Plötzlich pleite? Der Fußball zwischen Crypto und Innovator’s Dilemma.

Plötzlich pleite? Der Fußball zwischen Crypto und Innovator’s Dilemma.

Diese Woche bin ich gleich zwei Berichten in deutschen Medien begegnet, die sich am Themenfeld Crypto/NFTs/Tokens im Fußball abgearbeitet haben. Zeit für eine Replik.

Worum geht’s? Zum einen wäre da eine dpa-Story ungenannten Autors, die es u.a. in die Süddeutsche Zeitung schaffte, zum anderen Dominik Sliškovićs Artikel auf T-Online. Beide Beiträge sparen nicht mit Kritik, sind dabei jedoch einseitig bis tendenziös. Dominiks Beitrag ist immerhin in Ansätzen differenziert - anders als der dpa-Artikel, der sich so liest wie Berichte über das Internet anno 1999: “alles Kriminelle, keine Substanz dahinter, lieber die Finger davon lassen”.

Dass es das Internet aus der, von manchen Medienvertretern jener Zeit gerne herbeigeschriebenen, Schmuddelecke in die Mitte der Gesellschaft geschafft hat, kann auch der technologieaverseste Beobachter inzwischen nicht mehr leugnen. Natürlich gab es in der frühen Internetcommunity schwarze Schafe - aber eben auch viele Macher*innen, die mit besten Absichten tolle Services entwickelt haben, die heute kaum einer von uns mehr missen will. Genauso sieht es derzit in der Welt des sogenannten web3 aus. Dessen Protagonisten arbeiten an einem wieder stärker dezentralisiertem Internet, das u.a. Blockchain-Technologie nutzt, um Internetnutzern mehr Kontrolle über ihre Daten und Werte zurückzugeben und Plattformen zu bauen, die allen Anspruchsgruppen Rechnung tragen, nicht nur den Investoren.

Entgegen des Eindrucks, der beim Leser der genannten Beiträge entstehen kann, handelt es sich also mitnichten um eine Welt, in der sich bloß Spekulanten, Kriminelle und unkoschere Geschäftemacher tummeln. Und auch dort, wo Sport und web3 aufeinandertreffen, geht es nicht nur um den schnellen Reibach. Dies mag auf Teile der Szene und ihrer Protagonisten zutreffen, aber gewiss nicht auf alle. Zeit also, etwas genauer hinzusehen.

Doch vorab noch kurz mein full disclosure: Als einer der Gründer und Geschäftsführer von Liquiditeam bin ich in dieser Debatte kein Unparteiischer. Unsere Lösung LT Fan Platform ermöglicht Personen und Organisationen mit Fans, eigene Community-Plattformen abseits der Social-Media-Konzerne aufzubauen. Dazu nutzt unsere Software u.a. auch die Mechanismen des web3, zum Beispiel NFTs und Tokens. Mit diesen können unsere Kunden, zu denen u.a. auch Bundesligist Borussia Dortmund zählt, ihren Fans neue digitale Erlebnisse ermöglichen - und ja, auch Geld verdienen. Kurzum: ich bin befangen.

Nichts desto weniger - oder auch gerade deshalb - will ich ein paar Perspektiven in die aktuelle Debatte einbringen, welche in den erwähnten Artikeln schlicht außer Acht gelassen wurden.

Tokens und NFTs sind Werkzeuge

Schon seit vielen Jahren ist mir ein Anliegen, Menschen zu vermitteln, dass blockchain-basierte Token - zu denen auch die zuletzt gehypten non-fungiblen Tokens, kurz NFTs zählen - zu unterschiedlichsten Zwecken genutzt werden können. So habe ich vor inzwischen mehr als vier Jahren z.B. das Token Classification Framework mitentwickelt, welches im Detail aufzeigt, wie unterschiedlich Tokens gestaltet und genutzt werden können.

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Einfach gesagt ist ein Token zunächst einmal ein knappes digitales Objekt (anders als z.B. eine Musikdatei, die ich beliebig oft kopieren kann), welches innerhalb eines peer-to-peer Netzwerks transferiert werden kann. Diese Eigenschaften kann ich bspw. dazu nutzen, eine Kryptowährung zu realisieren - aber eben nicht nur. Das Token kann z.B. auch die Mitgliedschaft in einem Netzwerk repräsentieren, als Ticket genutzt werden, oder ein Zugriffsrecht auf Daten oder Inhalte darstellen. Sprich, Tokens sind zunächst mal ein neues digitales Werkzeug, mit dem Entwickler Unterschiedliches realisieren können, was vorher nicht oder weniger elegant möglich war.

Auch im Sport gibt es eine ganze Reihe von Anwendungsfeldern dafür. Schon vor Jahren habe ich im Tokenization Playbook for the Sports Industry eine ausführliche Übersicht darüber geschaffen, wie der Sport die neuen Werkzeuge nutzen kann. Darin finden sich z.B.: Fan Communities, die ihre Mitglieder für ihre Beiträge belohnen, Fan-Identity-Systeme, die dem Fan mehr Hoheit über seine Daten geben oder Ticketing-Lösungen, welche die heutigen Auswüchse im Zweitmarkt stoppen.

