maischberger. die woche: Kritik an der Gästeliste

Sandra Maischberger | Screenshot: ARD


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Wer:
* Sandra Maischberger, Journalistin, Talkerin, Moderatorin
* Jörg Wager, Freier Medienjournalist
Was: VoIP-Interview über Zuschauerreaktionen im Umfeld ihrer Talksendung „maischberger. die woche“ vom 03.06.2020
Wann: rec.: 05.06.2020/ca. 14:00 Uhr; veröffentlicht in einer 10:26-Minuten-Fassung am 06.06.2020/18:26 Uhr im radioeins-Medienmagazin, rbb und stark gekürzt am 07.06.2020, 10:44/17:44 Uhr im rbb Inforadio

Vgl.:
* „maischberger. die woche“ vom 03.06.2020
* Analyse von Talkshows zu Corona in Das Erste und ZDF, Jakob Buhre, planet-interview.de, 05.05.2020
* Maischberger: „Die Kritik basierte auf falschen Fakten“, DWDL, 05.06.2020
* Wie bunt is(s)t Maischberger?, Jakob Buhre, planet-interview.de, 10.06.2020

Priscilla Layne – Heiko Maas – Sandra Maischberger | Screenshot: ARD

(wörtliches Transkript, Hörverständnisfehler vorbehalten)

[0:00] Jörg Wagner: Seit es Talk- und Gesprächssendungen im Deutschen Fernsehen gibt, erfahren sie besondere Aufmerksamkeit. Darüber ist wissenschaftlich sehr viel zusammengetragen worden. 2009 haben wir hier z. B. das Buch besprochen “Polit-Talkshows – Bühnen der Macht – Ein Blick hinter die Kulissen.” Ich packe das Audio dazu in den PodCast-Bonus-Track. Außerdem auch mein erstes Interview mit Sandra Maischberger – damals talkte sie bei n-tv – ausgestrahlt aus Anlass der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises an Sandra Maischberger im Medienmagazin vom 28.10.2000. Fast 20 Jahre später begrüße ich Sandra Maischberger jetzt per Voice over IP. Sie talken noch immer. Sie interessieren sich immer noch für Menschen. So wie ich auch. Aber hat sich etwas für Sie in den letzten Jahren verändert?

[0:44] Sandra Maischberger: Ja, es hat sich eine ganze Menge verändert, also nicht an der eigentlichen Gesprächsführung bei mir. Aber ich hab’ schon das Gefühl, dass das Umfeld, in dem wir uns befinden, sich völlig verändert hat, seitdem eben auch das Internet dazu gekommen ist. Das ist ja eine Binse. Das wissen wir alle. Aber das gibt natürlich noch mal einen ganz anderen Resonanzraum und der beeinflusst, was wir tun.

[1:07] Jörg Wagner: Und nicht nur WÄHREND der Sendung, sondern auch schon VOR der Sendung. Da gibt es also Feedback, Kritik zum Beispiel an der Gästeliste. Erleben Sie das als lästig? Wie war das vielleicht konkret in dieser Woche?

[1:25] Sandra Maischberger: Na, grundsätzlich muss man tatsächlich dazu sagen, dass es mich manchmal schon irritiert. Dass ich mich daran ja auch messen lasse, was wir tun und keiner Kritik aus dem Weg gehe, wenn die Sendung ausgestrahlt wurde. Denn eine Sendung ist immer kritikwürdig. Wir selber kritisieren uns häufig. Aber was mich dann doch irritiert ist, dass es eben mittlerweile Usus geworden ist, eine Sendung schon vorher anhand einer Gästeliste zu kritisieren. Also: ‘Wir wollen gar nicht hören, was ihr sagt. Wir wollen nur wissen, wer kommt.’ Und damit wird dann schon gemessen, ist die Sendung gut oder schlecht. Ich kann das jetzt kritisieren, aber in Wahrheit muss ich natürlich auch damit umgehen, denn das ist unsere neue Realität.

[2:04] Jörg Wagner: Aber ist eine Gästeliste nicht schon tatsächlich auch ein Hinweis darüber, wer bei Ihnen NICHT spricht? Im konkreten Fall war das ja so, dass man vermutete, Sie würden mit Weißen über Rassismus sprechen.

