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Abschiebung von Asylbewerbern »Die frühen Morgenstunden sind die gefährlichsten«

Der Aktivist Hagen Kopp will Asylbewerber vor der Abschiebung bewahren – und steht deshalb nun erneut vor Gericht. Im Interview kritisiert er die deutsche Praxis und spricht über seinen Prozess.
Ein Interview von Yannick Ramsel
Aktivist Hagen Kopp: »Der Prozess soll mich einschüchtern«

Aktivist Hagen Kopp: »Der Prozess soll mich einschüchtern«

Foto: Milos Djuric / DER SPIEGEL

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SPIEGEL: Herr Kopp, am 6. Mai findet am Landgericht Aschaffenburg ein Berufungsverfahren gegen Sie statt. Die Staatsanwaltschaft wirft Ihnen »öffentliche Aufforderung zu Straftaten« vor. Was ist da los?

Kopp: Es gibt eine Website auf der mein Name im Impressum steht, sie heißt www.aktionbuergerinnenasyl.de . Dort steht ein Aufruf mit dem Satz: »Deshalb rufe ich dazu auf, von Abschiebung bedrohten Menschen BürgerInnenasyl zu gewähren und sie auch notfalls in Ihren Wohnungen zu verstecken«.

SPIEGEL: Worum geht es beim BürgerInnenasyl?

Kopp: Wir wollen Menschen Schutz gewähren, sie also verstecken, wenn ihnen eine Abschiebung droht. Ich war Mitbegründer des Hanauer BürgerInnenasyls, der ersten von mittlerweile 16 lokalen Initiativen. Wir haben uns Ende 2016 gegründet, als Antwort auf die Abschiebungen ins Kriegsgebiet Afghanistan. Auf unserer gemeinsamen Website gibt es einen Appell, den Menschen unterzeichnen können, und in dem der Satz enthalten ist, um den es in meinem Verfahren geht – die Ich-Form bedeutet also nicht einmal Hagen Kopp, die kann sich auf jeden beziehen.

SPIEGEL: Vor dem Amtsgericht wurden sie im vergangenen Jahr freigesprochen, die Staatsanwaltschaft ging in Berufung.

Kopp: Der Richter hat meinen Freispruch in erster Instanz so begründet, dass »von Abschiebung bedrohte Menschen« auch solche mit einer Duldung meinen kann. Die können zwar unter Umständen abgeschoben werden, sind aber legal in Deutschland. Daher kann es nicht strafbar sein, wenn man ihnen Unterschlupf gewährt oder dazu aufruft. Die Staatsanwaltschaft behauptet in der Berufungsbegründung, dass Menschen, die sich »mit einer Duldung in der Bundesrepublik aufhalten, gar nicht abgeschoben werden können«. Das geschieht aber ständig hierzulande. Der Prozess soll mich einschüchtern. Aber ich habe keine Angst.

»Die Angst, nachts um vier aus dem Schlaf gerissen zu werden«

SPIEGEL: Wenn man jemanden versteckt, der sich ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhält und abgeschoben werden soll, ist das Beihilfe zum illegalen Aufenthalt und möglicherweise strafbar. Warum machen Sie das?

Kopp: Weil ich seit 30 Jahren erlebe, wie Menschen verängstigt werden und oft nicht wissen, wie sie schlafen sollen. Es gab mal eine frühere Initiative in Hanau, da haben wir von Abschiebung bedrohte KurdInnen gefragt, wie wir das Projekt nennen sollen. Ihre Idee war: »Für einen ruhigen Schlaf«. Wir haben erst gestutzt – es ging um ihre Angst, nachts um vier Uhr aus dem Schlaf gerissen und mit Kindern und Gepäck zum Flughafen gebracht zu werden.

SPIEGEL: Die Äbtissin Mechthild Thürmer aus Bayern steht bald vor Gericht, weil sie Geflüchteten Kirchenasyl gewährte.

Kopp: Was interessant ist: Ein bayerischer Mönch, Bruder Abraham Sauer aus Münsterschwarzbach, wurde in einem vergleichbaren Fall gerade freigesprochen. Das Gericht betonte seine Glaubens- und Gewissensfreiheit und den Fakt, dass keine Dritten zu Schaden kamen – vielleicht ein wegweisendes Urteil. Ich habe letztens übrigens kurz mit Mutter Mechthild telefoniert, sie hat gesagt, sie wolle an meinem Verhandlungstag für mich beten. Das hat mich gerührt.

SPIEGEL: Wie viele Menschen gibt es, die so versuchen, Abschiebungen zu verhindern?