All diese Anwendungsfelder, zu denen es auch diverse Praxisbeispiele gibt, werden in beiden Beiträgen leider weitestgehend ignoriert (zumindest erwähnt Dominik Borussia Dortmunds Communtiy, die auf unserer Lösung basiert, mehr oder minder positiv).

Sport ist Community, Community ist DAO

Ein Großteil unserer Kommunikation und Beziehungspflege geschieht heute online bzw. mit digitalen Werkzeugen. Egal ob im Web 2.0, also der heutigen von Social-Media-Plattformen dominierten Netzwelt, oder im web3, das Internet ist ein Ort für Communities, für Gemeinschaft.

Auch Sport ist Community, schon immer gewesen. Egal ob im deutschen Vereinswesen oder im amerikanischen College-Sport-Modell, egal ob im Profi- oder Breitensport: es geht immer ums Miteinander. Ein Team ist eine Community. Fans sind Teil von Communities: der Verein, die Ultragruppe, die Kicktipp-Runde oder die Whatsapp-Fußballgruppe mit den Freunden. Und zumindest im europäischen Sport ist die Fan-Community oft sogar offiziell in die Strukturen des Clubs eingebunden, sei es im deutschen e.V. oder der spanischen Socios.

Da unser Leben zunehmend digitaler geworden ist, hat sich natürlich auch verändert, wie sich Communities finden und organisieren. Waren es früher in der Regel lokale Strukturen, um die sich Gemeinschaft formierte, finden sich digitale Communities heute um gemeinsame Interessen zusammen. Das gilt auch für Sportfans: auf Twitter, Reddit und Co. diskutieren und fiebern wir mit unseren Mannschaften mit. Doch diese Fan-Communities auf großen Plattformen sind zum ersten weit weg vom Club - sie sind der Stammtisch in der Kneipe, nicht das Vereinsheim - und zum anderen profitieren von ihnen nur die Social-Media-Riesen.

Lasst uns kurz ein Gedankenexperiment wagen. Wenn ich heute auf der grünen Wiese eine Organisation schaffen wollen würde, in der ich allen Mitgliedern Einflussmöglichkeiten geben will, wie würde ich dies tun? Ich würde eine Community gründen, für sie eine digitale Plattform schaffen, dort allen Mitgliedern ermöglichen, sich regelmäßig einzubringen und zu beteiligen, egal wo sie wohnen. Und ich würde Mechanismen schaffen, die dafür sorgen, dass alle Mitglieder, die sich besonders aktiv und konstruktiv engagieren, dafür auch honoriert werden. Kurzum: ich würde eine Community aufbauen, nicht unähnlich zu dem, was in der web3-Szene als DAO (dezentralisierte autonome Organisation) bezeichnet wird.

Die Kernidee hinter DAOs - die sich im Detail durchaus unterscheiden - ist es, digitale Netzwerke zu schaffen, die von ihren Mitgliedern kontrolliert werden und deren Mitglieder auch partizipieren, wenn die DAO Erfolg hat (was im Einzelfall verschiedenes bedeuten kann). All dies geschieht vollkommen digital und ist in der Regel komplett offen für alle Interessierten. Das Konzept ist somit also durchaus vergleichbar mit Konstrukten wie dem Verein oder der Genossenschaft, nur komplett digital gedacht. Da verwundert es nicht, dass erste Fan-Gruppierungen bereits versuchen, ihr Team mit einer DAO zu übernehmen, wie etwa Buy The Broncos.

Der Fußball und das Innovator’s Dilemma

Die Autoren der beiden Beiträge haben natürlich nicht Unrecht damit, dass Tokens und NFTs im Sport auch dazu genutzt werden, Geld zu verdienen. Das ist, so meine Überzeugung, auch nicht per se verwerflich. Im Gegenteil, ich würde sogar soweit gehen zu behaupten: wenn der Profisport keine digitalen Geschäftsmodelle findet, wird er schon bald existenziellen Problemen gegenüberstehen. Aber eins nach dem anderen.

Selbstverständlich muss sich die Branche die Frage gefallen lassen, was genau sie ihren Fans denn anbietet. Kurzfristig wird es vielleicht möglich sein, aus substanzlosen Hypes Kapital zu schlagen - was die beiden Beiträge ja den meisten Praxisbeispielen attestieren (ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt). Doch langfristig wird nur erfolgreich sein, was Fans einen echten Mehrwert bietet, irgendwo auf dem Spektrum zwischen Nutzen und Entertainment. Was das anbelangt, vertraue ich der Intelligenz der Fans: sie werden sicher nicht blind alles unterstützen, nur weil das Logo ihres Lieblingsclubs darauf prangt.

Darin, wirklich nützliche Möglichkeiten zu identifizieren, sind zugegebener Maßen nicht alle Clubs spitze. Schon in der analogen Welt wird mir beim Blick in viele Fanshops oft anders im Angesicht des dort feilgebotenen Krimskrams. Auch was digitale Angebot anbelangt, entpuppt sich bei weitem nicht alles, was sich Sportmanager überlegen, als Hit bei den Fans.

