Ausstellung:Denken im Lichte der Öffentlichkeit

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Der unbedingte Drang, verstehen zu wollen: Hannah Arendt, fotografiert 1944. (Foto: Fred Stein/Fred Stein Archive, Stanfordville, New York)

Eine sehenswerte Ausstellung zu Hannah Arendt im Literaturhaus München stellt nicht die Philosophin in den Vordergrund, sondern ihre Rolle als streitbare Intellektuelle.

Von Antje Weber, München

Über Hannah Arendt ist wahrlich viel gesagt und geschrieben worden. Wer dennoch nicht mehr über sie weiß, als dass sie eine bedeutende Denkerin und Raucherin war, der sollte sich eine Stunde Zeit nehmen und auf Youtube das Interview ansehen, das sie 1964 mit Günter Gaus führte. Es ist in seiner Unbedingtheit, Härte und auch Zartheit schlichtweg umwerfend.

Wer Arendt danach noch besser verstehen möchte - und das Verstehenwollen war ihr existenziell wichtig -, der kann mindestens eine weitere Stunde lohnend im Literaturhaus verbringen. Dort ist von heute an die Ausstellung "Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert" zu sehen, eine leicht veränderte Übernahme aus dem Deutschen Historischen Museum Berlin. Auch hier wird man dem Interview mit Gaus immer wieder begegnen - alle Themen, die in Arendts Leben und Denken wichtig waren, kommen ja darin vor.

Dazu gehört der Satz "Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen." Auf diesen Satz, in großen Lettern gedruckt, fällt der Blick zu Beginn des Rundgangs als erstes. Darunter steht ein misstönendes Zitat von Martin Heidegger von 1933; er war, in aller Ambivalenz, ihr Professor, ihr Liebhaber. Gleich daneben erfährt man von der schwierigen Publikationsgeschichte ihres Buches über die Salondame Rahel Varnhagen, bei dem noch nach dem Krieg ein deutscher Lektor wagte, das Wort "Jüdin" aus dem Untertitel zu streichen. In wenigen Dokumenten und Zitaten wird hier sofort die ganze Dimension des bis heute anhaltenden Antisemitismus in Deutschland deutlich.

Mit einer stimmigen Mischung aus gut ausgewählten Exponaten, Filmsequenzen und Hör-Nischen stößt die Ausstellung auch bei weiteren Themen direkt zum Kern vor, erlaubt den raschen Überblick wie auch die Vertiefung. Klug erscheint dabei der Ansatz von Kuratorin Monika Boll, nicht die Philosophin in den Vordergrund zu stellen, sondern Arendts Rolle als öffentliche Intellektuelle, die sich stets spürbar "als Person" exponieren wollte und für ihre Urteile, ihr "Denken ohne Geländer" immer wieder Widerspruch erntete.

Hannah Arendt nahm zu Themen Stellung, die bis heute aktuell sind

Sie nahm dabei zu Themen Stellung, die heute noch aktuell sind. Was zum Beispiel bedeutet es, ein Flüchtling zu sein? Arendt, die vor den Nazis nach Frankreich und in die USA fliehen musste, erlebte es am eigenen Leib - und der Vermerk "stateless" (staatenlos) auf einem Pass-Ersatz macht es grausam klar. Der "eigentliche Schock" ihres Lebens jedoch war ein anderer. Als sie 1943 von Auschwitz, vom Ausmaß der Judenvernichtung erfuhr, tat sich ein Abgrund auf: "Dies hätte nie geschehen dürfen", sagt sie im Gaus-Interview, da sei etwas "passiert, womit wir alle nicht fertig werden". Die Bedeutung dieses Zivilisationsbruchs für ihr Leben und Denken ist in der Ausstellung unübersehbar: Über allen Exponaten hängend, inmitten des Raumes, läuft auf mehreren Bildschirmen das Video eines Auschwitz-Modells des polnischen Künstlers Mieczyslaw Stobierski.

Natürlich fehlt im Literaturhaus auch nicht Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess - ihn in der Zeitschrift The New Yorker in viel Luxuswerbung eingebettet zu sehen, macht den Protest vieler Leser einmal anders erklärlich. Dass Arendt die Rolle des SS-Manns, mitverantwortlich für die Deportation und Ermordung von Millionen Juden, trotz ihres berühmten Begriffs der "Banalität des Bösen" nicht verharmlosen wollte, thematisiert die Ausstellung ebenso wie Arendts Haltung etwa zu den deutschen Studentenprotesten, Daniel Cohn-Bendit inklusive. Und auch ein paar Blicke aufs Private lassen sich erhaschen, nicht nur anhand ihrer abgewetzten Aktentasche, eines Pelzcapes oder einer Lieblingsbrosche. Arendt liebte es auch, mit einer in München gekauften Minox-Kamera ihre Freunde zu fotografieren, von Heidegger bis Karl Jaspers.

Sie scheint, wie Hans Jonas einmal sagte, überhaupt ein "Genie für die Freundschaft" besessen zu haben, bezog sich in Leben und Werk stets auf die Existenz anderer; empfohlen sei dazu der Essay Wolfram Eilenbergers im Begleitband. Und es lohnt sich, jetzt noch einmal das Ende des Gaus-Interviews anzuhören. "Wir fangen etwas an, wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie", sagt Arendt da. Und mit einem schmalen, unvergesslichen Lächeln fügt sie hinzu, dieses Wagnis sei nur möglich "im Vertrauen auf die Menschen". Einem, ja, "grundsätzlichen Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen".

"Das Wagnis der Öffentlichkeit. Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert", Literaturhaus, Salvatorplatz 1, täglich 11-18 Uhr, www.literaturhaus-muenchen.de

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