Die grossen Gesten liegen ihr nicht

Karin Kneffel ist zwar eine der bedeutendsten Malerinnen Deutschlands, jeder pathetische Habitus ist ihr trotzdem fremd

Anke Brack
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Karin Kneffel in ihrem Düsseldorfer Atelier im November

Karin Kneffel in ihrem Düsseldorfer Atelier im November

Helge Mundt

«Wenn ich vor der weissen Leinwand stehe, bin ich genauso ratlos wie früher» klingt von einem Weltstar fast ein wenig wie Koketterie. Wer Karin Kneffel jedoch persönlich erlebt hat, glaubt es ihr sofort.

Ein unscheinbares Mehrfamilienhaus in einem Düsseldorfer Stadtteil. Die Künstlerin empfängt mit Kuchen auf einem mit Farbsprenkeln überzogenen Ledersofa. Herzlichkeit, Offenheit, Neugier und Pragmatismus – das sind die Begrifflichkeiten, die sie bei mir als Besucherin hinterlässt. Karin Kneffel empfängt selten Gäste in ihrem Atelier. Ganz einfach, weil sie ihre Arbeit als ganz normale Arbeit versteht. Andere Menschen gehen ins Büro, sie geht in ihr Atelier.

Die grossen Gesten liegen ihr nicht. Während viele Malerfürsten augenscheinlich um ihr Image ähnlich bemüht sind wie um ihre Werke, ist ihr jeder pathetische Habitus fremd. Ebenso verkopfte Interpretationen ihrer Kunst. Man soll sich mit ihren Werken beschäftigen, aber nicht in sie hineingezogen werden.

Karin Kneffel wurde im Ruhrgebiet geboren. Geprägt von der dortigen Nachkriegsarchitektur, begann sie notgedrungen, sich malerisch mit ihrer scheinbar uninteressanten Umgebung zu beschäftigen. «Schönmalen» nennt sie das, die Geschichte dieser Dinge malerisch zu entdecken. Jahre später, sie ist mittlerweile Meisterschülerin bei Gerhard Richter, landete sie über diesen Zugang wiederum bei ihren Sujets: Früchte und Tierköpfe aller Art. Die Werke, die damals bei vielen Kommilitonen zunächst ein Kopfschütteln erzeugten, werden heute für mehrere hunderttausend Franken auf Auktionen versteigert.

Dass die ersten Assoziationen auch heute noch häufig mit ihrem Frühwerk verbunden werden, stört sie nicht. Die Motivwahl der Werkblöcke dieser Zeit kann sie sehr einfach begründen. Es waren die damaligen Konventionen, die in ungeschriebenen Regeln und Malverboten bestanden. Früchte und Tierköpfe – so etwas malte man nicht, schon gar nicht in Aquarell. Dies lag schon darin begründet, dass die Malerei der achtziger Jahre eine Männerdomäne war. Deshalb hätten sich die meisten Künstlerinnen damals auch eher in andere Genres, wie die Videokunst oder die Fotografie, zurückgezogen.

Ein Werk aus der NZZ Kunstedition von Karin Kneffel: Ohne Titel (Jungs), Aquarell auf Siebdruck

Ein Werk aus der NZZ Kunstedition von Karin Kneffel: Ohne Titel (Jungs), Aquarell auf Siebdruck

Karin Kneffel dagegen ist sich immer treu geblieben. Wenn sie in einer Übersichtsschau, wie im vergangenen Jahr im Museum Frieder Burda in Baden-Baden, früheren Werken begegne, fühle sich dies für sie an wie bei einem Treffen mit einem alten Bekannten. Man braucht einen Moment, man mustert sich still, schaut, was die Jahre für Spuren hinterlassen haben, um dann doch rasch Freude an der Begegnung zu finden.

Seit 2013 stellt Larry Gagosian sie aus, der als einer der einflussreichsten Akteure des Kunstbetriebs und mächtigster Kunsthändler der Welt gilt. Privat hängen ihre Obstbilder ebenfalls bei ihm. Trotzdem konstatiert Kneffel bescheiden, dass sich für sie eigentlich nichts geändert habe. Von ihren eigenen Werken hatte sie schon früher kaum welche. Die sind immer gleich weg. Deshalb seien ihre Sammler auch als Leihgeber besonders wichtig für sie. Gegen das Image, dass sie bei einer Jahresproduktion von zirka zwanzig Leinwandarbeiten langsam male, wehrt sich die Künstlerin hingegen. Ihrer festen Überzeugung nach wären die allermeisten abstrakt malenden Kollegen deutlich langsamer, wenn sie es einmal mit ihrer Technik versuchten.

Die künstlerische Anerkennung schätzt sie, der gestiegene Marktwert erleichtert einiges, aber die Herausforderungen als Künstlerin bleiben.

Diese teile sie mit ihren Studenten an der Münchner Kunsthochschule, wo sie seit 2016 eine Professur innehat. «Eure Aufgabe ist, dass ihr keine Aufgabe habt», ruft sie ihren Studenten dort zu. «Kommt einfach jeden Tag ins Atelier, und bleibt von neun bis fünf Uhr.» Diesen Ratschlag hatte schon sie in ihrer Zeit als Meisterschülerin von ihrem berühmten Lehrer erhalten.

Ein Zugeständnis macht sie aber gut drei Jahrzehnte nach dem Verlassen der Düsseldorfer Kunsthochschule dennoch: Wenn sie gemeinsam mit ihren Studenten über Kunst nachdenkt, steht sie mit der grösseren Erfahrung an einem anderen Punkt. Und lächelnd fügt sie an: «Die Bilder, von denen ich weiss, dass ich sie gut finde, die male ich dann selbst, und sie müssen ihre eigenen Bilder finden.»

Ihre Aufgabe als Professorin ist ihr wichtig, nicht die mit dem Titel verbundenen Schmeicheleien. Der Dialog über Kunst, das ist ein Beitrag, den sie leisten möchte und kann. Die Akademie ist für sie ein Ort der Zwiesprache und der Diskussion. «Wir denken gemeinsam über Kunst nach.» Während andere berühmte Lehrer von ihren Schülern erwarten, so zu malen wie sie selbst, liegt ihr jegliche Beeinflussung fern. Auch das ist vielleicht ein Grund, warum ihre Studenten sie besonders schätzen.

Wenn in diesen Tagen gerade ihre grosse Ausstellung in Istanbul eröffnet worden ist, ist ihr Atelier fast leer. Abermals beginnt eine sensitive Phase für die Künstlerin, denn ein neuer Werkblock nimmt seinen Anfang. Ruhe, Konzentration und die Vermeidung von Ablenkungen sind ihr nun wichtig. Kaum je zuvor wird dies so gut funktioniert haben wie in diesem Jahr.

Erleben Sie Karin Kneffel im Künstlergespräch über ihr Schaffen und ihr Werk mit ihren Meisterschülern Anna Krammig und Felix Rehfeld, ihrerseits selbst anerkannte Künstler. Das Gespräch findet digital am Freitag, den 4. Dezember, um 18 Uhr statt.
Anmeldung und weitere Informationen finden Sie hier

Karin Kneffel hat für die NZZ eine exklusive Kunstedition geschaffen.
Die Werkreihe finden Sie hier