[2:18] Sandra Maischberger: Ja, in diesem Falle war unser Kommunikationsfehler eindeutig, am Dienstag eine Gästeliste zu kommunizieren mit dem Hinweis, diese fünf weißen Gäste würden über das Thema Rassismus sprechen. Tatsächlich war keiner dieser fünf Gäste zum Thema Rassismus eingeladen, sondern der Bundesaußenminister zum Thema der Reisewarnung, die aufgehoben werden sollte am Tag der Sendung. Die Virologin Prof. Rübsamen-Schaeff sollte über den Stand der Corona-Forschung reden und die drei Journalist*innen sollten über das Konjunkturpaket, das ebenfalls am Mittwoch zu diskutieren war, sprechen. So war die Sendung geplant, als wir in das Pfingstwochenende gingen. Über das Wochenende eskalierte die Situation in den Vereinigten Staaten. Und wir waren dann in der Überlegung: Machen wir das auch zum Thema oder nicht? Wir haben uns dann am Sonntag/ Montag entschieden, das zum Thema zu machen und haben dann angefangen, noch einen Gast zu recherchieren in den USA, möglichst jemanden, der nicht nur qua Hautfarbe qualifiziert ist, eine Expertise hat, sondern vielleicht sich auch mit dem Thema Rassismus beruflich beschäftigt, der und dazu noch Deutsch sprechen sollte. Die Recherche hat sich hingezogen. Sie wurde am Sonntag/ Montag gestartet. Am Montag bekamen wir einen Hinweis auf die Wissenschaftlerin, die wir dann tatsächlich am Dienstag kontaktiert und am Mittwoch dann eingeladen hatten. Aber da war dann schon die Aufregung groß und im Nachhinein wurde dann gesagt, wir hätten mit diese Einladung reagiert auf die Kritik, was nicht stimmt. Also die Gästeliste, über die sich alle so aufgeregt haben, war erstens falsch kommuniziert und zweitens nicht vollständig.

[3:52] Jörg Wagner: Es gab auch Kritik an der Art, wie Ihre Redaktion per Twitter kommunizierte. Sie twittern ja nicht selbst. Das steht auch wirklich so auch drin, sehr transparent. Ich fass’ mal die Kritik so zusammen: sie war etwas von oben herab die Kommunikation. Ist das bei Ihnen ausgewertet worden?

[4:09] Sandra Maischberger: Also, was sicherlich falsch war, war überhaupt sich einzulassen. Das ist etwas, was wir im Nachhinein auch als Fehler betrachten. Es war nicht von oben herab, sondern es war ein bisschen der Versuch zu sagen: Wir sind noch nicht fertig mit der Sendungsrecherche. Die Recherche endet bei uns tatsächlich mit dem Beginn der Sendungsaufzeichnung oder der Sendungsausstrahlung. Lasst uns doch erst dann reden, wenn die Sendung da ist. Das wurde dann als arrogant oder eben als Kritik gewertet. Das war es aber nicht. Fakt ist, dass wir tatsächlich dann am Dienstag und auch am Mittwoch unfassbar damit beschäftigt sind, die Sendung auf die Reihe zu kriegen. Und vielleicht sollten wir uns dann einfach gar nicht mehr äußern zu Dingen, die kommen, sondern es abwarten.

[4:50] Jörg Wagner: Dazu würde ich gar nicht raten wollen, weil aus Erfahrung weiß ich, dass das möglicherweise auch nicht ankommt. Weil es gibt ein erhöhtes Mitsprachebedürfnis der Menschen an den Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das spüre ich als Beobachter, Macher einer Mediensendung besonders seit der Umstellung von einer Gerätegebühr auf den pauschalen Ansatz: ein Rundfunkbeitrag pro Wohnung. Das kann ich nicht wirklich wissenschaftlich unterlegen, sondern das ist meine empirische Beobachtung. Also der erste Peak für mich war, als die Kollegen Markus Lanz und Hans-Ulrich Jörges im Januar 2014 Sahra Wagenknecht in die Zange genommen hatten, vielleicht erinnern Sie sich daran. Da war sehr viel Schaum vor dem Mund. Der Talk wirkte eher wie ein Verhör zweier Polizeibeamter. Da fehlt also nur noch die grelle Schreibtischlampe. Es gab sehr viel Protest beim ZDF. Infolgedessen entstand auch der medienkritische Block der sogenannten Ständigen Publikumskonferenz. Seitdem mache ich auch bei Gesprächen jenseits dieser Sendestunde hier auf radioeins bei Zuschauerinnen und Zuschauern mehr Selbstbewusstsein im Vortragen von Kritik aus. Ist das nicht etwas, worüber wir dankbar sein können? Andere große Unternehmen versuchen durch Forschung herauszubekommen, ob die Produkte funktionieren. Bei uns kommt die Kritik quasi von selbst.