Kopp: Zusätzlich zu den Kirchenasylen sind wir sicherlich einige Hundert in ganz Deutschland – es geht nicht nur um Zimmer, sondern auch um Gesundheitsversorgung, Beratung und manchmal, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, um Weiterwanderung in ein anderes Land. Wir sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Den größten Teil dieser Arbeit organisieren die migrantischen Communities selbst, Freunde, Verwandte, Bekannte, die sich gegenseitig unterstützen und schützen.

SPIEGEL: Haben die Menschen denn eine Bleibeperspektive in Deutschland, obwohl sie eigentlich abgeschoben werden sollen?

Kopp: Das Ziel ist für die meisten ein sicherer Aufenthaltsstatus. Nehmen wir als Beispiel Menschen mit einer Duldung, bei denen schauen wir gemeinsam: Gibt es die Möglichkeit, in eine Beschäftigungsduldung überzugehen? Dafür muss es unter anderem einen Arbeitsvertrag geben. Und wir schauen, ob die Abschiebung rechtlich gestoppt werden kann. Das kann sich über Monate ziehen, währenddessen kann man jederzeit abgeschoben werden. Deshalb benötigen die Menschen Schutzräume.

SPIEGEL: Haben Sie schon einmal selbst jemanden bei sich untergebracht?

Kopp: Ja, schon mehrfach. Manche Menschen waren so eingeschüchtert, die wollten nur im Haus bleiben. Dann gab es welche, die sagten, ich kenne das Risiko und gehe trotzdem raus. Und einige haben tagsüber sogar gearbeitet und kamen nur zum Schlafen zu mir. Die Nacht- und frühen Morgenstunden sind die gefährlichsten.

SPIEGEL: In den vergangenen Jahren wurden bei Abschiebungen vermehrt Fesseln eingesetzt, das geht aus Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen von Politikern der Partei Die Linke im Bundestag aus den Jahren 2019 und 2020 hervor. Deckt sich das mit dem, was Betroffene Ihnen schildern?

Kopp: Ja, wir hören immer wieder von Gewalt gegen sie. Auch Geflüchtete, die nichts verbrochen haben, können inhaftiert und dann abgeschoben werden. Zudem verlaufen die Abschiebungen unsichtbarer, es gibt eine sogenannte Charterisierung: Extra für die Abschiebung bereitgestellte Flieger mit eigenem Personal, manchmal dreimal so viel Polizei wie Abzuschiebende. Wenn sich einer der Betroffenen wehrt, gibt es keine Öffentlichkeit.

SPIEGEL: Die Zahl der Abschiebungen ist im vergangenen Jahr gesunken. Seit 2015 waren es jährlich zwischen 20 000 und 25 000, letztes Jahr waren es 10.800. Ist das für Sie ein gutes Zeichen?

Kopp: Nein, denn der gesamte Flugverkehr war wegen Corona sehr eingeschränkt. Die Zahlen bleiben hoch und die Tabubrüche nehmen zu. Beispiel: Vor wenigen Wochen gab es die erste Charter-Sammelabschiebung von Tamilen nach Sri Lanka, an deren Bevölkerungsgruppe gab es in dem Land noch vor einigen Jahren Massenmorde, sie werden weiterhin verfolgt. Oder die Abschiebung eines Somaliers aus Hessen: Der war seit fast acht Jahren in Deutschland, seit drei Jahren mit fester Arbeit. Er wurde einfach festgenommen, in Haft gesetzt und abgeschoben in ein Bürgerkriegsland. In wenigen Monaten hätte er eine Beschäftigungsduldung bekommen können, ein erster Schritt in einen sicheren Aufenthalt.

SPIEGEL: Was sagen Sie zum Argument mancher Kritikerinnen und Kritiker, dass Deutschland nicht alle Menschen aufnehmen könne, die räumlichen und finanziellen Ressourcen begrenzt seien?

Kopp: Ich bezweifle, dass alle Menschen kommen wollen. Für die anderen ist es so: Wenn die Fluchtgründe wie Krieg, Klimawandel und das massive Nord-Süd-Einkommensgefälle weiter bestehen, werden weiterhin Menschen ihr Land verlassen. Migration ist für mich ein Menschenrecht. Ich würde Horst Seehofers Spruch »Migration ist die Mutter aller Probleme« umdrehen: Migration ist die Mutter aller Gesellschaften. So war es in der Geschichte immer. Menschen auszugrenzen, die ein besseres Leben für sich und ihre Familien suchen, ist für mich ein rassistisches Unrecht, damit werde ich mich nie abfinden.

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