Wie das russische Fernsehen gegen queere Olympiateilnehmer hetzt

Tom Daley

Tom Daley

Tokio. Es ist der 26. Juli 2021, als auf dem russischen Staatssender Rossiya 1 eine 60-minütige Diskussionsrunde auf Sendung geht. Eine Diskussionsrunde, in der über die Teilnahme von queeren Athletinnen und Athleten bei den Olympischen Spielen in Tokio debattiert wird. Es ist nicht die erste und einzige Sendung dieser Art – aber sie stellt einen neuen Tiefpunkt dar.

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Alexei Zhuravlyov sitzt an diesem Tag im Studio, der Politiker ist Mitglied des russischen Parlaments. Im Laufe der Sendung zeigt er mit dem Finger auf den Studiobildschirm. Darauf zu sehen ist die Transgenderathletin Laurel Hubbard. „Wir sind gegen all diesen Schmutz und diese Perversion, stark dagegen”, poltert Zhuravlyov. „Wir sind gegen diese Abscheulichkeit”, fährt er fort. Dann benutzt der russische Politiker ein Schimpfwort, das schwule Männer beleidigt. Auch der schwule Athlet Tom Daley gerät ins Visier von Zhuravlyov. Er sei „angeekelt” von Schwulen und Transgenderpersonen, pöbelt der Politiker.

Es ist nicht der einzige Ausfall an diesem Abend. Wie die BBC berichtet, sei in der Sendung zunächst über die Entscheidung des IOC diskutiert worden, Transgenderathletinnen und -athleten für das Geschlecht antreten zu lassen, mit dem sie sich identifizieren. Die Frage der Fairness ist sportlich durchaus ein kontroverses Thema. Einige russische Kommentatoren allerdings hätten die Diskussion jedoch mit Beleidigungen kombiniert, berichtet der Sender.

Olympiateilnehmerin Laurel Hubbard.

Olympiateilnehmerin Laurel Hubbard.

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Moderator macht sich über Transathletin lustig

„Ich glaube nicht, dass Transgenderpersonen in Russland eine Perspektive haben, weil sie Männer lieben, während russische Männer Frauen lieben”, wird etwa Spiridon Kilinkarov, ein ehemaliger Abgeordneter des ukrainischen Parlaments, zitiert. Die Moderatorin der Show, Olga Skabeyeva, widerspricht keiner dieser Aussagen, im Gegenteil: Sie spricht von einer Bestrafung Ungarns und Polens durch die EU, nur weil „in diesen beiden Ländern die Mehrheit gegen Homosexualität” sei.

Am selben Tag auf einem anderen Kanal: Bei Perwy, Russlands zweitmeistgesehenem Fernsehsender und dem offiziellen Partnersender des IOC, erscheint Moderator Anatoly Kuzichev auf der Bildfläche. Er trägt eine Perücke mit langen geflochtenen Zöpfen und verspottet Laurel Hubbard. Live auf Sendung bezeichnet er Transgenderpersonen als „Psychopathen” und schlägt vor, sie psychiatrisch behandeln zu lassen.

Russische Politiker hetzen gegen olympische Werte

Ein weiterer russischer Abgeordneter, Pjotr Tolstoi von der Kreml-Partei Einiges Russland, stellt sich in einer Sendung vom 20. Juli gegen das neue olympische Motto „Schneller, höher, stärker – gemeinsam”. Es sei Teil westlicher Bemühungen, „ihre Agenda der Gleichberechtigung und zusätzlicher Rechte für LGBT, Transgender und anderer Perverser in die olympische Bewegung zu integrieren”, so Tolstoi.

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Das IOC hat die Attacken der russischen Medien auf queere Teilnehmerinnen und Teilnehmer inzwischen scharf verurteilt. „Diskriminierung hat bei den Olympischen Spielen absolut nichts zu suchen”, so ein IOC-Sprecher am Mittwoch. „Wir werden die Angelegenheit entsprechend weiterverfolgen und haben mit unserem Vertragspartner in Russland Kontakt aufgenommen, um uns Klarheit über die Situation zu verschaffen und die Grundprinzipien der olympischen Charta zu unterstreichen.“

Homophobie hat lange Tradition in russischen Medien

LGBT-Feindlichkeit in russischen Medien ist derweil kein neues Phänomen, sondern hat eine lange Tradition. LGBT-Veranstaltungen und -Projekte sind in Russland seit 2013 unter dem Vorwand des Kinderschutzes grundsätzlich verboten, Medien müssen ihre Berichterstattung oder Thematisierung von LGBT-Themen einschränkten. Das Gesetz dient auch homophoben Täterinnen und Tätern als Rechtfertigung für Attacken auf queere Menschen. Hassverbrechen gegen LGBT-Personen sind in Russland an der Tagesordnung – Opfer solcher Taten gehen aus Angst häufig nicht zur Polizei.

