Wie bitte? Was hat er gerade gesagt? Olaf Scholz spricht gerne leise, selbst wenn er vor einer lärmenden Zementfabrik steht oder auf einem belebten Hochschulcampus. Begleitet man den Kanzlerkandidaten der SPD einen Tag im Wahlkampf, sieht man ständig Menschen, die ein Ohr regelrecht zu ihm hindrehen, die die Augen zusammenkneifen und die Luft anhalten. Was man halt so macht, wenn jemand akustisch nur schwer zu verstehen ist – man aber hören will, was er zu sagen hat.

Scholz tourt an diesem Tag durch Brandenburg. Er trifft Firmengründer, Rettungssanitäter, Werksleiter und Azubis. Mal geht es um Genforschung, mal um Lebensmittelkontrollen, um die Tücken der Digitalisierung oder um den Wandel der Schwerindustrie. Meist hört Scholz mehr zu, als dass er selbst viel sagt.

Etwa im Rüdersdorfer Zementwerk, östlich von Berlin. Der Ingenieur hat einige Schaubilder vorbereitet, die erklären sollen, wie Zement hier künftig klimaneutral produziert werden kann. Es ist ein bisschen Sendung mit der Maus, ein bisschen Chemieunterricht. Sehr ausführlich, nicht ganz leicht zu verstehen. Neben Scholz steht der örtliche Landrat, ebenfalls SPD. Ihm ist anzumerken, dass er schon nach wenigen Sätzen gedanklich woanders ist. Er schneidet Grimassen, löffelt Suppe, tigert ein bisschen herum. Auch viele der anwesenden Journalisten sind längst ausgestiegen.

Der Einzige, dem man noch abnimmt, dass er konzentriert zuhört, ist Scholz. Er steht regungslos da und folgt geduldig den Ausführungen zur Dekarbonisierung. Ab und zu zwinkert er. Mal deutet er ein Lächeln an, mal ein Nicken. Danach stellt er ein oder zwei Fragen, auch während der anderen Termine hält er sich eher zurück. Auf Co-Referate verzichtet er meist. Hinterher danken ihm die Leute für sein Interesse. Es klingt aufrichtig.

41 Prozent würden Scholz wählen, Laschet 16

Kein Wunder, dass vielen, denen Scholz an diesem Tag begegnet, als Erstes ein Attribut einfällt, um ihn zu beschreiben. "Ruhig." Und sie alle meinen das anerkennend.

Dieser ruhige Mann ist also derzeit so etwas wie der Shootingstar der deutschen Politik, obwohl er schon so lange dabei ist. Am Tag seiner Brandenburg-Reise erscheint der neue Deutschlandtrend. Und diese Umfrage bestätigt noch einmal nachdrücklich die Tendenz der letzten Tage und Wochen. Scholz ist inzwischen fast dreimal so beliebt wie seine Rivalen von CDU und Grünen, Armin Laschet und Annalena Baerbock. Ihn würden 41 Prozent der Deutschen direkt zum Kanzler wählen, Laschet bloß 16, Baerbock zwölf. Stünden am 26. September Personen und keine Parteien zur Wahl, Scholz läge nahezu uneinholbar vorn.

So aber sind Union und SPD nun dicht beieinander, mit einigem Abstand vor den Grünen. Die SPD, die lange irgendwo zwischen 14 und 16 Prozent herumdümpelte, hat zugelegt. Plötzlich scheint denkbar, was Scholz und die SPD-Strategen seit Monaten behaupten, wofür sie lange Zeit aber nur belächelt wurden: Scholz hat tatsächlich eine realistische Chance aufs Kanzleramt.

Was begründet den Hype eigentlich?

Inzwischen ist nicht mal undenkbar, dass die SPD stärkste Kraft wird: 20 Prozent und ein paar Zerquetschte könnten diesmal reichen, so wenig wie noch nie. Das ist eine Region, die die SPD schon länger kennt. Für die Union wäre es ein Fiasko. Ebenfalls an diesem Donnerstag äußert sich CSU-Chef Markus Söder alarmiert über die miesen Umfragewerte. Im Scholz-Lager wird diese Selbstanklage aus dem fernen München freudig registriert. Aber man hütet sich davor, sie öffentlich zu kommentieren. Der Scholz-Hype soll bloß nicht durch unbedachte Äußerungen gestoppt werden.

Aber was begründet diesen Hype eigentlich? Die Inhalte, die Scholz in diesem Wahlkampf setzt, sind es nicht unbedingt. Sein zentraler Begriff lautet "Respekt". Das ist, nun ja, respektabel und bestimmt nicht unklug gewählt, weil sich darunter viele Forderungen der SPD subsumieren lassen. Aber es ist beileibe kein Gassenhauer. Nichts, was die Jusos nachts an Brücken sprühen oder worüber das Feuilleton aufgeregt diskutiert. Auch sind Scholz' Wahlkampfreden alles andere als Feuerwerke, eher nachdenkliche Vorträge, mit ironischen Einsprengseln und viel Detailexpertise.