31.05.2022, 9:58

Felbermayr: "Keine Stagflation wie in den 1970er Jahren"

Eine Stagflation nach dem Muster der 1970er Jahre sei nicht zu erwarten, sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr beim Finanzplanerforum. Es gebe jedoch zahlreiche andere Herausforderungen, etwa drohende Wohlstandsverluste.

© Stephan Huger/Fotostudio HUGER

Gabriel Felbermayr, Wifo: "Wir haben ein 90 Prozent höheres Realeinkommen durch internationalen Handel. Österreich gehört zu den Ländern, die am stärksten von einem Zusammenbruch des internationalen Handels geschädigt wären."

Eine hohe Inflation bei gleichzeitig verhaltenem Wirtschaftswachstum lässt Ökonomen seit Monaten mitunter lautstark vor einer Wiederholung der Stagflationsszenarien der 1970er Jahre warnen. Geht es nach Gabriel Felbermayr, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes Wifo, sind die Bedingungen dafür jedoch nicht gegeben. Denn anders als damals sind die Arbeitsmärkte heute stabil. Dieser Faktor sei wesentlich: Nichts führe stärker zu Konsumrückgängen als drohende Arbeitslosigkeit. "Wir haben keine Rückkehr zur Massenarbeitslosigkeit. Es kommen nur zwei Arbeitslose auf eine offene Stelle, das hat es schon lange nicht mehr gegeben. Ein Replay der Stagflationsszenarien wird es nicht geben", sagte Felbermayr am Montag auf dem Finanzplanerforum in Wien.

Gleichwohl drückt die Inflation auf den Konsum. "Brutto sind die Reallöhne in Österreich so stark gesunken, wie noch nie seit wir Aufzeichnungen haben. Das macht uns Sorgen", so Felbermayr. Dass netto die Lücke nicht ebenfalls historisch ist, liegt an der Steuerreform: Der Nettoreallohnverlust lag bei 1,8 Prozent – ohne die Steuerreform wären es drei Prozent gewesen.

Ohne Produktivitätswachstum drohen Wohlstandsverluste
Felbermayr warnte davor, dass die sich überlappenden Krisen zu einem Wohlstandsverlust führen. Gemeint sind die Verschiebungen im globalen Gefüge, ausgelöst durch Corona-Pandemie, Klimawandel, demografischen Wandel oder Veränderungen der politischen und wirtschaftlichen Weltordnung (mit dem Ukraine-Krieg als eine Auswirkung).

"Wenn wir über diese Krisen reden, sollten wir darüber nachdenken, wie wir ein Produktivitätswachstum hinkriegen, also wie wir mit weniger Ressourcen breiten Wohlstand sicherstellen können. Über dieses Thema redet überhaupt keiner. Dabei wird das ausschlaggebend sein", sagte Felbermayr. Herbeiführen könne man Produktivitätswachstum nur durch Innovation. Es müsse in Digitalisierung, Automatisierung und vor allem in das Humankapital investiert werden. Der Faktor Mensch werde in Österreich zu wenig beachtet. "Aber es ist eine Tatsache, dass aus dem menschlichen Wissen unser Wohlstand entsteht", so Felbermayr.

Abgehängt von anderen Märkten
Die Stundenproduktivität in Österreich wachse zwar, aber nicht so stark wie anderswo. Österreich werde zunehmend von innovativeren Ländern wie Dänemark abgehängt. Auch anhand eines weiteren Parameters sei erkennbar, dass andere deutlich effizienter wirtschaften: So holen zum Beispiel die Dänen pro Tonne CO2-Emission 3.000 Dollar mehr Wirtschaftsleistung heraus als die Österreicher. Um den Anschluss an andere Wirtschaftsräume nicht zu verlieren, brauche es eine Investitionsoffensive.

Gerade Österreich müsse wegen des weltweiten Rückgangs der Globalisierung über Produktivitätswachstum nachdenken. "Wir haben ein 90 Prozent höheres Realeinkommen durch internationalen Handel. Österreich gehört zu den Ländern, die am stärksten von einem Zusammenbruch des internationalen Handels geschädigt wären", so Felbermayr. Die Globalisierungsdynamik habe bereits vor der Lehman-Pleite einen Knacks bekommen. "Seitdem geht es seitwärts", sagte Felbermayr. Es handle sich um einen langfristigen Trend, der sich in etlichen Symptomen bemerkbar mache: Wertschöpfungsketten würden kürzer, der Welthandel wachse nicht mehr schneller als die globale Industrieproduktion. Es gebe eine rasante Zunahme von globalem Protektionismus, die Anzahl von Liberalisierungen gehe dagegen stark zurück. (eml)

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