Russische Staatssender stellen die Gleichberechtigung queerer Menschen oft als westlichen Versuch dar, die russische Gesellschaft zu verweichlichen und den russischen Staat zu schwächen. Immer wieder gibt es homophobe Vorfälle in russischen Medien.

Im Jahr 2017 beispielsweise rief der religiöse Sender Tsargrad TV queere Personen dazu auf, sich ein One-Way-Ticket ins Ausland zu sichern – man bezahle ihnen auch das Flugticket. LGBT-Personen wurden in dem Zusammenhang als „Perverse” bezeichnet.

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Hasstiraden von Starmoderatoren

Zur US-Wahl 2016 strahlte der oppositionelle Fernsehsender TV Rain einen Wahlwerbespot von Hilary Clinton aus und kennzeichnete ihn mit „ab 18″. Der Grund: In dem Clip sind schwule Männer zu sehen, die darüber reden, zu heiraten.

Die Medienbeobachtungsorganisation Medialogiya berichtete bereits 2014, also kurz nach der Verabschiedung des Anti-LGBT-Gesetztes, dass die Zahl queerfeindlicher Berichte auf dem Staatssender Rossiya 1 in die Höhe geschnellt sei. So schlug ein Moderator des Senders einmal vor, dass die Herzen von Homosexuellen, die bei Autounfällen getötet wurden, „begraben oder verbrannt werden sollten, da sie nicht geeignet sind, das Leben eines Menschen zu verlängern”.

Ein hochrangiger Journalist wies zur besten Sendezeit in einer Talkshow darauf hin, dass Russland in Gefahr sei, von einem „homosexuellen Sodomiten-Tsunami” erfasst zu werden.

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Es gab mal bessere Zeiten

Nicht immer ist das so gewesen. Seit der Zeit der Perestroika, als der Sowjetstaat seine Grenzen zur Außenwelt öffnete, kamen Menschen in Russland mit internationalen Medien in Berührung, in denen auch LGBT-Themen behandelt wurden. International bekannte Künstler wie Elton John und Filme wie „The Birdcage” (1996) und „Brokeback Mountain” (2005) erlangten große Bekanntheit in Russland. Auch Teile der russischen Popkultur arbeiteten mit LGBT-Bildern und erreichten damit große Popularität. Bestes Beispiel dürfte die Girlband t.A.T.u sein.

Zeitweise waren auf landesweiten russischen Fernsehkanälen wie TNT und NTV Sendungen wie „Sex mit Anfisa Tschechowa” oder „Lolita. Keine Komplexe” zu sehen, in denen häufig LGBT-Themen im Mittelpunkt standen. Veranstaltungs- und Kulturmagazine berichteten regelmäßig auch über LGBT-Veranstaltungen sowie Schwulen- und Lesbenbars.

Das Blatt wendete sich mit der ersten geplanten Pride-Parade in Moskau, gegen die sich zahlreiche Politiker stemmten. Die ablehnende Haltung gegen die LGBT-Aktivitäten mündete in der Verabschiedung zahlreicher Gesetze, durch die die Propagierung nicht traditioneller geschlechtlicher Beziehungen („Propagierung von Homosexualismus“) vor Kindern verboten wurde.

Russland wegen Doping disqualifiziert

In ihrem aktuellen Jahresbericht beklagt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Diskriminierungen und Verfolgungen von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen in Russland. Auch andere Organisationen wie etwa Human Rights Watch kritisieren, dass sich die Lage zunehmend verschärfte. Die Erniedrigung queerer Athletinnen und Athleten passt da nur zu gut ins Bild.

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Russland selbst nimmt in diesem Jahr nicht an den Olympischen Spielen teil, weil das Land des staatlich geförderten Dopings für schuldig befunden wurde. Mehr als 330 russische Athletinnen und Athleten treten jedoch als Russisches Olympisches Komitee (ROC) ohne russische Flagge oder Hymne an.

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