[6:04] Sandra Maischberger: Ich bin absolut Ihrer Meinung. Ich habe … also mit den Zuschauern, mit den Usern direkt zu kommunizieren, ist sicherlich ein Riesenfortschritt. Und ich nehme auch das, was kommt sehr ernst. Also zum Beispiel die Frage, wen ladet ihr zu welchen Themen ein? Das ist ja ein bisschen das, was uns in dieser Woche auch beschäftigt hat. Laden wir dann schwarze Menschen ein, wenn es um Rassismus geht, wird es übrigens auch kritisiert, weil man auch Schwarze einladen kann zu anderen Themen. Das ist etwas, das hat uns letztes Jahr auch schon beschäftigt und ich habe das wirklich auch sehr ernst genommen. Oder dass man Menschen …

[6:38] Jörg Wagner: … oder die Kritik daran, dass zu wenig Ostdeutsche …

Sandra Maischberger: Genau zu wenig Ostdeutsche.

Jörg Wagner: … in der Runde sitzen.

Sandra Maischberger: Zu wenig Menschen mit Migrationshintergrund. All das nehmen wir wirklich ernst. Ja.

[6:46] Jörg Wagner: Die jüngsten Zahlen sind, dass etwa neunzig, einundneunzig Prozent immer aus dem Westen in sämtlichen deutschen Talkshows sitzen und eben nur acht, neun Prozent aus dem Osten. Also, das ist ja auch eine Art von Diskriminierung. Und zu wenig Frauen. Wir wissen ganz genau, woran das liegt, weil auch Frauen öfter absagen, wenn man sie anfragt. Aber auch das konkret vielleicht transparent zu machen, ist vielleicht ein Akt, der so eine Empörungswelle dann vielleicht im Vorhinein, verhindern hilft.

[7:14] Sandra Maischberger: Also, das eine sind Empörungen und das andere sind Fakten. Bei den Frauen zum Beispiel ist es schlicht falsch, dass dargestellt wurde – das war an dem Beispiel Viorolginnen – die kämen zu kurz. Ja, das stimmt. Wir hatten nur irgendwie in den beiden Sendungen, die dann kritisiert wurden, hatten wir nur 25 Prozent. Gleichzeitig Online und Print: vier und sieben Prozent. Da muss ich auch mal sagen, also da ist der Maßstab verrutscht. Wir versuchen, möglichst viele Frauen einzuladen. Wir sind im Durchschnitt bei 30, manchmal in den Sendungen bei 40 Prozent, aber im Durchschnitt in diesem Jahr sind wir in etwa bei 30 Prozent Einladungen Frauen. Ostdeutschland. Ein weiteres wichtiges Thema. Es ist in der Tat so, dass auch wir Absagen bekommen, weil es uns noch nicht gelungen ist, da einen guten Dialog zu finden. Aber auch daran arbeiten wir. Wir hatten jetzt in diesem Jahr, hatten wir einen ostdeutschen Ministerpräsidenten und einen ostdeutschen Bürgermeister aus Rostock, der auch noch ein Däne ist. Und wir haben eine Sendung komplett in Ostdeutschland gemacht mit ostdeutschem Publikum. Also, wir reagieren schon auf diese Vorhalte, weil ich auch glaube, dass wir versuchen müssen, in unseren Sendungen abzubilden, woraus … aus welchen Elementen, aus welchen Menschen diese Gesellschaft besteht. Es ist nicht immer ganz leicht. Ja, Frauen sagen zum Beispiel häufiger ab. Gerade in der Corona-Krise haben sie auch mit Hinweis auf: ‘Wir sind zu Hause. Wir machen Home Office und wir haben Homeschooling’, abgesagt. Ich bin aber nicht bereit, das insofern transparent zu machen, dass ich daraus dann einen Pranger mache. Denn darauf würde es hinauslaufen. Ich kann nicht sagen, wer bei uns absagt. Das finde ich, gehört sich nicht, denn ich habe über die Gründe nicht zu urteilen. Aber ich kann feststellen: Ja, es gibt Absagen, die dann am Ende dazu führen, dass wir einen höheren Anteil an Männern haben. Aber es liegt auch natürlich daran: Es gibt einen höheren Anteil an männlichen Ministerpräsidenten. Es gibt einen höheren Anteil an männlichen Politikern, einen höheren Anteil an männlichen Experten, Wissenschaftlern. Das ist einfach so erst einmal in Führungsfunktionen. Und da … das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, daran etwas zu ändern. Aber ich kann nur sagen … also wir nehmen die Kritik ernst und wir bemühen uns. Es gelingt halt nicht immer so, wie man es sich wünscht.