Kein Wunder, denn auch 2022 wird das digitale Volk von vielen Entscheidern noch missverstanden. Denn Digitalisierung ist in erster Linie kein technologisches Phänomen, sondern ein kulturelles. Wer digital sozialisiert wurde, erwartet Unmittelbarkeit, Dialog, Community, attraktive Inhalte und die Möglichkeit, seine digitale Persona zu entwickeln. In anderen Entertainment-Sparten wie Gaming, Streaming, oder Social Media ist dies schon lange Teil der DNA.

Auch im Sport gibt es erfolgreiche Beispiele, die zeigen, wie richtig verstandene Digitalisierung der Relevanz in digitalen Zielgruppen einen Schub geben kann. Hier lohnt etwa ein Blick in die NBA, die schon früh das Netz und Social Media als Chance begriffen hat und sich heute über eine enorme Popularität bei jungen, digitalen Zielgruppen freuen kann. Von dieser interessierten Offenheit dürfen sich andere Sportorganisationen gerne eine Scheibe abschneiden.

Doch die Berührungsängste sind nicht unverständlich. Der Fußball war lange Zeit das Maß aller Dinge. Es liegt nicht nur an organisationaler Behäbigkeit, wenn das “Neuland” Netzwelt eher distanziert betrachtet wird. Es könnte sogar Sinn aus geschäftlichen Erwägungen machen.

Harvard-Professor und Autor Clayton Christensen hat bereits 1997 in seinem Buch The Innovator’s Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail, den zu Grunde liegenden Effekt bestens beschrieben: Erfolgreiche Unternehmen sind - zurecht - bestrebt, ihre Kunden bestmöglich zu bedienen und sich auf Effizienz und Performance zu konzentrieren. Kleine Nischen und neue “Spielereien” sind ihre Sache nicht - aus nachvollziehbaren Erwägungen, da sie wirtschaftlich nicht attraktiv scheinen. Doch genau in diesen Nischen wachsen die Gewinner von morgen heran (die sogenannten Disruptoren).

Übertragen auf den Fußball heißt das: der Fußball ist sehr erfolgreich und beliebt. Während man sich beim jungen Publikum zunehmend schwer tut, macht man das Kerngeschäft ohnehin mit anderen: einer zwar älter werdenden, dafür aber kaufkräftigen Klientel, die mit dem Fußball groß geworden ist. Eine große Sorge in der Branche ist es, diese zu verprellen oder gar “abzuhängen” durch “zu viel Digitalisierung”. Ob dies eine berechtigte Sorge ist, sei dahingestellt, doch sich an den Wünschen die Kernzielgruppe zu orientieren, macht definitiv Sinn. Zumindest, bis es plötzlich keinen Sinn mehr macht, weil die nächste Generation in der Zwischenzeit Fan von anderen Angeboten geworden ist.

Vor diesem Hintergrund ist es in meinen Augen nicht nur sinnvoll sondern notwendig, dass sich auch der Fußball mit Digitalisierung im Allgemeinen und dem web3 im Speziellen auseinandersetzt. Das dabei nicht nur erfolgreiche Projekte entstehen werden, die genau verstehen, was Fans wollen, ist erwartbar. Doch genauso ist Fakt, dass nur wer experimentiert und Neues wagt, den Use Case finden wird, den Fans tatsächlich goutieren. Und der in zehn Jahren vielleicht die Existenz sichert.

Fazit

Tokens können auf verschiedenste Weisen genutzt werden. Nicht alle davon werden jeden Fan überzeugen und manche gehören gewiss ins Reich von Memes und Spekulation. Aber eben sicherlich nicht alle. Im Gegenteil: eine wichtige Bewegung in der web3-Welt ist darauf aus, fairere und nutzerfreundlichere Communities und Netzwerke zu schaffen, abseits der Social-Media-Giganten. Wer in diese Ecken des web3 guckt, findet interessante Möglichkeiten für einen wirklich Fan-zentrierten Sport in der digitalen Welt. Und in genau jener müssen Fußball & Co. heute und künftig bestehen.

Deshalb müssen sie sich mit den neuen Entwicklungen befassen, nicht nur theoretisch, sondern hands-on. Dabei dürfen Fans und Medienvertreter gerne aufmerksam zuschauen und natürlich auch Kritik äußern - denn nur so können die Verantwortlichen lernen. Dennoch würde ich mir von Journalisten, Analysten und anderen Beobachtern wünschen, dass sie ihre Hausaufgaben machen und sich ein umfängliches Bild verschaffen, bevor sie eine ganze Entwicklung pauschal abkanzeln.

‘Again What Learned’ - well written, Thomas Euler. 👊

Jonas Rubel

Co-Founder bei LIQUIDITEAM

1y

Word!

Sandro Stark

GP at Vanagon | backing a new generation of tech founders | #NatureTech

1y

Dr. Johannes Ranke

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