Nachhaltigkeit:Atomkraft soll vorübergehend als grün gelten

Nachhaltigkeit: Das französische Kernkraftwerk Cattenom nahe der deutschen Grenze: Paris hat darauf gedrängt, dass Atommeiler als grün gelten sollen.

Das französische Kernkraftwerk Cattenom nahe der deutschen Grenze: Paris hat darauf gedrängt, dass Atommeiler als grün gelten sollen.

(Foto: Christophe Karaba/dpa)

Die EU-Kommission muss bald entscheiden, ob Kern- und Gaskraftwerke Teil von Öko-Aktienfonds werden dürfen. Offenbar plant sie nun einen ausgefeilten Kompromiss.

Von Björn Finke, Brüssel

Darf es auch ein bisschen Kernkraft und Gas sein? Oder doch lieber reine Öko-Investments? Solche Fragen könnten Anlageberater in Europa künftig ihren Kunden stellen, wenn diese Geld in Öko-Aktienfonds oder -Anleihen stecken wollen. Diese ungewohnte Praxis wäre dann das Ergebnis des Kompromisses, mit dem die EU-Kommission den heiklen Streit beenden will, ob Kern- und Gaskraftwerke als grün gelten sollen oder nicht. Die Brüsseler Behörde legt gerade in einer sogenannten Taxonomie fest, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind und welche nicht. Anfang Dezember will die Kommission die brisante Entscheidung fällen, wie Atom- und Gasmeiler einzustufen sind. Das Resultat wird ein Mittelweg sein, wie aus der Behörde zu hören ist.

Das Klassifizierungssystem - das weltweit erste seiner Art - soll verhindern, dass Firmen oder Investmentfonds sogenanntes Greenwashing betreiben, sich also als grüner verkaufen, als sie es wirklich sind. Dies soll das Vertrauen in Öko-Finanzprodukte erhöhen und damit mehr Anlegergeld anlocken. So will die Kommission mehr Investitionen in klima- und umweltfreundliche Aktivitäten lenken.

Der wissenschaftliche Dienst der Kommission hat in einem umstrittenen Gutachten geurteilt, dass auch Kernkraft als nachhaltig angesehen werden kann. Viele EU-Regierungen fordern diese Einstufung oder können zumindest gut damit leben. Diese Staaten halten Atomkraft für eine Brücke hin zu einer klimafreundlichen Stromversorgung; Frankreich gehört zu den größten Vorkämpfern. Das Camp der Gegner ist klein - zuletzt unterzeichneten nur Deutschland, Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal ein entsprechendes Positionspapier. Eine Blockade ist damit nicht möglich.

Am Ende werden die Anleger entscheiden

Doch praktischerweise sieht die Taxonomie ohnehin drei Untergruppen von klima- und umweltfreundlichen Aktivitäten vor: Am besten sind klassische grüne Aktivitäten wie das Betreiben von Windkraftanlagen. Daneben gibt es ermöglichende Aktivitäten - darunter fiele etwa der Hersteller der Rotoren - sowie Übergangsaktivitäten. Zu dieser schwächsten Untergruppe gehören Technologien, die auf dem Weg zur klimafreundlichen Wirtschaft gebraucht werden, danach aber nicht mehr.

In der Kommission heißt es, dass Kern- und Gaskraftwerke lediglich als zeitlich befristete Übergangstechnologien eingestuft würden. Und das nur unter strengen Bedingungen. So müssten die Investitionen in Anlagen modernster Bauart erfolgen und ehrgeizige Grenzwerte beachtet werden. Außerdem müssten Öko-Fonds klar erkennbar darüber informieren, ob sie ausschließlich Aktien und Anleihen von Unternehmen aus der grünen Untergruppe beinhalten oder auch Papiere von Gas- und Kernkraftfirmen aus der Übergangsgruppe. Zudem müssen Anleger, die sich für Öko-Finanzprodukte interessieren, vor dem Kauf gefragt werden, ob sie klassisch grün oder grün plus Nuklear oder Gas in ihrem Depot wünschen. Es liegt dann also in der Hand der Investoren, wie sehr die Atombranche von grünem Anlegergeld profitieren wird.

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