grunde Jazzmusiker"

Der Unterschied liegt nun aber darin, wie er die Sache dieses Mal angeht. Und das ist nicht nur ein grandioses, lustvolles, überraschendes Hörerlebnis, sondern auch strategisch genial. Wo sonst meistens - wie im Mathematiker-Gleichnis - der Jazz dem Hip-Hop, Soul oder den Lounge-Beats homöopathisch beigemischt wird wie ein verschwägertes Sample-Zitat, kommt Theo Croker hier aus der Gegenrichtung. Auf "BLK2LIFE // A Future Past" scheint er all die jüngeren Genres aus dem Jazz heraus zu entwickeln mit einem präzise gedrallten Urknall-Groove. Aus seinen typischen Klangfarben und Phrasierungen modelliert er neuartige Gospel-Hymnen, ausschweifende Stammestänze, kosmische Breakbeats, galaktische Space-Musik. Lässt dazu tolle, verglichen mit Wyclef Jean ziemlich unbekannte Stimmen wie Charlotte Dos Santos oder Ari Lennox singen.

"Alle, die in der schwarzen Musik jemals als Innovatoren auftraten, waren im Grunde Jazzmusiker, von James Brown über Aretha Franklin bis Stevie Wonder", sagt Croker. "Die Genrenamen von heute täuschen darüber hinweg, dass diese Musik aus einem einzigen großen ,black hole' gekommen ist."

(Foto: Sony)

Er selbst hat von beiden Elternseiten her auch indigene Wurzeln, unter anderem einen Ururgroßvater, der sich als Cherokee-Häuptling jenem gewaltsamen Umsiedlungsprogramm widersetzte, das als "Pfad der Tränen" in die Geschichte einging. Mutter und Vater waren Bürgerrechtler, arbeiteten im Justizsystem der New Yorker Staatsverwaltung, die Mutter zeitweise als Assistentin des berühmten Panafrikanisten John Henrik Clarke. Als direkte Reaktion auf die verstärkten "Black Lives Matter"-Debatten der letzten Zeit will Theo Croker sein Album schon deshalb nicht verstanden wissen. "Den Kampf um ihre an sich selbstverständlichen Rechte führen People of Color in den USA schon so lange", sagt er. "Wer so tut, als wäre er erst durch die newsgetriebene Kampagne daran erinnert worden, lügt einfach. Niemand kann heute ernsthaft so dumm sein."

Als Statement, kulturelle Ansage und selbstbewusste Setzung funktioniert sein neues Album übrigens auch in den weiten Passagen, die Croker nur mit der Trompete bestreitet, ohne Sängerinnen, ohne Sprache. Ohne Genre-Labels.

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