[9:19] Jörg Wagner: Vielleicht dazu passend auch eine vorletzte Frage, die in der Beantwortung auch ziemlich emotional aufgeladene Diskussionen auslöst. Wie halten Sie es nach der Sommerpause mit geschlechtergerechten Formulierungen? Also verwenden Sie lieber beide Begriffe, so wie ich? Oder Sternchen mitsprechen wie andere? Oder vermeiden Sie das Nennen der Geschlechter und sprechen lieber von ‘Studierenden’ oder ‘Gästen’?

[9:42] Sandra Maischberger: Ich bin tatsächlich eher in der Vermeidung, weil ich finde, dass es im Gesprochenen unfassbar stelzig klingen kann und damit auch unverständlich. Und ich möchte gerne verständlich sein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir hatten jetzt auf unserem Panel, hatten wir eine Journalistin und zwei Journalisten. Da wäre jetzt richtig gewesen zu sagen: die Journalist*innen. Ich finds seltsam, also habe ich lieber gesagt: ‘Anja Kohl und ihre Kollegen Jan Fleischhauer und Herr Steffens. Und eben ihre Kollegen. Und deswegen glaube ich, man kann damit kreativ umgehen und trotzdem eine Geschlechtergerechtigkeit haben. Die Sternchen oder die großen Is mache ich schriftlich, mündlich fällt es mir schwer, ich gebs zu.

[10:29] Jörg Wagner: Und jetzt die letzte Frage. Das war am Mittwoch die letzte Sendung vor der Sommerpause. Hätten Sie in diesen Zeiten lieber öfter getalkt?

[10:39] Sandra Maischberger: Na wir haben einen … wir machen 34 Sendungen im Jahr. Und der Sendeplan entstand als nächste Woche eigentlich Fußballeuropameisterschaft stand und danach die Olympischen Spiele. Danach ist der Sendeplan entstanden. Ich hätte jetzt natürlich gerne weiter gesendet, aber ich kann auch nicht dem Sender mehr Sendungen aus dem Kreuz leiern, als wir ohnehin machen. Das heißt, wir machen jetzt eine Sommerpause. Die beginnt jetzt. Die anderen Kollegen sind noch im Juni auf Sendung. Wir kommen dafür dann wieder ganz früh wieder: Ende Juli, Anfang August. Und ich glaube, das kriegt man hin. Aber ja, ich hätte gerne ein Stückchen weiter gesendet. Aber ich glaube, ehrlich gesagt ab August, es wird noch ganz viele Themen dann auch noch geben, die wir behandeln müssen.

[11:17] Jörg Wagner: … und hoffentlich mit guter Kommunikation drumherum, das wünsche ich Ihnen auf jeden Fall, Sandra Maischberger …

Sandra Maischberger: Da müssen wir definitiv besser werden! Da haben Sie recht.

Jörg Wagner: … vielen Dank, dass Sie mir für dieses Gespräch ziemlich kurzfristig zur Verfügung gestanden haben. Dann toi, toi, toi für die nächsten Wochen der … ja ich sag mal, die sind ja auch eher geprägt dann von Themenfindung und Analyse und vielleicht Verbesserungen am Format – aber dass Sie gut gestärkt aus der Sommerpause wieder zurückkehren. Dankeschön.

[11:43] Sandra Maischberger: Einen schönen Sommer allerseits.








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