ARD-Serie "Legal Affairs":Boulevard der Streitigkeiten

ARD-Serie "Legal Affairs": "Wir kriegen das hin": Lavinia Wilson als Berliner Medienanwältin Leo Roth.

"Wir kriegen das hin": Lavinia Wilson als Berliner Medienanwältin Leo Roth.

(Foto: ARD Degeto/RBB/Kerstin Jacobsen)

Fast zu gut, um im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wahr zu sein: Lavinia Wilson als Berliner Medienanwältin in der Serie "Legal Affairs".

Von Christine Dössel

Hallo, wach? Diese Serie ist nichts für Müde, die lässt sich nicht gemütlich weggucken. Legal Affairs legt ein Irrsinnstempo hin. Schnelle Wechsel. Bildunschärfen. Handkamera-Einsatz. Handy-Nachrichten werden eingeblendet, Schlagzeilen, Tweets. Es herrscht der Chat-Flow unserer babbelnden Social-Media-Welt, der Tanz auf dem "Boulevard", den der lakonisch-coole Titelsong beschwört. Der Zuschauer muss auf dem Quivive sein wie bei Sherlock, sonst kapiert er nur die Hälfte. Was schade wäre bei diesen smarten Geschichten und Verstrickungen aus der Berliner Medienrepublik, in Hochglanzturboregie und exquisiten Bildern gefilmt von Randa Chahoud und Stefan Bühling (Kamera: Julian Hohndorf, Jan Prahl).

Ein Nachtbus ist verunglückt, die Fahrerin soll schuld sein. Erweiterter Suizid? "Psycho-Mutter reißt 16 Menschen in den Tod", gellt es in den Breaking News. Ein Fall für Staranwältin Leo Roth, die dafür die Filmpremiere sausen lässt, bei der sie gerade als VIP über den roten Teppich stöckelt und schnell noch einen Anwaltsbrief ins Handy diktiert. Zeit ist Geld, und Roth die Effizienz in Person. Kann man ja auch erwarten bei einem Stundensatz von 500 Euro. Als Medienanwältin vertritt sie mit ihrer Nobelkanzlei die Reichen und Prominenten. Trickst einen Serienhauptdarsteller aus seinem TV-Vertrag raus, damit er mit Quentin Tarantino drehen kann. Wird aktiv, wenn im Netz ein Fake-Video kursiert, das den Sohn eines Promiregisseurs beim Oralsex zeigt. Solche Sachen.

Manchmal arbeitet Roth aber auch pro bono, für umme. Aber nur, wenn es der eigenen Reputation und der bestmöglichen Story dient. Zum Beispiel im Fall des #Todesbusses, wo sie nicht etwa das Busunternehmen, sondern die mittellose spanische Familie der verunglückten Fahrerin vertritt. Um gegen deren mediale Vorverurteilung anzugehen, boostert sie erst mal das Image der Toten: arme, ausgebeutete Prekärangestellte ohne Ruhepausen. Und macht, was sie in den acht Folgen noch oft machen wird: einen Deal mit der Boulevardpresse oder wahlweise auch mit Staatsanwalt Thilo Hinrichs (Sebastian Hülk), mit dem sie mal liiert war, worüber sie längst nicht hinweg ist. Um ihre Interessen durchzusetzen, betreibt die Anwältin schon mal Insiderwissenshandel oder das, was man Erpressung nennt. Sehr effektiv auch ihre Drohungen mit Schadenersatzklagen in Millionenhöhe.

Was für ein Kaliber von Frau! So kalt hat zuletzt Frank Underwood gelächelt

Leo Roth hat das alles so kalt lächelnd drauf wie Frank Underwood seine Intrigen in House of Cards. Auch ihr Macht- und Selbstbewusstsein ist aus demselben Unterholz geschnitzt. Und wie die stets in Unschuldsweiß gekleidete Lavinia Wilson das in aller Eleganz spielt, hat internationale Klasse. Der Hallo-hier-komm-ich-Drall, mit dem sie ihre Tasche auf den Tisch schwingt, ist eine Ansage. Dazu die Machohaftigkeit ihres Chefinnenauftretens. Ihre Troubleshooter-Sprüche: "Wir kriegen das hin", "Ich hab schon ganz andere Sachen weggebügelt". Was für ein Kaliber von Frau! Fast zu gut, um im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wahr zu sein.

Das Vorbild ist amerikanisch, was auch schon der Titel zeigt: Legal Affairs - statt gut deutsch "Rechtsangelegenheiten". US-Anwaltsserien wie Suits, The Good Wife, Boston Legal oder Scandal geben die Struktur und den Look vor, Berlin hält sein funkelndstes Metropolengesicht hin, und als Pate und Spiritus Rector von det Janzem fungiert Christian Schertz, einer der bekanntesten Medienanwälte Deutschlands. Er hat Jan Böhmermann gegen Erdoğan vertreten, Claudia Roth gegen die AfD und jüngst auch eine der betroffenen Frauen im Compliance-Verfahren gegen den geschassten Bild-Chef Julian Reichelt.

