Retrospektive in Düsseldorf:Klinische Genauigkeit

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Zwei Ausstellungen Isa Genzkens zeigen, wie die Bildhauerin immer die neueste Technik und die Betrachter ihrer Kunst mitdachte.

Von Alexander Menden

Man müsse immer versuchen, sich in den Betrachter hineinzuversetzen, sagt Isa Genzken: "Sonst ist man ein eiskalter Typ und kein Künstler." Die Bemerkung fällt in einem zehnminütigen, "Warum ich keine Interviews gebe" betitelten Video, das 2003 im Dialog mit Genzkens Künstlerkollegen Kai Althoff entstand. Etwas Ähnliches sagte sie ein paar Jahre später in einem Gespräch mit Wolfgang Tillmans. Die Aufrichtigkeit dieser Aussage in Zweifel zu ziehen, dazu besteht kein Grund. Sie beim Besuch der Genzken-Frühwerk-Retrospektive der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen im Kopf zu behalten, kann hilfreich sein.

Die mittlerweile 72-jährige Grande Dame der deutschen Gegenwartskunst ist nach den Gipsarbeiten und grobschlächtigen Betonskulpturen, den überdimensionierten Blumen und verspielten Serien mit sonnenbebrillten Nofretete-Büsten in einer Art später Rave-Phase angekommen. Neue und neueste Arbeiten, zerfledderte, quasi im Feiergestus erstarrte Schaufensterpuppen und teils mit Klebeband versehene Spiegelflächen, sind flankierend in der Beletage des Düsseldorfer K21-Ständehauses unter dem Titel "Isa Genzken. Hier und Jetzt" zu sehen. Der arg didaktisch geratene Kuratorentext lädt zur "Interaktion" mit diesen schrillen Grüppchen ein. Wie aber gestaltet sich die Interaktion mit den rund 60 zwischen 1973 und 1983 entstandenen Arbeiten, die in der Hauptausstellung gezeigt werden? Was war Ausgangspunkt der konsequent heterogenen, also im Wortsinne Stil-losen Kunst dieser extrem wandelbaren Künstlerin?

Emblematisch für die kühle und unaufdringliche Komplexität dieser Werke sind die sogenannten Ellipsoide, die in den Siebzigerjahren entstanden. Meist liegend, zum Teil aber auch an die Wand gelehnt, sind diese schmalen, schnittigen, farbigen Holzskulpturen das Ergebnis der Rechenleistung eines Computers, den Genzken damals die Proportionen und Zuspitzungen berechnen ließ. Die Düsseldorfer Ausstellung hebt immer wieder auf die lebensgeschichtlichen Aspekte des Œuvres ab. Und tatsächlich war Ausgangspunkt dieser Arbeiten der Versuch Genzkens, Anweisungen Bruce Naumans zu befolgen, die dieser unter dem Titel "Instructions for a Mental Exercise" zusammengefasst hatte. Das Protokoll der Selbstbeobachtung während dieser Übungen, die sie 1974 sieben Tage lang in der Düsseldorfer Galerie Konrad Fischer praktizierte, war zweifellos eine Auseinandersetzung mit dem älteren amerikanischen Kollegen. Ebenso werden die Ellipsoide, wie auch die später entstandenen "Hyperbolos" - zu den Enden breiter werdende röhrenartige Konstrukte -, in der Regel als Reaktion auf den amerikanischen Minimalismus gedeutet.

Die Künstlerin scheint hier ebenso weit von ihrem Werk entfernt wie der Betrachter

Doch wenn man als Betrachter - und ihn denkt Genzken ja mit - vor diesen ätherischen, fast wie Relikte einer Alienkultur wirkenden Objekten steht, werden all diese biografischen und kunsthistorischen Ansatzpunkte nebensächlich. Ihre klinische Genauigkeit, ihre konzeptionelle, zweckfreie Strenge stehen für sich. Die Berechnung durch Algorithmen, die ausgelagerte Ausführung durch einen Tischler - das alles verleiht diesen aus einer subjektiven Erfahrung erwachsenen Skulpturen etwas Objektives. Die Künstlerin scheint hier ebenso weit von ihrem Werk entfernt wie der Betrachter.

Der Fokus ruht in dieser Schaffensphase auf der geometrischen Gestalt, nicht auf der Funktion. Ähnlich wie bei der eine Generation älteren Kollegin Bridget Riley wird der Form ein Grad an Autonomie gewährt, die auch über konzeptuelle Klassifikationen wie "Minimalismus" hinausreicht. Hat man dies als Betrachter verstanden, liest man beispielsweise auch die Fotoserie "Instruments" (1979) anders, abstrakter: Die hier abgebildeten, glänzenden Hörner, Trompeten und Saxophone sind nicht aufgrund ihres musikalischen Potenzials als Instrumente von Interesse, sondern wegen all der Rundungen und intrikaten Windungen.

Genzkens intensive Beschäftigung mit Architektur wird im K21 nur gestreift

Blickt man heute, da Computer gleichsam das Hauptinstrument der Kreativität geworden sind, auf den in Düsseldorf mitausgestellten Schaffensprozess, die Ausdrucke der Entwürfe auf mittlerweile leicht vergilbtem Lochpapier, ist es erstaunlich, wie zeitgenössisch diese mehr als 40 Jahre alten Dokumente wirken. Genzkens Technikbegeisterung - eine dem Klischee zufolge männliche Domäne - manifestierte sich zu Beginn der Siebziger auch in der Aneignung einer Reihe von doppelseitigen Printanzeigen für die neuesten Schallplattenspieler, Tape-Decks und Vorverstärker unter dem Titel "Hi-Fi". Die Übernahme der (weniger fetischistischen als detailversessenen) Präsentation einer Hitachi-Kompaktanlage oder einer Pioneer-Stereo-Endstufe sind keineswegs als Konsumkritik zu lesen. Sie passen vielmehr voll und ganz in die nach vorn blickende Ästhetik Genzkens zu jener Zeit.

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Der "Weltempfänger" (1982) ist in seiner grauen, mit unzähligen Knöpfen und Schaltern besetzten Riesenhaftigkeit eine Fortsetzung dieser durchaus positiven Technikrezeption. Und auch die Art, in der die spätere Videoarbeit "Chicago Drive" (1992) mit der Kamera an den Vertikalen amerikanischer Wolkenkratzer entlangfährt - Genzkens intensive Beschäftigung mit Architektur wird im K21 nur gestreift -, ist noch Ausdruck der Konzentration auf die objektive Kraft klarer Linien. Gerade im Abrücken von der Person der Künstlerin, im Vertrauen auf die eigene Wahrnehmung dieser frühen Werke, überträgt sich letztlich Isa Genzkens zugleich variabler und konsequenter ästhetischer Zugriff auf den Betrachter.

Isa Genzken: Werke von 1973 bis 1982 im K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, bis 5. September sowie Isa Genzken. Hier und Jetzt bis 1.November. Info: kunstsammlung.de , Katalog 36 Euro.

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