Zum Inhalt springen

Letzte IS-Hochburg Baghus befreit Fahrt durchs Inferno

Nur für kurze Zeit dürfen sich Journalisten in Baghus aufhalten, der letzten Bastion des IS. Der Ort gilt als befreit, sicher ist er nicht. Die überlebenden Terroristen haben sich in Höhlen verschanzt.
Stellungen der Terrormiliz "Islamischer Staat" brennen in der Nähe der Stadt Baghus

Stellungen der Terrormiliz "Islamischer Staat" brennen in der Nähe der Stadt Baghus

Foto: Maya Alleruzzo/ DPA

Eigentlich sollte der Konvoi der Journalisten am Samstagmorgen zum feierlichen Hissen der Siegesflagge eskortiert werden. Die ganze Nacht über waren in Baghus noch Schüsse und Einschläge zu hören gewesen, zuckten die Lichtstreifen der schweren Maschinengewehre durch die Vollmondnacht. Diese letzte, nun seit Monaten umkämpfte Enklave des "Islamischen Staates" würde bis zum Morgen erobert sein, hieß es.

Eigentlich.

Doch auf dem Weg zu einem der wenigen noch stehenden dreistöckigen Gebäude inmitten des Schlachtfelds sind immer wieder Schüsse zu hören. Freudenfeuer, denken die meisten Kollegen der Agenturen und großen Fernsehsender zuerst. Doch der hohe Ton einzelner Schüsse aus Präzisionsgewehren, die dumpfen Einschläge von Artilleriegranaten sind kein Freudenfeuer. Auch die entspannten Mienen der kurdischen Presseoffiziere, die jeden Schritt kontrollieren, werden angespannter.

Die Reihe der anderthalb Dutzend Kleinbusse und Autos kommt zum Stehen. Im Osten ragt der schroffe Felszug über dem Euphrat auf, in dessen Inneres sich die letzten Kämpfer des IS zurückgezogen haben. Und von wo sie offenbar heftiger Widerstand leisten als erwartet. Staubwolken steigen aus den Hängen auf, auf einem Dach vor dem Konvoi liegen mehrere Scharfschützen.

"Zurück, zurück in die Autos, umkehren!" Befehle werden gebrüllt, Kameraleute zurückgescheucht, zurück geht es durch die Trümmerwüste der letzten Bastion des "Kalifats", auf anderen Pfaden zur Position der Fahnenhissung. "Die Siegesfeier muss heute stattfinden", erklärt einer der Offiziere am Rande, "Trump hat das Ende des IS vorgestern schon verkündet, wir können nicht länger warten". Nur mangels eines vollständigen Sieges muss die Anfahrt zur improvisierten Siegesfeier über Umwege stattfinden.

Es ist eine Fahrt durchs Inferno: Nach Baghus waren Zehntausende gekommen aus Treue zum IS und aus Furcht vor der Rache der Sieger. Tausende Autos, Trucks, Kleinbusse hatten die Fläche zwischen dem Fluss und dem Ort in einen gigantischen Parkplatz verwandelt. In selbst gegrabenen Gruben, überdeckt mit Zeltplanen, hatten die Menschen hier in Regen und Winterkälte ausgeharrt. Stück um Stück, nachdem Frauen, Kinder, Alte, Verwundete, Verhungernde Baghus verlassen durften, war das Lager zerbombt, zerschossen, niedergebrannt worden.

Fotostrecke

Letzte IS-Bastion Baghus: Zerbombt, zerschossen, verbrannt

Foto: Stringer/ REUTERS

Die kurdischen Befehlshaber der "Syrischen Demokratischen Kräfte" wollten einen sauberen Krieg, ohne Massaker und vor allem ohne die Bilder von Toten. Mehr als zwei Monate lang wurden die Angriffe immer wieder für Tage eingestellt, um Menschen das Verlassen des umzingelten, am Ende weniger als einen Quadratkilometer umfassenden Gebietes zu erlauben. Nachdem das Lager erobert worden ist, verbieten die Verantwortlichen für zwei Tage jeden Zugang für Journalisten. Zu viele Leichen, sagen zurückkehrende Kämpfer, die müssten erst weggeräumt werden.

Fast keine Leichen sind zu sehen auf der ruckelnden Fahrt zwischen zerglühten, bizarr aufgerissenen Fahrzeugwracks, Ruinen und Erdlöchern, in denen noch zurückgelassene Kleidung, Kochgeschirr und Schulhefte von Kindern liegen. Nur der stechende Verwesungsgeruch aus frisch planierten Sandhaufen verrät deren Inhalt.

Etwa eine halbe Stunde dürfen die Journalisten bleiben, sollen sich nicht von der Straße wegbewegen. Das sei zu gefährlich. Tatsächlich hat der IS viele Gebäude und Wege vermint. Aber wie groß die Gefahr ist und wie groß das fortwährende Kontrollbedürfnis, bleibt unklar.

"Eile, Eile!", rufen die Presseaufseher, "einsteigen!". Die offizielle Siegesfeier mit geschmückter Tribüne auf dem zwei Fahrtstunden entfernten Stützpunkt im Omar-Ölfeld beginne bald, "wir haben keine Zeit zu verlieren!" Diesmal aus der Ferne geht es vorbei an dem immer noch umkämpften Hügel, aus dessen Hängen weiterhin Staubwolken von Einschlägen hochjagen und von dem niemand weiß, wie tief sich die IS-Kämpfer hier eingegraben haben. Und wie viele es noch sind.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.