Von der Kuscheligkeit deutscher Anwaltsserien trennen "Legal Affairs" Fallhöhen und Abgründe

Schertz, der in Folge vier einen kleinen Auftritt hat ("Scheiß aufs Geld!"), liefert den Input für die einzelnen Fälle. Fake News, Deep Fakes, Hass und Hetze im Netz, rufmörderischer Sensationsjournalismus, Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Quellenschutz, Rassismus, Rechtsradikalismus - all das sind Themen, die das Autorenteam um Lena Kammermeier und Felice Götze in prägnante, wie frisch aus dem Netz gefischte Geschichten packt. Ein bisschen störend ist nur, dass jeder Fall in jeder Folge abgeschlossen wird und zu den Akten kann.

Da geht es zum Beispiel um einen Profifußballer, dessen Gesundheitsdaten über die Auswertung seiner Smartwatch ins Internet gelangen. In der Presse gleich ein Riesending. (Folge zwei). Oder um ein Satirikerkollektiv mit dem Namen "Institut für rosige Zeiten" (leicht zu verwechseln mit dem "Zentrum für politische Schönheit"), das mit dem Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft ein satirisches Kannibalenvideo dreht. Welches dann aber leider von einem Nazi-Mob ernst genommen wird (Folge drei). Oder um einen Mega-Shitstorm, den eine unbedarfte Lisa aus Brandenburg durch ein Foto auslöst, das sie fröhlich posierend mit zwei einheimischen Jungs auf Sansibar zeigt. Sie postet es mit den Worten: "Toller Urlaub. Nette Menschen. Hoffentlich krieg ich jetzt kein Aids. Smiley." Dann setzt sie sich ins Flugzeug. Als sie in Berlin landet, ist ihr Leben erst mal ruiniert (Folge sechs).

ARD-Serie "Legal Affairs": Deal? Manchmal paktiert Leo Roth (Lavinia Wilson) mit dem windigen Boulevardjournalisten Götz Althaus (Stefan Kurt) oder droht ihm mit Schadenersatzklagen in exorbitanter Höhe.

Deal? Manchmal paktiert Leo Roth (Lavinia Wilson) mit dem windigen Boulevardjournalisten Götz Althaus (Stefan Kurt) oder droht ihm mit Schadenersatzklagen in exorbitanter Höhe.

(Foto: ARD Degeto/RBB/Kerstin Jacobsen)

Von der Kuscheligkeit gängiger deutscher Anwaltsserien wie Die Heiland oder Die Kanzlei mit ihrer Wohlfühlgarantie trennen Legal Affairs juristische Fallhöhen und menschliche Abgründe. In Roths Kanzlei ist der Ton rau und die Konkurrenz groß. Die Besprechungen gleichen Redaktionskonferenzen. Zum engeren Team gehören die schwangere Topanwältin Elena Caspari (Maryam Zaree) und der schon durch seinen Namen Eindruck schindende Cecil Graf von Carlsburg (Niels Bormann), dazu der scheue Neuling Adrian (Aaron Altaras), der es "nicht verkacken" will, und die detektivische Mimi (Michaela Caspar), die für die Kanzlei ermittelt. Als Konkurrenzanwältin bringt Sophie Rois Knatterkomik ins Spiel.

Auf der Seite der Presse vertritt Götz Althaus vom Boulevardblatt Der Tag den Typus skrupelloser Schmierenjournalist (Stefan Kurt genießt die Rolle sichtlich) und der junge Jonas Lindberg (Jacob Matschenz) seinen Gegenpart: den unbestechlichen Investigativreporter - beides Stereotype. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass es beide Modelle auch in Echtausführung gibt. In Folge fünf spielt Jenny Schily eine preisgekrönte Kriegsreporterin, die trotz Terrorwarnung ihre Quelle nicht preisgibt. Es ist eine der besten und traurigsten Episoden.

Nicht alle Folgen sind gleich gut, die Serie braucht ein bisschen Anlauf, um aus dem hechelnden Sprint in einen Erzählfluss zu kommen und auch die private Leo Roth mit ihrem Kindheitstrauma, ihrer MS-kranken Schwester (Annika Kuhl) und ihrer Kugel im Kopf besser in den Blick zu nehmen. Sie hat oft seltsame Wachtraum-Flashs. Als roter Faden zieht sich der vermeintliche Suizid einer jungen Frau durch die Miniserie. Dass sie die Geliebte von Leos Schwager war, Innensenator Kai Fontaine (Rainer Sellien), führt in einen Sumpf aus Politik, Mord und Korruption. Am Ende wird es für Leo Roth selber juristisch eng. Der Cliffhanger für die nächste Staffel sei garantiert.

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